Können wir durch Arbeit Glück finden?
KURIER: Herr Rosa, was braucht es aus Ihrer Sicht für ein gutes Leben?
Hartmut Rosa: Wenn man die Menschen fragt, "Haben Sie ein gutes Leben? Sind Sie zufrieden?", dann rechnen sie auf: "Ich habe ein ordentliches Einkommen, einen guten Job, ein Häuschen im Grünen, habe zwei Kinder und eine Frau." Ich glaube, die Qualität des Lebens hängt aber nicht von diesen Ressourcen ab. Die Ressourcen sind nur die Voraussetzung. Natürlich ist es besser, man hat davon mehr als weniger. Aber ich kann all das haben und trotzdem todunglücklich sein und mich umbringen wollen. Ein gelingendes Leben ist aber nicht eine Frage der Ausstattung, sondern eine Frage der Beziehungen. Es geht darum, welche Art von Beziehung ich zu den Menschen, den Dingen, mit denen ich zu tun habe, zu meiner Arbeit, der Natur und der Welt als Ganzes habe.
Welche Rolle spielt in einem glücklichen Leben die Arbeit?
In der Arbeitssoziologie dachten wir eigentlich immer, dass Erwerbsarbeit eine reine instrumentelle Bedeutung hätte. Man muss zuerst richtig Knete machen, damit man nachher gut leben kann. Wir waren sehr überrascht herauszufinden, dass Arbeit für ganz viele Menschen auch eine existenzielle Bedeutung hat. Selbst bei den einfachsten Jobs, wo man das nicht erwarten würde, am Fließband oder am McDonald’s-Schalter, haben wir gesehen: Die Leute lieben ihre Arbeit, sie bedeutet ihnen etwas. Ich würde sagen, dass Menschen tatsächlich selbst unter ausbeuterischen Bedingungen Rückmeldungen bekommen, also Resonanzerfahrungen machen. Man kann das in allen Berufen erfahren, auch wenn das Material widerspenstig ist. Der Bäcker kann sich am Teig abarbeiten, der Schreiner am Holz, der Steinhauer am Stein.
Wie erreicht man die Resonanz, die Rückmeldung, die wir zum Glück brauchen? Gibt es ein Rezept?
Ein Rezept vielleicht nicht, aber ich habe versucht, genau das in meinem neuen Buch auszuarbeiten. Dass ein gutes Leben von den Beziehung abhängt, haben schon viele gesagt. Ich wollte aber aufzeigen: Wie muss diese Beziehung beschaffen sein? Und Resonanz ist eben meine Antwort. Sie hat verschiedene Elemente: Ich muss mich von dem, mit dem ich in Beziehung stehe, berühren lassen. Es muss ein Gefühl da sein, etwas muss mich bewegen. Das zweite Element ist, dass auch ich die Gegenseite erreichen kann, indem ich einen Menschen liebe etwa. Viele Menschen scheitern heute genau an diesem zweiten Punkt. Sie erfahren sich nicht mehr als selbstwirksam, in Resonanz mit der Welt, sie spüren einfach keine Verbundenheit mehr.
Was fördert gute Beziehungen noch?
Ich kann ziemlich gut testen, ob ich mit einer Sache in Resonanz stehe, wenn ich mich dadurch verändere. Menschen sagen ja oft, sie wären nach einem Buch oder einem Urlaub auf einer besonderen Insel ein anderer Mensch. Verändern kann aber auch ein anderer Mensch, eine Melodie, eine religiöse Idee oder auch eine Arbeit. Ein weiteres Element einer gelungenen Beziehung: Sie ist nicht immer verfügbar, sie ist in ihrer Resonanz nicht mit Sicherheit planbar, lässt sich nicht vorhersagen. Am Beispiel Weihnachtsabend: da will wahrscheinlich jeder mit seiner Familie in Resonanz gehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es gerade da nicht klappt, ist aber extrem hoch.
Seit einigen Jahren heißt es doch auch, man müsse in der Arbeit sein Glück finden. Wie bewerten Sie das?
"Du musst bei der Arbeit glücklich sein!", das sollten wir vielleicht gar nicht als Imperativ sehen. Denn in aller Regel bauen Menschen zu ihrer Arbeit ohnehin eine Beziehungen auf. Ganz viele leiden heute aber unter den Arbeitsbedingungen. Denn der Zeitdruck, die Konkurrenz und die Qualitätskontrollen vertakten uns so sehr, dass jeder Schritt komplett kontrollierbar und verfügbar gemacht werden soll und damit die notwendige Resonanz, die wir zu einem glücklichen Leben brauchen, untergraben und systematisch verunmöglicht wird. Dazu kommt die Ideologie, die Jugendlichen müssten immer begeistert sein, das studieren wofür sie brennen. Damit macht man sie ja ganz wahnsinnig. Sie sagen dann nur unglücklich "Aber ich weiß doch gar nicht, wofür ich brenne!" Das alles ist der Versuch, Resonanz zu verdinglichen. Und das ist eine ganz üble Form gesellschaftlicher Entwicklung.
Wie bekommen wir mehr Resonanz in unser Leben?
Meine Diagnose lautet: Man kann nicht einen Hebel umlegen und alles ist anders. Wir können aber Bedingungen identifizieren, die für die Resonanz hinderlich sind. Etwa die permanente Verschärfung des Wettbewerbs. Sobald ich nämlich in einem Wettbewerbsmodus stehe, kann ich keine Resonanz zulassen, sondern muss mit geschlossenen Augen durch. Genauso, wie wenn ich Optimierungszwänge habe und als Mitarbeiter nächstes Jahr noch besser sein muss, als heuer.
So ist es heute aber in den meisten Unternehmen. Permanente Steigerungen sind allgegenwärtig.
Es ist ein großes Problem unserer modernen Gesellschaft. Wir wollen alles unter Kontrolle haben, alles genau verfügbar machen. Immer sagen, wann wir mit welchen Mitteln welchen Output erzielen können. Wir sehen das in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, in der Bildung. Aber alles komplett messbar, vorhersehbar, komplett planbar zu machen ist auch eine sichere Methode, Resonanz völlig zu unterbinden.
Wir müssten also wieder lockerlassen können.
Ich plädiere jetzt nicht für eine gewaltsame Revolution, aber vielleicht kann man im Kleinen damit beginnen. Etwa mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Das würde die Angst aus dem System nehmen.
Wenn wir so weitermachen: Wohin führt das?
Tatsächlich glaube ich, dass das zu einer Reihe von sich verschärfenden ökologischen und demokratischen Krisen führt, an dem Punkt bin ich ziemlich pessimistisch. Und es wird auch so was wie eine Psychokrise geben. Menschen fühlen sich jetzt schon permanent erschöpft und sind vom Burn-out bedroht. Das passiert, wenn sie alle Resonanzen verlieren. Es wird schlimmer, wenn wir keinen Ausweg aus den Steigerungszwängen und dem Hamsterrad finden. Wir brauchen erstmal einen Kompass für all das. Wir sind ständig nur auf der Suche nach Lösungen, wollen mehr Ressourcen haben. Lasst uns doch aber mal dauerhaft die Perspektive wechseln und nicht überlegen, was wir noch alles unter Kontrolle bringen müssen, sondern wie wir wieder mehr Resonanz in unser Leben bringen.
Abschließend: Haben Sie ein gutes Leben?
Auch ich merke diese ganzen Beschleunigungszwänge an mir. Aber meine These lautet ja, dass ein gutes Leben, ein resonantes Leben ist. Ich glaube, ich habe gute Resonanzachsen mit meinen Mitmenschen, ich brauche meine Arbeit und ich mache auch gerne Musik, mit der ich resonant sein kann. Ich würde sagen, dass ich mit dem Leben als Ganzes also in einer resonanten Erfahrung bin. So gesehen bin ich ganz glücklich.
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