Knochenjob Zusteller: Die Paketbranche arbeitet am Limit

Knochenjob Zusteller: Die Paketbranche arbeitet am Limit
Coronapandemie und Vorweihnachtszeit ließen die Paketflut hierzulande enorm ansteigen. Um die hohe Anzahl zu bewältigen, setzen große Logistikunternehmen wie Amazon auf Subunternehmen. Die Arbeitsbedingungen bei diesen sind laut Arbeitnehmervertreter oft prekär.

Es ist manchmal wirklich ärgerlich: Eigentlich sitzt man daheim im Homeoffice und wartet auf sein Paket, das sich in der kommenden Stunde angekündigt hat. Dann plötzlich kommt die Nachricht, dass ein Zustellversuch unternommen, man aber bedauerlicherweise verpasst wurde und das Paket in der nächsten Abholstation geholt werden könne. Und schon ist sie da, die Frustration.

Branche investiert

Was sich bei Betroffenen oft als Ärger gegenüber Zustellern ausdrückt, ist  häufig auf die Bedingungen, unter denen diese arbeiten müssen, zurückzuführen. Denn Fakt ist: Der Online-Handel und damit die Zahl der zuzustellenden Pakete hat in den vergangenen zwei Jahren enorm angezogen. „Mit einem Wachstum  hat die Branche natürlich gerechnet, eine derartige Beschleunigung durch Pandemie und Lockdowns war aber nicht vorhersehbar“, sagt Oliver Wagner, Geschäftsführer der Zentralverbands Spedition und Logistik. Das sei auch der Grund, warum derzeit enorm investiert wird, in neue Lager, Technologisierungen und auch Fahrerassistenzsysteme, um die Arbeit gerade auf der letzten Meile zu erleichtern. 

Knochenjob Zusteller: Die Paketbranche arbeitet am Limit

Oliver Wagner, Geschäftsführer Zentralverband Spedition und Logistik

Druck auf Fahrer wächst

Das dürfte dringend notwendig sein, denn die Arbeitslast für die Zusteller scheint enorm. Laut Karl Delfs von der Gewerkschaft Vida hat ein Paketbote in Wien ungefähr zwei Minuten Zeit, um ein Paket zuzustellen. Vor allem zur Weihnachtszeit wachse der Druck nochmals an. „Jeder Fahrer muss derzeit täglich zwischen 200 und 250 Pakete oder noch mehr ausliefern. Zeit zu warten, bis der Empfänger die Tür aufmacht oder gar für eine Pause, gibt es da kaum.“ 

Hinzu komme, dass die Dienstleister üblicherweise die Paketzustellung auf Subunternehmen auslagern. „Manche mehr, manche weniger, aber ohne kommt niemand aus“, sagt Susanne Bauer, Marktforscherin der Arbeiterkammer Steiermark. In einer Studie hat sie Anbieter, die Privathaushalte beliefern, unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse zeigen: „Auf der Leiter ganz oben stehen die Großen, wie die heimische Post und internationale Logistikkonzerne wie GLS, DPD, DHL oder TNT. Diese profitieren vom Boom des Onlinehandels und bieten verhältnismäßig gute Arbeitsbedingungen.“ Darunter kämen dann Auftragnehmer, das seien kleine bis mittlere Unternehmen mit Zustellern in unterschiedlichen  Beschäftigungsverhältnissen, von der Bezahlung nach Kleintransporter-KV über freie Dienstnehmer bis hin zur selbstständigen Tätigkeit. Brutto schauen monatlich selten mehr als 1.600 oder 1.700 Euro heraus. „Vieles ist hier  undurchsichtig. Auffällig ist  vor allem die hohe Fluktuation“, sagt Bauer. 

Die Österreichische Post hat für ihre Zusteller eigene Kollektivverträge, aber auch sie  arbeitet mit  Subunternehmen zusammen. Auf KURIER-Anfrage betonte man , bei der Beauftragung von Zeitarbeitsfirmen und Frächtern mit Sorgfalt vorzugehen. Erst 2019 sei eine Ausschreibung durch den Konzerneinkauf vorgenommen worden, um nach klaren und strengen Kriterien entsprechende Firmen in den Pool von Anbietern aufzunehmen.

Ein Geflecht aus Sub- und Sub-Subunternehmen

Tritt man auf der Leiter noch eine Sprosse tiefer, kommt man zu jenen Subunternehmen, die bereits vom anderen Subunternehmen beauftragt wurden. „Das sind oft EPU, die in den Uniformen der Erstauftraggeber zustellen, in Wirklichkeit aber auf selbstständiger Basis arbeiten, sogenannte Scheinselbstständige“, sagt Delfs.  Konkret bedeutet das, dass sie das gesamte unternehmerische Risiko selbst tragen, inklusive Sozialversicherung und Versteuerung der Einnahmen. Auch das Urlaubsentgelt beispielsweise kann so umgangen werden. Laut Delfs habe all das System, um die Transportkosten so gering wie möglich zu halten. Bezahlt werde nämlich oft nicht nach einem fixen Stundensatz, sondern nach zugestellten Paketen. Und die Margen für die Pakete würden pro Jahr sinken. Um auf denselben Jahresverdienst zu kommen, müssen die Zusteller deshalb Jahr für Jahr  mehr fahren.  „Man darf nicht vergessen, dass es sich bei diesen Scheinselbstständigen um die Schwächsten der Schwachen handelt. Asylsuchende beispielsweise, die in Österreich zwar keine Arbeit annehmen dürfen, aber Unternehmer sein können.“ Und genau unter diesen sei der Druck am größten. 

Amazon lagert aus

Auch der  populärste Onlinemarktplatz Amazon lagere die Zustellung seiner Pakete und damit die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen der Zusteller aus, meint Judith Kohlenberger von der WU Wien. In einer Studie für die Arbeiterkammer Wien hat sie sich diese genauer angesehen. Die Befragten, vorwiegend migrantischen Fahrer, sprechen  von enormem Zeitdruck, schlecht oder zu spät bezahlten Löhnen, sowie der Angst, bei krankheitsbedingtem Ausfall gekündigt zu werden. „Das System ist darauf ausgelegt, dass die Zusteller regelmäßig mehr arbeiten als vorgesehen. Die Überstunden werden oft nicht oder nur sehr schleppend ausgezahlt“, sagt Kohlenberger.

Knochenjob Zusteller: Die Paketbranche arbeitet am Limit

Judith Kohlenberger, WU Wien

Eine im Februar 2020  groß angelegte Razzia bei einem Amazon-Verteilzentrum in Großebersdorf warf ebenfalls kein gutes Licht auf den Online-Riesen.  Im Visier stand nicht Amazon selbst, sondern die Subfirmen, die im Großraum Wien die Pakete ausliefern. Die Finanzpolizei ging dem Verdacht der gewerbsmäßigen Schwarzarbeit nach. Die Ermittlungen ergaben  987 Beanstandungen, darunter Schwarzarbeit und Abgabenhinterziehung. Das hat damals sogar den Leiter der Finanzpolizei im BMF, Wilfried Lehner, überrascht. „Ich kann mich an keine Kontrolle erinnern, bei der wir auf derartig viele Gesetzesübertretungen gestoßen sind.“

Laut Amazon hätte man diese Missstände beseitigt, bei einer zweiten Untersuchung seien „fast keine Verstöße“ mehr festgestellt worden. Und was sagt man zur Studie von Kohlenberger? „Sie kann nicht die Erfahrungen der Hunderten von Mitarbeitern kleiner und mittlerer Zustellunternehmen  widerspiegeln.“ Man führe eigene Nachforschungen durch und ergreife Maßnahmen, falls ein Lieferpartner die Erwartungen nicht erfülle.

"Es herrscht Fach- und Arbeitskräftemangel"

Auch Oliver Wagner möchte die oft angeprangerten prekären Arbeitsbedingungen in der Kurier-, Express- und Paketdienst (KEP)-Branche relativieren. Er beruft sich dabei auf den Kleintransporter-KV, der für angestellte Zusteller zum Tragen komme, in dem, vom Verdienst über Ruhezeiten, alles genau geregelt sei. „In der Branche herrscht zudem ein Fach- bzw. Arbeitskräftemangel, der sich mit dem Wachstum auch nicht entspannen wird. Unternehmen können es sich überhaupt nicht leisten, ihre Mitarbeiter schlecht zu behandeln, sondern setzen auf immer bessere Arbeitsbedingungen.“

"Profiteure müssen Verantwortung zeigen"

Anders sehen das die Arbeitnehmervertreter. Die  Zustände seien nur durch eine Subunternehmerhaftung in den Griff zu bekommen. Dadurch würde man verhindern, dass sich die Profiteure des Systems ihrer Verantwortung entziehen. „Nach wie vor werden auch die Lenkzeiten bei Fahrzeugen unter 3,5 Tonnen nicht digital aufgezeichnet. Das muss sich ändern, damit sich das Ausbeuterkarussell nicht weiterdreht“, fordert Delfs.   

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