Benkos untypischer Sanierer: Warum Reinhold Gütebier bei Kika/Leiner noch lange nicht fertig ist
Sanierer Reinhold Gütebier macht seine Aufgabe mit Wissen und Bedacht. Ein Interview mit dem Möbel-Profi, der 14 Jahre Rückstand aufarbeitet und will, "dass sich in den Filialen die Ärsche reiben".
Unlängst, bei der Eröffnung eines Küchenstudios in Wien. „So ein neues Geschäft muss Chefsache sein“, sagt Reinhold Gütebier stolz. Er ist vorn dabei, tritt vor die Journalisten, macht Stimmung. So wie in den 40 Filialen von Kika/Leiner: Gütebier besucht sie regelmäßig, kennt jede einzelne und die Mitarbeiter.
Das ist seine Strategie, und sie scheint aufzugehen. Reinhold Gütebier saniert seit über drei Jahren die maroden Kika/Leiner Möbelhäuser. Nicht so, wie man es von einem zackigen Norddeutschen mit Profisportler-Vergangenheit erwarten würde. Gütebier agiert mit Sachkenntnis und Herz. Mehr als 50 Jahre ist er in der Möbelbranche, seit seiner Lehrlingszeit. Investor Rene Benko hat sich mit Reinhold Gütebier einen profunden Kenner an die Spitze seines Handelsbetriebs gesetzt. Einen, der nach der Pflicht jetzt seinen Vertrag verlängert hat – und in die Kür geht.
KURIER: Sie haben Mitte 2021 ihren Dreijahresvertrag frühzeitig verlängert. Gefällt es Ihnen so gut in Österreich?
Reinhold Gütebier: Ich sehe hier eine Aufgabe, die man nicht in drei Jahren erfüllen kann. Das braucht ein paar Jahre mehr.
Sie waren 22 Jahre bei einem deutschen Möbelhaus, Segmüller. Ein großer Schritt, sich ins Ungewisse zu wagen, zu einem Unternehmen, das damals wahrlich nicht gut dagestanden ist.
Das sehe ich nicht so. Ich war zu dem Zeitpunkt 66. Dann kam das Gespräch mit Signa, mit Herrn Berninghaus und Herrn Benko. Vor dem Hintergrund, dass ich diese Aufgabe mit vollem Ernst und der nötigen Gelassenheit angehen kann, war das für mich ideal. Wenn Sie mit 66 Jahren so eine Aufgabe übernehmen, sozusagen am Ende ihres Berufslebens, müssen Sie niemandem etwas beweisen. Das vermittelt enorme innere Ruhe und Sicherheit.
Im schlechtesten Fall wäre es „nur“ ein schlechter Abschluss Ihrer Karriere gewesen.
Hätte ich mit 50 diese Aufgabe übernommen, hätte ich mir mehr Gedanken machen müssen. Rene Benko hat mich davon überzeugt, dass es eine tolle Sache ist, wenn man auf der Zielgeraden seines Berufslebens eine solche soziale Verpflichtung für sich eingeht. Und für mehr als 4000 Mitarbeiter einsteht, für Familien und für menschliche Schicksale. Für sie und die Rettung dieses Unternehmens bin ich da.
So viel sozialen Ansatz würde man einem Sanierer gar nicht zuschreiben. Man würde glauben, es geht vordergründig um Zahlen, Reduktion, auf Schiene bringen.
Ich habe mich nie als typischen Sanierer gesehen. Ganz wichtig ist es, dass ein Team da ist, das sind meine beiden Geschäftsführer-Kollegen, die die Zahlen bestens kontrollieren. Die Glocken läuten lassen, wenn es notwendig ist. Aber wenn man etwas bewegen will, geht das nur mit einem Vertriebler. Im Handel spielt sich alles im Marketing und auf der Fläche im Verkauf ab. Da muss man wissen, dass Motivation, Anerkennung und vor allem Wertschätzung entscheidend sind. Wenn ich nicht auf die Mitarbeiter zugehe, wenn ich mich als CEO in einen Glaskasten zurückziehe, geht das nicht. Ich muss allgegenwärtig auf der Fläche sein. Und mein großer Vorteil ist, dass ich auf der Fläche gerne bin. Ich nehme es mit jedem Verkäufer auf, zeige jedem, wie es geht. Als Standartenträger, als Galionsfigur in den Häusern. Mit viel Leidenschaft.
Ich habe tatsächlich gehört, Sie sitzen selten im Büro. Lieber im Vorzimmer bei Ihrer Assistentin, oder in den Filialen.
Das ist mir ein Herzensanliegen. Wenn es nicht gelingt, über Motivation und Qualifikation der Mitarbeiter eine entsprechende Stimmung im Verkauf zu haben, geht es nicht.
Rene Benko soll zu Ihnen gesagt haben, „andere arbeiten bis 80“.
Das hat er tatsächlich gesagt.
Sie sprechen von Pflicht und Kür. Was heißt das jeweils genau?
Es ist wie im Sport. In der Pflicht kann man den Titel verlieren. Gewonnen wird der Titel immer in der Kür. Deshalb hab ich gesagt, in den ersten drei Jahren müssen wir unsere Planziele erreichen und am besten übererfüllen. Das ist gelungen. Aber jetzt geht es um die Nachhaltigkeit. Darum, dass die Krankheit nicht wieder ausbricht. Davor warne ich hoch und runter. Wir müssen weitertherapieren. Jetzt müssen wir die Marktanteile zurückholen, die wir vor Jahrzehnten hier hatten.
Was war die Krankheit von Kika/Leiner?
Dass es in den Einrichtungshäusern ein primitives Hinstellen von Möbeln gab. Es geht heute darum, Ware zu inszenieren. Der Kunde muss es haben wollen, alles – den Fußboden, die Accessoires. Da war ein Stau von 14 bis 16 Jahren, wo nichts erneuert wurde. Eine Katastrophe.
Das konnten Sie so genau feststellen?
Ja. Ich habe zu allererst eine Rundreise durch alle Häuser gemacht und mir das angesehen. Wir haben festgestellt, dass die damals 46 und heute 40 Häuser im Durchschnitt über 14 Jahre nicht runderneuert wurden. Es gilt: alle sieben bis acht Jahre musst du ein Haus erneuern. Hinzu kam, dass Warenwirtschaft und IT steinzeitlich waren. Darunter leiden wir bis heute.
Sanieren heißt also nicht nur, die Dinge zu straffen, sondern auch, zu investieren.
Genau, ohne dem geht’s nicht. Wir haben einen Werkzeugkasten von der Signa, den wir verwenden dürfen. Wir erwirtschaften aber auch aus dem täglichen Handel heraus einiges dazu, dass wir die Dinge anpacken können.
Wie zufrieden ist Ihr Eigentümer?
Ich habe viele Unternehmer kennengelernt, sehr markante Unternehmer. Sie waren immer Macher. Und alle, wie ich sie kennengelernt habe, waren Choleriker. Das gehörte dazu. Es musste voran, voran, vorangehen. Und wenn das Ergebnis noch so gut war, zufrieden waren sie nie. Ich glaube, ich habe mit Herrn Benko erstmals einen Unternehmer kennengelernt, der sehr wertschätzend unterwegs ist. Das tut mir gut. Anerkennung und Wertschätzung brauchen wir alle. Ich glaube also, dass der Herr Benko recht zufrieden ist.
Er ist bekannt dafür, dass er sehr früh aufsteht. Wie finden Sie Besprechungen um fünf Uhr früh?
Ich bin auch ein Frühaufsteher, jeden Tag, pünktlich um halb sechs. Frühe Telefonate stören mich also nicht.
Was war die härteste Nuss, die Sie bei Kika/Leiner in den ersten drei Jahren knacken mussten?
Die Menschen, die Mitarbeiter davon zu überzeugen, dass jetzt eine Geschäftsführung da ist, die weiß, wovon sie redet.
Sie sind seit 2018 in Österreich, dann kam 2020 die Corona-Pandemie. Was hat das mit dem Geschäft gemacht?
Natürlich waren die Umsätze während des Lockdowns und in den kritischen Zeiten nicht da. Für uns am wichtigsten ist immer die dunkle Jahreszeit. Da hat es uns auch besonders getroffen. Aber die Menschen haben ins Eigenheim investiert. Es gab immer nach einem Lockdown einen Boom. Wir haben vom Umsatz her deshalb nicht extrem gelitten.
Und die Staatshilfe hat zudem ausgeglichen.
Was uns zusteht, darauf haben wir auch zurückgegriffen.
Sie sagen, Digitalisierung ja, aber nicht mit vollem Druck. Welche Zukunft hat der stationäre Handel in der Möbelbranche? Sie brauchen ja besonders viel Fläche und Personal.
Die Möbelbranche hat alles verschlafen, was E-Commerce und Webshop betrifft. Heute meine ich, wer fünf Prozent Umsatz mit E-Commerce macht, kann sehr zufrieden sein. Heißt umgekehrt auch: 95 Prozent werden immer noch im stationären Handel gemacht. Das wird sich in Zukunft aber verändern. Ich gehe davon aus, dass sich die Umsatzanteile aus E-Commerce auf zehn bis 15 Prozent in den nächsten Jahren heben müssen. Wir selbst hatten zu meinem Beginn einen Webshop-Anteil, der war nicht der Rede wert.
Unter fünf Prozent?
Sagen wir es einfach so: unter zwei Prozent. Wir wollen auf zehn bis 15 in fünf Jahren. Das wird machbar sein. Dafür haben wir unser Team von vier auf 40 Personen erweitert.
Ich finde es wahnsinnig schwierig, online Möbel zu bestellen. Weil man Möbel fühlen muss, Probesitzen muss, einmal drauf sitzen will.
Sie sprechen mir aus der Seele. Aber die junge Generation sieht das komplett anders. Das ist ja auch der Grund, warum der Möbelhandel das komplett verschlafen hat. Weil wir alt sind.
Apropos Zukunft: Sie haben gehört, Sie könnten sich auch eine Expansion von Leiner vorstellen, Bayern würde sich anbieten.
Wenn die Kür erfüllt ist, kann man durchaus darüber nachdenken. Leiner im Raum München, Augsburg und Nürnberg – das wäre mein Traum.
Wann könnte man diesen Traum erfüllen?
Wir arbeiten vielleicht schon ein bisschen daran. Die Schwierigkeit ist, dass man heute kaum noch Genehmigungen in der Größenordnung erwarten kann. Unter 25.000 Quadratmeter geht es nicht. In Deutschland ist es schwierig, die Genehmigungen für den Verkauf der Fachmarktartikel, also Accessoires zu kriegen. Aber diese Waren braucht man für die Frequenz.
Ich merke, Frequenz ist das Um und Auf.
Ein Möbelhaus muss mit Menschen durchflutet sein. Da, wo sich die Ärsche reiben, da wird auch Umsatz generiert. Weil alles von Stimmungen abhängig ist. Von der Stimmung der Verkäufer und der Käufer.
Sie hätten gerne, für mehr Frequenz, längere Öffnungszeiten, gerade am Samstag.
Ja, bis 19 Uhr am Samstag. Weil fürs Möbelkaufen braucht man Zeit. Das ist Familiensache. Unter der Woche bis 20 Uhr. Und vier offene Sonntage im Jahr, von 13-18 Uhr. Das wär was!
Sie fahren eine Zwei-Marken-Strategie mit Kika und Leiner. Andere Marken fusionieren und machen eins daraus.
Wir machen das Gegenteil. Wir werden die Marken Kika und Leiner noch viel mehr schärfen. Man hat das Zusammenziehen der beiden Marken schon mal versucht, das ist total in die Hose gegangen. Beide Marken leiden dann. Für uns kommt das also garantiert nicht in Frage
Trennen Sie künftig auch das Management stärker und schaffen damit sogar eine interne Konkurrenz?
Ganz genau das ist der Plan. Am Anfang ging es darum, das Dringende vom Wichtigen zu trennen. Jetzt geht es um die Detailarbeit, wir haben etwa jetzt die Vertriebsverantwortung getrennt.
So eine Sanierung eines Unternehmens ist hochkomplex, wie finden Sie als Manager heraus, wann was zu tun ist?
Es ist die jahrelange Erfahrung, die mich anleitet. Ich bin vertriebsorientiert. Ich habe gelernt: „Der liebe Gott hat vor jeden Ertrag den Umsatz gestellt, das musst du dir merken für dein Leben“. Da ist was dran. Wenn ich mich permanent in Zahlen ergehe, dann geht nichts weiter. Draußen spielt die Musik, bei den Kunden. Und: Ich bin kein Mensch, der alles Mögliche kann. Aber eines habe ich: Ein Gespür für Märkte und Entwicklungen. Das kann man nicht lernen, das kommt mit den Jahren.
Wollten Sie immer Erster in einer Firma sein?
Ja, Erster unter der Regie eines Eigentümers. Meine Frau sagt, es war mein größter Fehler, mich damit zufriedenzugeben. In mir war immer eine Sicherheitskomponente. Über das Unternehmertum habe ich mich nicht drüber getraut.
„Genaue Zahlen nennen wir nicht“, verweist Kika/Leiner-CEO Reinhold Gütebier auf die Usancen der Branche, wenn man ihn auf die Bilanz anspricht. „Aber wir haben die Ziele übererreicht“, sagt er stolz. Die Möbelhauskette Kika/Leiner hat dreieinhalb Jahre nach der Übernahme durch die Signa-Holding des Tiroler Investors Rene Benko die Verlustzone verlassen. Man habe im abgelaufenen Geschäftsjahr 2020/21 per Ende September „die schwarze Null“ erreicht.
Kika/Leiner ging durch turbulente Jahre, bevor Gütebier die Steuerung übernahm. Die angeschlagene südafrikanische Steinhoff-Gruppe hatte sich im Juni 2018 im Rahmen eines Notverkaufs von Kika/Leiner getrennt. Signa kaufte, Gütebier restrukturiert seither, modernisiert die Filialen. Vier Standorte und zwei Logistikzentren wurden geschlossen, die Zahl der Mitarbeiter um 700 auf 4.200 reduziert. Für den geschlossenen Leiner-Flagshipstore in der Wiener Mariahilfer Straße (dort entsteht ein Kaufhaus von Signa) will Gütebier einen innerstädtischen Ersatz finden. Auch eine Expansion nach Bayern ist für ihn denkbar.
Reinhold Gütebier ist 69 Jahre alt, ehemaliger Leistungssportler (Fußball) und seit seiner Lehrzeit in der Möbelbranche tätig. Zuvor war er 22 Jahre lang bei Segmüller, einem deutschen Möbelhaus. „Nach Österreich zu gehen, war die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt Gütebier über seinen Job.
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