Ist die Psyche der Mitarbeiter auch Chefsache?

Ist die Psyche der Mitarbeiter auch Chefsache?
Dass gesamtgesellschaftlich der Druck steigt, macht sich auch am Arbeitsplatz bemerkbar. Wie sehr sich Führungskräfte um die Psyche ihrer Teams kümmern sollten und wo die Verantwortung endet.

Chronische Müdigkeit, Gereiztheit oder sogar Aggression, Stimmungsschwankungen, zunehmender Ungeduld und Ärger über sich selbst und andere, innere Unruhe und Nervosität – die Pandemie-Maßnahmen haben den Österreichern aufs Gemüt geschlagen. Ein Umstand, der sich auch in den Büros bemerkbar macht. „Wir hören von vielen Führungskräften, dass ihnen die Problematik durchaus bewusst ist.

Sie bekommen zumindest einen Teil der Symptome mit, mit denen sich die Menschen in ihrem Team – und oft genug auch sie selbst – herumschlagen“, meint dazu Johannes Narbeshuber, geschäftsführender Gesellschafter der Trigon Entwicklungsberatung und Konsulent des Mindful Leadership Instituts (MLI).

Belastung steigt

„Etwa 60 Prozent aller Erwerbstätigen geben an, dass sie mindestens unter einem psychischen Belastungsfaktor leiden, wobei die Belastungen mit zunehmender Ausbildung tendenziell steigen und in Wien mit 70 Prozent am häufigsten sind“, weiß auch Arbeitspsychologin Helga Kernstock-Redl.

Manchmal macht sich die psychische Belastung durch körperliche Symptome und Krankenstände bemerkbar, manchmal können Führungskräfte aber auch am Verhalten erkennen, dass jemand im Team Unterstützung braucht. „Ins Auge fallen die Veränderungen in der Arbeitsleistung, im Erscheinungsbild – Schlafstörung oder Sucht wird vielleicht an der Art sich zu kleiden sichtbar werden – oder im Umgang mit Kollegen und Kolleginnen oder Kunden und Kundinnen“, so Kernstock-Redl. Nicht zuletzt erzählen es Betroffene auch selbst und ersuchen um Unterstützung.

Kleinigkeiten bewirken schon viel

Für Führungskräfte ist die Situation herausfordernd. Narbeshuber rät zu einer wertschätzenden, offenen Kommunikation und dem Angebot, miteinander nach Lösungs- oder zumindest Entlastungsmöglichkeiten zu suchen. Narbeshuber: „Dafür braucht es eine gewisse Vertrauensbasis, die wir uns oft erst erarbeiten müssen. Und es braucht die Möglichkeit, dann auch wirklich etwas zu verändern. Oft sind es schon Kleinigkeiten, die viel bewirken können. Manchmal braucht es aber auch ganz klar Veränderungen.“

Grundsätzlich, so meint Psychologin Kernstock-Redl, ist es wichtig, bereits auf Belastungen zu reagieren und nicht erst auf die Auswirkungen zu warten: „In Konfliktsituationen etwa erlebe ich Führungskräfte leider oft als zuwartend, beschwichtigend und an die Vernunft appellierend, obwohl sich diese schon längst verabschiedet hat. Spürbare Hilfe wie zum Beispiel räumliche Trennung, neue Aufgabenverteilung oder externe Beratung wird oft erst umgesetzt, wenn bereits „Krieg“ ausgebrochen ist, samt massiven Auswirkungen auf Arbeitsleistung, psychische und körperliche Gesundheit.“

Offene Gesprächskultur pflegen

Bei Verhaltensänderungen rät auch sie zu einem Gespräch: „Der Erfolg ist sehr von der Führungskraft und ihren kommunikativen Fähigkeiten abhängig. Ein Gespräch mit einem offensichtlich psychisch belasteten Menschen durch eine Führungskraft kann nur dann sinnvoll gelingen, wenn im ganzen Betrieb eine Kultur von Wertschätzung und Vertrauen gelebt wird. Ein Mangel daran kann zu fatalen Teufelskreisen führen.“

Was auf jeden Fall nicht funktioniert, ist Wegschauen. Narbeshuber: „Nach dem Motto ‘Augen zu und durch‘ hofft man in manchen Unternehmen noch völlig irrational, dass es eh irgendwie gehen wird.“ Doch wie viel Verantwortung für die psychische Gesundheit haben Chefs?

Kernstock-Redl: „Führungskräfte sollen in erster Linie die Unternehmensziele erreichen. Doch wenn sie klug sind, wissen sie, dass es für langfristigen Erfolg auf Gesundheit und Commitment von jedem Einzelnen ankommt.“

Was tun, wenn es einem Teammitglied merkbar schlecht geht? Helga Kernstock-Redl, Coach, Supervisorin und Arbeitspsychologin weiß, dass viel von der Führungskraft und ihren kommunikativen Fähigkeiten abhängt.  Auch Betroffene haben  selbst Vorurteile, Ängste oder negative Vorerfahrungen:

„Ich habe doch kein Suchtproblem. Der Kollege übertreibt. Er will nur meinen Job“ oder „Wenn ich was zugebe, bin ich den Job los“ sind mögliche Reaktionen. Andere Betroffene reagieren hoffnungslos à la „Gegen mein Problem gibt es sowieso keine Hilfe.“ Das macht Offenheit schwierig.  Für  Gespräche empfiehl Kernstock-Redl folgende vier Schritte.

1) Beobachten und Beschreiben: Zuerst, so die Psychologin, gilt es  die eigenen Beobachtungen zu beschreiben: Und zwar freundlich und ohne Interpretation.

2) Ursachen erfragen: Danach sollte man nach den Ursachen fragen, vielleicht sogar die eigenen Überlegungen dazu mitteilen.

3) Akzeptanz: In der dritten Gesprächsphase braucht es Raum für einen Moment der persönlichen Akzeptanz im Sinne von  „Das kann ich wirklich nachvollziehen.“

4) Lösungen: suchen Erst danach sollte man Lösungsvorschläge erfragen, anbieten oder einfordern. Kernstock-Redl: „Sobald die Führungskraft selbst unter  viel Druck steht, muss sie diesen  weitergeben. Um Betroffene dabei nicht in eine Ecke zu drängen, braucht es offene Türen hin zu Lösungswegen, etwa in Form von Kontakten zu Hilfsmöglichkeiten im oder außerhalb des Betriebes.“¶

Wo die Pflicht endet

Gesetzestexte, so die Supervisorin, bieten indirekt auch gute Anhaltspunkte dafür, wo die Pflichten der Führungskraft enden: „Wie in jedem anderen Arbeitsbereich ist es möglich, Spezialaufgaben zu delegieren, also interne oder externe Expertinnen aus Arbeitspsychologie und -medizin zu beauftragen.

Mit wenigen Ausnahmen gilt: Es ist Job der Leitung, Türen in Richtung Gesundheit zu öffnen, aber das Hindurchgehen liegt in der Verantwortung des Menschen selbst.“ Auch Berater Narbeshuber meint: „Wir wissen alle, was für ein enormer Aufwand dahinter steht, gute Mitarbeiter und Führungskräfte zu finden, weiterzubilden und zu halten. Einander achselzuckend zu verheizen, können wir uns schlicht nicht mehr leisten.“

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