Ingenieure können mehr als tüfteln
Techniker und deren talentorientierte Personalrekrutierung bis in die Führungsetage – Themen, die Gerfried Zeichen am Herzen liegen. So sehr, dass der emeritierte Professor der TU Wien mit Führungserfahrung ein Buch (Ingenieure an die Schalthebel, Linde Verlag) verfasst hat, in dem er gegen das Klischee der detailverliebten, sozial inkompetenten und kaufmännisch uninteressierten Techniker anschreibt. Und stattdessen Perspektiven für nachhaltige Führungsarbeit durch Techniker aufzeigt.
KURIER: Ingenieure an die Schalthebel – der Titel Ihres Buches klingt wie ein Appell. Werden Techniker als Führungskräfte unterschätzt?
Gerfried Zeichen: Ja. Ich erlebe wieder und wieder Beweise. Gerade kam einer meiner besten Absolventen in einer großen deutschen Firma in die engere Auswahl für eine Führungsposition. Er wurde nicht genommen, weil man ihm als Techniker die Durchsetzungskraft nicht zutraute.
Was ist dran an den Vorurteilen gegenüber Technikern?
Es sind eher Klischees die sich bilden konnten, weil Techniker Schwächen haben – etwa der Umgang mit Geisteswissenschaftlern. Vieles was nicht konkret fassbar ist, wird von Technikern manchmal vernachlässigt.
Trotzdem finden sich immer wieder Techniker in wichtigen Führungspositionen.
Ja, diesen Trend gibt es seit 20 Jahren. Ausgelöst vor allem durch die chinesische Bildung, die eine unheimliche Anzahl an Ingenieuren hervorbringt und uns und die USA herausfordert. Manchmal aber ist auch die Hoffnung an die Techniker zu groß. Ein Wunderwuzzi ist ein Techniker auch nicht.
Was aber können Techniker besser als Absolventen wirtschaftlicher Studien?
Die Welt ist unfassbar komplex geworden, die Führungskräfte müssen eine enorme Vielseitigkeit aufweisen. Techniker haben gelernt, Komplexität zu begegnen. Ab dem ersten Semester üben sie den Umgang mit Randbedingungen, das ist ihr tägliches Brot. Zweitens lernen Techniker intensive Analysen durchzuführen und bekommen so an handfester Realität Vernetzungswissen. Jedes Produkt besteht aus sehr vielen Komponenten, dieses Zusammenwissen wird gelehrt – und man kann es auf Prozesse in einem Unternehmen übertragen.
Warum kommen bei Besetzungen aber dann Wirtschafter oder Juristen zum Zug?
Weil es um verbale Kraftmeierei geht. Überall. Und dazu neigt der Techniker nicht und er hat es auch nicht gelernt. Aber gerade in kritisches Situationen kommt es nicht darauf an, sondern auf das Fachwissen.
Sie selbst schreiben, dass Technikern wirtschaftliche und soziale Kompetenzen oft fehlen. Wie lernt man diese?
On the Job. Da lernt man wie man verhandelt, wie ein Auftrag zustande kommt, was Kunden erwarten. Beim T-Profil ist beides wichtig: Der Tiefgang des Kerngebiets – das ist die stabile Säule. Und die Vielfalt des Wissens in angrenzenden Fachgebieten. Soziale Sensibilität fängt schon sehr früh an, wohl im Elternhaus. Der Überheblichkeit mancher Techniker zu begegnen ist eine Coachingaufgabe, Balance ist wichtig. Wehe dem Techniker, der das Wirtschaftliche, Soziale oder Finanzielle vernachlässigt.
Wie schwer ist der Spagat zwischen Spezialist und Generalist?
Wahnsinnig schwierig. Aber für jemanden mit Talent auch eine positive Herausforderung. Solche Menschen nicht ans Ruder zu lassen, ist ein volkswirtschaftlicher Schaden.
Wie viele Techniker haben aber neben der Begabung auch die Lust und Bereitschaft, Führungsverantwortung zu übernehmen – samt allen organisatorischen und administrativen Aufwands?
Zur Zeit ein geringer Prozentsatz. In meinem Institut vielleicht 25 Prozent. Weil die technische Aufgabe an sich ja eine sinnstiftende ist: Man sieht sein Produkt, das macht Spaß. Außerdem werden Techniker heute überall gebraucht. Meine Mission ist, dass dieser Prozentsatz größer wird. Man muss schon im Studium artikulieren, dass Führen eine der wichtigsten und interessantesten Aufgaben sein kann, auch für Techniker.
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