"Ich muss nicht mehr laut sein"

Konstantin Filippou
Konstantin Filippou gehört zu den besten Köchen Österreichs. Für den KURIER gibt er ein Interview, während er kocht. Er erzählt, wie er es in die Spitzengastronomie geschafft hat, obwohl er immer wieder hören musste, er sei nicht gut genug.

Seine Küche ist ihm heilig. Deshalb bekommt der Fotograf sogleich einen Verweis, als er seine Kamera auf die Nirosta-Oberfläche stellt. Spitzenkoch Konstantin Filippou stellt sich zum Herd. Heute soll er kochen und Fragen beantworten. "Deshalb mache ich was Einfaches. Eine Clam Chowder, da muss ich nur zusammenrühren", sagt er.

KURIER: Im neuen Gault Millau haben Sie drei Hauben erkocht. Sind solche Auszeichnungen wichtig?

Konstantin Filippou: Schon sehr. Für uns bringt es jedes Jahr auch eine neue Energie rein, wenn wir den Guides standhalten. Trotzdem: Es muss mit den Gästen funktionieren. Die beste Punkteanzahl hilft nichts, wenn man keine Gäste hat.

Auszeichnungen sind also auch interner Ansporn.

Klar. Meine Leute haben einen hohen Anspruch. Meine Köche reisen viel – nach Kopenhagen, London, New York – und schauen, was es Neues gibt. Für uns ist es aber wichtig, auf den Gast einzugehen. Man darf die Rechnung nie ohne den Gast machen – und muss wissen, in welcher Stadt und für wen man kocht.

Filippou dreht den Herd an. Er erhitzt Olivenöl, gibt Zwiebel dazu, rüttelt am Topf, die feinen Zwiebelstücke werden langsam glasig.

Muss man bei Ihnen vorkochen, wenn man sich bei Ihnen vorstellt?

Nein. Ich lade jeden, der Bock drauf hat, herzlich ein, mit mir etwas zu bewegen. Da ist mein Herz sehr offen. Ich will nur nicht, dass ein Ar... bei mir arbeitet. Ich will nette, ehrliche Menschen, die Konstanz haben. Bei Küchenchefs achte ich darauf, dass sie führen können, gut mit ihren Leuten und den Produkten umgehen.

Wie gehen Sie mit Ihren Leuten um? Der Ton in einer Küche soll ja oft rau sein.

"Ich muss nicht mehr laut sein"
Interview beim Kochen mit Konstantin Filippou, Wien am 23.10.2017

Ich bin sehr froh, dass ich mittlerweile ein Team habe, wo ich nicht mehr laut sein muss. Der Ärger hat sich minimiert, weil wir alle zusammen besser geworden sind. Aber es gehört eine starke Führung in eine Küche, weil es leider so viele Fehlerquellen gibt. Da braucht es auch viel Kontrolle, damit die Qualität passt. Womit man mich aber ärgern kann: Wenn man verschwenderisch ist und wenn man mit der Ausstattung nicht gut umgeht. Wir haben keine Investoren hinter uns und müssen schauen, dass alles schön bleibt.

Filippou gibt fein geschnittenes Wurzelgemüse in den Topf – wieder anrösten. Diesmal sehr lange, bis es ein bisschen braun wird. Röstaroma!

Wie wird man ein Spitzenkoch?

Gegenfrage: Ab wann glaubt man eigentlich, ein Spitzenkoch zu sein? Wenn Guides das sagen oder wenn ein Landgasthaus immer voll ist? Für mich ist ein guter Koch jemand, der die grundlegenden Dinge beherrscht.

Andere Frage: Wie hat Ihre Karriere begonnen?

Ich habe extrem viel investiert. Ich habe eine ganz normale Lehre gemacht, bei Leuten gelernt, die die klassische Küche beherrscht haben: der Chef war Jäger, der Sous Chef Metzger. Dort habe ich viel gelernt. Im zweiten Lehrjahr habe ich begonnen, mir die großen, tollen Kochbücher anzusehen. Da habe ich gesehen, wie viel Ästhetik im Kochen steckt. Und schon als Lehrling den Beschluss gefasst: ich will einmal richtig gut werden. Ich wollte kein neumoderner Koch sein, der keine Ahnung hat, wollte mein Handwerk beherrschen. Ich habe mich dann gegen die Karriere als Schiffskoch und gegen die Saison entschieden – wollte in Spitzenrestaurants.

Filippou leert die Miesmuscheln in den Topf, gibt ordentlich Butter dazu und Senf und nochmals einen Schuss Olivenöl, weil er fand, es war anfangs zu wenig. Jetzt dreht er die Hitze hinauf.

Wie kommt man in Spitzenrestaurants unter? Mit einer klassischen Bewerbung?

Ich bin immer persönlich hingegangen. Etwa damals zum Herrn Österreicher. Ich habe gefragt, ob ich ihn sprechen kann und ihm erklärt, dass ich gerne für ihn arbeiten würde. Er meinte: "Im Moment habe ich nichts, aber sind Sie dann, falls jemand abspringt, für mich da?" Er hat schon nach drei Wochen angerufen. Das Gleiche hab ich in London gemacht: ich war essen und hatte meine Kochzertifikate in der Sakkotasche. Als mich der Kellner gefragt hat, ob ich die Küche sehen will, war das meine Chance. Ich konnte den Küchenchef fragen: Haben Sie einen Job für mich?

So fanden Sie schon als Teenager Ihren Weg?

Ja. Mein Vater ist früh gestorben, meine Mutter war Alleinerzieherin von zwei Kindern. Wir mussten sehr selbstständig sein, es gab auch keine finanzielle Unterstützung von daheim.

Das heißt, Sie würden es begrüßen, wenn jemand in Ihre Küche kommt und sagt, hier bin ich?

Ja, jedenfalls. Das fände ich sehr toll. Engagement und Passion zahlen sich immer aus.

Gab es Förderer in Ihrer Kochkarriere?

Ich hatte das Pech, dass ich immer wieder Leute kennengelernt habe, die mir gesagt haben, ich sei nicht gut genug, ich solle was anderes lernen. Was ich aber immer schon konnte: die negative Energie in positive umwandeln – jetzt erst recht! Das hat mich auch konstant gemacht.

Die Konstanz ist ein großes Thema beim Kochen.

Stimmt. Aber konstant zu sein und immer den Rücken frei zu haben, ist leicht. Es ist keine Kunst, gut zu sein, wenn man jemanden hat, der es finanziert. Aber Spitzenleistungen zu erreichen und wirtschaftlich zu sein: das ist eine andere Musik. Um sich über Jahre zu halten, muss man was können. Und mit 22 Jahren ist man ein anderer Koch als mit 32.

Weil?

Man sich entwickelt. Die Tiefe verändert sich. Die Hand und das Gefühl. Die Gerichte haben dann eine Seele, die dich berührt.

Die Miesmuscheln sind bei hoher Hitze gar geworden, jetzt gibt Filippou einen paprizierten Fischfond dazu. Das ist das Geheimnis, der fein gemachte, intensive Fond. Hinzu kommen vorgekochte Kartoffelstückchen. Es duftet herrlich.

Wie erfinden Sie eigentlich ein neues Gericht?

"Ich muss nicht mehr laut sein"
Interview beim Kochen mit Konstantin Filippou, Wien am 23.10.2017

Wir überlegen gemeinsam, die Sous Chefs und ich. Da hat jeder Ideen und wir probieren aus. Und wenn’s super ist, dann machen wir’s. Ich glaube nicht, dass Ideen nur von mir kommen können. Ich weiß: ohne mein Team geht nichts.

Steht Konstantin Filippou eigentlich jeden Tag in der Küche?

Ich bin ehrlich: ich bin fast jeden Tag hier. Ab und zu muss ich Dinge außer Haus machen, aber so oft es geht, bin ich da.

Ihre Arbeitszeiten sind wohl nicht gerade familienfreundlich.

Einen 14-Stunden-Job hab ich schon. Die Zukunft soll sein, dass wir eine 4-Tage-Woche haben. Das wäre mein Traum.

Filippou kostet zum ersten Mal. Er gibt einen Schuss Wasser dazu. Lässt es nochmals weiterköcheln. "Das ist fertig", sagt er nebenbei.

Was ist das Schönste am Job?

Jeden Tag mit Menschen zu sein, die die gleiche Passion teilen, wie ich. Mit all den Enttäuschungen jeden Tag. Ich teile das noch dazu mit meiner Frau, das ist wunderbar.

Was ist nicht gut?

Der Zeitmangel. Es fehlt immer an der Zeit. Immer.

Das Restaurant ist im fünften Jahr. Wie lange hat es gedauert, bis es wirklich gelaufen ist?

Der Anfang war sehr schwierig. Für die Perfektion, für den Geist, der hier durchschwingt. Um der Chef zu werden, den die Leute wollen, braucht man gute zwei Jahre.

Das Gericht ist fertig. Filippou nimmt einen tiefen, schweren Marmorteller und kippt die Muscheln rein. Er wischt den Arbeitsplatz sauber. "Ich habe einen Putzfimmel", sagt er.

Sind Sie heute mehr Unternehmer als Koch?

Ich bin beides. Ein guter Koch braucht Kreativität, Organisationstalent und Führungsqualität. Wenn man selbstständig ist, kommen noch die Dinge dazu, die nicht lustig sind.

Etwa?

Steuern zu zahlen, die ich nicht nachvollziehen kann.

"Ich muss nicht mehr laut sein"
Interview beim Kochen mit Konstantin Filippou, Wien am 23.10.2017

Die Gastronomen jammern viel über über Bürokratie, Personalkosten.

Das mache ich nicht. Aber die Schlinge, die man um Gastronomen schnallt, ist sehr eng geworden. Ich habe oft das Gefühl, dass die Politiker die Gastronomie nicht verstehen.

Apropos Geld: Was ist das teuerste Gerät in dieser Küche?

Alles kostet richtig Geld. Da wird einem manchmal schwindlig, bei den Ausgaben. Am wertvollsten sind aber die Leute, die hier arbeiten.

Man sagt, mit dem Wein macht man das Geld, nicht mit dem Essen.

Das stimmt nur deshalb, weil viele Restaurants keine Ahnung von Warenwirtschaft haben.

Hat so ein Betrieb jeden Tag bzw. oder jedes Monat schwarze Zahlen?

Wenn einer seine Kosten im Griff hat, glaube ich, dass man so einen Betrieb sehr gut führen kann. Es darf nichts verschwinden, verschwendet werden, alles muss gut kalkuliert sein. Dass die Sternegastronomie aber immer nahe am Abgrund ist, glaube ich nicht. Es gibt einfach nur zu viele Menschen in dem Business, die nicht rechnen können.

Wohin steuern Sie Ihr Business?

Ich hätte gerne noch ein oder zwei Lokale in Wien. Dazu muss man aber die Leute finden, die das mittragen. Ansonsten: Ich lebe meinen Traum und bin glücklich.

Bei der Berufs-WM in Abu Dhabi hat der österreichische Koch die Bronzemedaille gemacht. Ist die Lehre ein gutes System?

Ich weiß es nicht, kenne aber nichts Besseres. Wir Gastronomen müssen aber endlich unserem Negativimage entgegenwirken und den Beruf wieder attraktiver machen. Ich selbst habe keine Lehrlinge, obwohl ich welche haben sollte. Das war bisher in der Aufbauarbeit nicht möglich. Aber wir haben jedes Jahr Praktikanten – unser Beitrag zur Jugendförderung.

Die Gäste sind oft Hobbyköche, Grillmeister. Kommt da viel Kritik?

Ich bin froh, dass ich kein Wirtshaus habe, weil da würden sicher viele mitreden wollen. In der gehobenen Küche kommt das weniger vor. Aber ich nehme den Gast, der sich auskennt, schon sehr ernst. Ich habe kein Problem mit Kritik. Und finde auch, dass sich der Koch entschuldigen darf, wenn etwas nicht passt – und die Gäste sollen das auch annehmen können. Wir versuchen alles, dass es gut ist, wir respektieren unsere Gäste. Aber vom Spruch "Der Gast ist König" halte ich nichts. Das hier ist mein Schloss – und der Schlossbesitzer bin ich.

Filippou schiebt mir den Teller zu. "Sie können ruhig aufessen..." Das Gericht – so einfach, so gut. Eh klar.

Konstantin Alexander Filippou (36) wurde in Graz als Sohn eines Griechen und einer Österreicherin geboren. Der multikulturelle Zusammenschluss der Eltern ist sein Impulsgeber. Seine Kochstationen: Lehre im Hotel Unterhof, Filzmoos. Dann: Obauer in Werfen; Steirereck in Wien; Gordon Ramsay und Le Gavroche in London; Arzak in San Sebastian; Weibel 3 und Novelli in Wien. Seit fünf Jahren betreibt Filippou sein Restaurant in Wien (seit 2015 zusätzlich ein Bistro). Er ist vielfach ausgezeichnet: Gault Millau Koch des Jahres 2016 bzw. 3 Hauben 2017; Guide Michelin 2016: 1 Stern.

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