Generalist oder Spezialist?

Wer ist in Zukunft gefragt?
Wer wird künftig am Arbeitsmarkt Zukunft gefragt sein? Generalisten, die das große Ganze sehen, facettenreiche Kompetenzen haben und sie flexibel einsetzen.Oder Spezialisten, die Profi in ihrer Nischen sind und mit Fachwissen glänzen.

Gesehen in einer aktuellen Stellenanzeige: Gesucht wird ein "Allrounder für die Kommunikationsabteilung". Die Bewerber sollen sich als Schaltzentrale verstehen, von Organisation bis Kommunikation alle Bereich abdecken können. Management-Skills, für den Umgang mit Mitarbeitern , und technische Fertigkeiten, für die Erstellung von Präsentationen und kleine Programmier-Arbeiten sind von Vorteil. Hier wird ein Generalist gesucht. Eine breit aufgestellte Persönlichkeit mit umfangreichem Wissen, offen für neue Aufgaben, vielerorts und flexibel einsetzbar. Ein Traum für einen Arbeitgeber.

Gesehen in einer anderen Stellenanzeige: Gesucht wird ein Finanzmathematiker für die Wirtschaftsprüfung. Die Anforderungen: Facheinschlägiges Studium, tiefes Wissen in diesem Bereich, langjährige Erfahrung. Ein Spezialist, mit besonderer Expertise, dessen Können schwer nachahmbar und deshalb besonders wertvoll für das Unternehmen ist. Ein Traum für einen Arbeitgeber.

Welcher ist der Richtige?

Ob ein Generalist oder Spezialist gebraucht wird, müssen sich Personalverantwortliche bei jeder Neubesetzung fragen. Die Antwort ist klarerweise immer von der Stelle und der Unternehmensstrategie abhängig. Beim genauen Durchschauen von Anzeigen hatte man bisher aber schon den Eindruck: Allrounder sind in Kommunikations- und Organisationsjobs gefragt, auch für Projektmanagement oder Leitungsposition werden Alleswisser präferiert. Die Spezialisten hingegen, die Genauwisser, sind in juristischen, technischen, medizinischen und zahlenlastigen Jobs gefragt. Blättert man heute durch die Stellenanzeigen, findet man die explizite Nachfrage nach den Allroundern immer seltener. In Zeiten des rasenden technischen Fortschritts suchen Firmen zunehmend nach dem gewissen – sehr speziellen – Etwas.

"Die Märkte verändern sich, wir leben in Zeiten großer Umwälzungen", sagt Martin Mayer, Geschäftsführer der Personalberatung Iventa. Weil sich Unternehmen international aufstellen, die Anforderungen an einzelne Jobs immer größer werden, man dem steigenden Wettbewerb standhalten und gleichzeitig seine Einzigartigkeit ausbauen möchte, läge der Fokus aktuell eher auf der Rekrutierung von Spezialisten. Mayer meint, man müsse sich schließlich nur selbst fragen: Will man von einem Allgemeinmediziner operiert werden oder von einem Facharzt? Wünscht man eine Rechtsberatung von einem Generalisten oder von einem, dessen Fachgebiet gerade dieses eine Thema ist?

Ein tiefes Fachwissen in einer Nische allein sei aber kein Jobgarant. "Auch von den Spezialisten erwartet man eine gewisse generalistische Grundkompetenz. Nur Fachidioten – das will man heute auch nicht mehr ." Mitdenken, aufgeschlossen sein und ein breites Fachwissen haben – so sollten alle Mitarbeiter sein. Der Arbeitsmarkt brauche diese Fähigkeiten. Breiter aufgestellte Spezialisten täten sich so leichter, neue Jobs zu finden, quereinzusteigen, sich auch weiterzuentwickeln. Nur so hätten sie dann auch Chancen, wenn sich ihre Branche umstrukturiert, Personal abgebaut wird, sich ihr Spezial-Wissen möglicherweise schneller erneuert, als sie mit der Weiterbildung nachkommen. "Das ist beim Typus des Spezialisten ein großes Problem. Gerade die IT-Branche ist hier auf lange Sicht sehr gefordert", so Mayer.

Bildungssystem gibt Richtung vor

Das Bologna-System zeigt schon deutlich, welche Ausbildung sich die Wirtschaft von ihren Jobeinsteiger wünscht und welcher Typus gefragt ist: Der Bachelor ist für die Generalisten-Ausbildung vorgesehen, im Master soll man sich spezialisieren. "Idealerweise sammelt man zwischen den zwei Studien ein paar Jahre Berufserfahrung", sagt Mayer. Eine zu frühe Spezialisierung halte Mayer für wenig sinnvoll. "Man findet schließlich erst mit den Jahren heraus, was einem liegt, worin man sich vertiefen möchte."

Profundes Nischenwissen zahlt sich am Arbeitsmarkt aber schon aus, sieht man sich die Arbeitslosigkeit unter Akademikern an: Sie ist unter Generalisten höher als unter Spezialisten. Nach Studienrichtungen gibt es die höchste Arbeitslosigkeit bei Absolventen der Fächer Betriebswirtschaftslehre, Jus und Psychologie. Die niedrigste hingegen bei den Sportwissenschaften und in den Musikstudien.

Zu einem interessanten Schluss kommen diesbezüglich auch Auswertungen der Plattform www.gehalt.de. Sie zeigen: Absolventen der Geisteswissenschaften verdienen in ihrer Branche ihr Leben lang weniger als spezialisierte Techniker oder Ingenieure. Anders ist das, wenn sie sich fächerspezifischer orientieren, einen Führungsjob annehmen oder in einen gänzlich fachfremden Bereich wechseln.

Was den Aufstieg betrifft, gelte aber eine andere Regel: Je höher die Position, desto eher wird sie von einem Generalisten bekleidet, so Mayer. Einem, der das Ganze im Blick hat, mit Mitarbeitern und Kunden kann. Aber auch Spezialisten, die sich im Zuge ihrer Karriere breiter aufstellen, kommen hinauf. CEOs kommen durchaus auch aus dem technischen oder juristischen Bereich.

Als Fan der Spezialisten würde sich Strategieexperte und Unternehmensberater Christoph Zulehner bezeichnen. Er sagt: "Breite geht immer auf Kosten der Stärke. Ein Generalist muss sich immerzu fragen: Was muss ich denn noch alles können? Der Spezialist hingegen hat den Fokus und überlegt eher: Was brauche ich nicht?"

Weil die Wissenszyklen heute immer kürzer werden, sich Fachwissen in vielen Bereichen erneuert und wächst – im Gesundheitsbereich allein verdopple sich die Menge an Wissen alle drei bis fünf Jahre, schätzt Zulehner – , sei es für Generalisten schwierig, da mitzuhalten. "Allroundertum ist out, Spezialisten gehört die Zukunft", ist Zulehner sicher. Denn: "Die Nischen – von der Medizin über die Forschung bis hin zur Dienstleistung – werden heute immer kleiner und feiner. Diese Sub-Spezialisierung zu bedienen ist für Unternehmen eine Herausforderung." Und eine Chance für Nischen-Profis.

Letzte Hürde: Lebenslauf

Man würde meinen: Wenn Unternehmen einen Spezialisten suchen, würden sie auch einen Spezialisten einstellen. Irrtum, zeigen Studien. Im Lehrbuch "Organizational Behavior and Human Decision Processes" zeigen die Wissenschaftler LongWang und J.Keith Murnighan einige Beispiele, bei denen Personalverantwortliche auf die Qualifikations-Masse statt Klasse gesetzt haben. Obwohl sie eine Spezialistenstelle besetzen wollten, haben sie sich am Ende doch vom facettenreichen Generalisten beeindrucken lassen.

Das wirft die Frage auf: Worauf also als Bewerber setzen? Die Breite oder die Tiefe betonen? "Der Markt schreit nach Spezialisten", bleibt Zulehner seiner Überzeugung treu. Aber: "Wird in der Ausschreibung ein Allrounder gesucht, sollte man die Bewerbung natürlich auch in diese Richtung drehen." Man ginge mit einer Bewerbung ohnehin immer in Vorleistung und müsse in jeden neuen Job erst hineinwachsen. Sich anpassen. Und was macht nun der Allrounder-Superstar mit der breiten Palette an Skills? Er braucht nicht verzweifeln, sagt Martin Mayer von Iventa. "Wenn man eine generalistische Basisausbildung hat und das tut, was man gerne macht, wird es auch immer einen Job dazu geben."

Kommentare