Gehirn aus, Erfolg an?
Negative Fakten im Business-Plan ausblenden oder rigide ehrlich bleiben? Herrn Maier anstellen oder Frau Huber? Bei der Gehaltsverhandlung forsch oder bescheiden auftreten? Den verärgerten Kunden zur Geschäftsführerin durchlassen oder selbst die Situation schlichten?
Pro Tag treffen wir 20.000 Entscheidungen. Den Großteil davon unbewusst , weil uns die ständige Auswahl an den Rand des Wahnsinns führen würde. Aber selbst die – im Vergleich wenigen – Entscheidungen, die verbleiben, haben das Potenzial, unsere Psyche auf die Probe zu stellen. Denn eine einzige Fehlentscheidung kann einen Karriere-Kollateral-Schaden nach sich ziehen. Laut der Studie "Recruiting Trends 2014" der Personalberatung Pape passieren mehr Fehler, als gedacht. Etwa bei Personalentscheidungen: Ein Drittel der 2800 befragten Geschäftsführer gab zu, in den vergangenen sechs Monaten mindestens eine personelle Fehlentscheidung getroffen zu haben – die Kosten für diese Flops beliefen sich auf bis zu 100.000 Euro.
Entscheidungen zu treffen ist also oft keine leichte und noch seltener eine angenehme Sache – selbst wenn es nicht um derart hohe Geldsummen geht. Aber diese Einsicht hilft im Arbeitsalltag wenig. Denn da sind die kleinen und großen Entscheidungen Alltag – und müssen getroffen werden.
Rationalität ist passé
Aber wie geht es leichter? Besser? Stressfreier? Hirnforscher beschäftigt die Frage, wie wir fundiert entscheiden, intensiv. Lange Zeit galt es als der beste und klügste Weg, völlig rational zu entscheiden. Aber immer mehr stellt sich heraus: Der Bauch redet bei Entscheidungen mit. Und er sagt nicht selten klügere Dinge als das Hirn. Intuition bekommt heute als "unbewusste Intelligenz" ihren Stellenwert.
Dabei muss man aber sagen: Auch das Bauchgefühl entspringt wohl dem Gehirn. Der portugiesische Neurowissenschafter António Damásio hat dort sogenannte "somatische Marker" entdeckt, die er als Grundlage allen menschlichen Entscheidens sieht. Sie helfen uns beim Denken, indem sie eine unbewusste Vorselektion treffen oder wie eine Alarmglocke im Bauch losschrillen, wenn uns eine Entscheidung schaden könnte. Der deutsche Biologe und Hirnforscher Gerhard Roth weiß, dass unterschwellige Lust- und Unlustgefühle viele Entscheidungen beeinflussen. "Kompliziertere Entscheidungen spielen sich im Spannungsbereich zwischen Gefühlen einerseits und Verstand und Vernunft andererseits ab", schreibt er. Psychologe Gerd Gigerenzer postuliert: Bauchentscheidungen, die auf Faustregeln oder Fachwissen basieren, sind eine rationale Strategie, die man nicht mit einer zufälligen Eingebung oder Naivität verwechseln darf. "Die psychologische Forschung unterscheidet zwischen intuitiv zustande gekommenen Entscheidungen, die auf erworbenem Expertenwissen beruhen und solchen, die via Daumenregeln im Alltag angewandt werden. Nicht einmal die Experten können die erworbenen Hinweise, aufgrund derer sie entscheiden, vollständig benennen", erklärt Philosophin Eva-Maria Engelen (siehe Interview rechts).
Intuitiv und gelassen
Fest steht: Das wirtschaftswissenschaftliche Modell des Homo oeconomicus, der Kosten und Nutzen jeder Entscheidungen nüchtern abwägt, ist passé. Selbst in obersten – und männlichen – Managementkreisen ist Gefühl angesagt. "Zahlen und die darauf fußende Analyse dienen als Entscheidungsbasis. Das Bauchgefühl gibt die emotionale Rückendeckung", sagt etwa Georg Grassl, Henkel CEE. "Große Erfolge sind meist nicht über Zahlen, Empirie und Simulation entstanden, sondern über Intuition, Leidenschaft und die Fähigkeit, über den Tellerrand zu blicken", meint Thomas Gratzer, Vorstand bei Josef Manner.
Aber: Kann man seiner Intuition wirklich trauen? Ist intuitives Handeln vielleicht die Lösung des Unentschlossenheits-Problems, dass viele angesichts zu großer Auswahl befällt?
Ja, meint Entscheidungs-Forscher Yoel Inbar. Denn der Versuch, komplexe Entscheidungen mit wohl durchdachten Überlegungen anzugehen, löst Stress aus – vor allem wenn wir glauben, unter Zeitdruck zu stehen. Zu viele Faktoren überfordern unser Arbeitsgedächtnis. Intuitiv zu entscheiden mindert den Stress und bringt gleichzeitig einen weiteren Vorteil: Schnelligkeit – ein in unserer Leistungsgesellschaft immenses Gut. Studien zeigen, dass wir 220 bis 260 Millisekunden nach einem Entscheidungsreiz wissen: "Das will ich". Aber erst ab der 480. bis 640. Millisekunde setzt der Verstand ein. Er kalkuliert, verifiziert und begründet rational, was emotional schon entschieden ist.
Intuition ist fehleranfällig
Hier liegt die Krux des intuitiven Handelns begraben: Denn versagt die Kontrollfunktion des bewussten Systems, passieren Fehler. Vor allem, weil wir intuitiv zum Tunnelblick neigen, also eher Informationen auswählen, die zu unseren Erwartungen und Überzeugungen passen. Auch zu schnelles Handeln ist nicht immer ideal: Denn unbewusste Denkprozesse können erst dann aufblühen, wenn man "eine Nacht darüber schläft".
Vertrauen sollte man seiner Intuition vor allem, wenn man in einem Gebiet ohnehin Expertin ist. "Je besser man ein Thema kennt und durchdrungen hat, umso mehr kann man sich auf sein Gefühl dazu verlassen", sagt etwa Infineon-Chefin Sabine Herlitschka. Idealerweise hört man auf Bauch und Kopf. "Ich muss immer beide miteinbeziehen", erklärt Zissa Grabner, Gründerin des österreichischen Onlineshops fromaustria.com: "Doch Verstand und Emotion in Einklang zu bringen, ist oft eine große Herausforderung."
KURIER: Überfordert uns die Vielzahl an Entscheidungsmöglichkeiten und brauchen wir – auch gegen das Übel der Unentschlossenheit – eine neue, intuitivere Kultur des Entscheidens?
Eva-Maria Engelen: Auch wenn wir mit der Vielzahl von Entscheidungen, die uns tagtäglich abverlangt werden, nicht überfordert wären, benötigten wir in Entscheidungsprozessen Intuitionen und Emotionen. Denn diese erlauben schnellere Reaktionen als langwierige Überlegungen und sind daher in jedem Fall notwendig, um etwa in Notfallsituationen rasch entscheiden zu können. Emotionen sind zudem erforderlich, damit uns die Dringlichkeit einer Entscheidung bewusst wird.
Wie vertrauenswürdig sind Emotionen als Informationsquelle und Entscheidungshilfe?
Diese Quelle kann man nur nutzen, wenn man emotionales Verhalten reflektiert. Das klingt zunächst paradox, weil ich gerade dargelegt habe, dass wir Intuitionen und Emotionen benötigen, weil sie unreflektiert von statten gehen und dadurch schnelleres Handeln und unmittelbarere Entscheidungen ermöglichen, als es langwierige Reflexionen tun. Damit eine emotionale Reaktion dazu beiträgt, eine richtige Entscheidung zu treffen, muss sie allerdings auch angemessen und zutreffend sein. Wir müssen daher lernen, wann unsere Emotionen uns in einer Situation zu einem angemessenen Verhalten führen, um sie nutzen zu können.
Stimmt es, dass Menschen, die sich als rational beschreiben, im Alltag öfter falsche Entscheidungen treffen?
Im Moment ist mir keine empirische Untersuchung präsent, die diese Annahme wissenschaftlich belegt. Aufgrund meiner persönlichen Beobachtungen würde ich dem zustimmen. Gründe dafür könnten etwa sein, dass Emotionen Abkürzungen sind, die schneller funktionieren als rationale Überlegungen. In der realen Welt kommt es meist auf Schnelligkeit an, um angemessen entscheiden und handeln zu können. Außerdem sind alltägliche Handlungssituationen überkomplex – sie lassen sie sich mit Wissen, das lediglich auf explizit angebbaren Entscheidungskriterien beruht, nicht bewältigen.
Warum braucht der Mensch Affekte, um handeln zu können?
Damit wir motiviert sind zu handeln, reicht es nicht, dass wir zum richtigen Urteil kommen. Wir müssen zusätzlich motiviert werden zu handeln, und genau dafür benötigen wir Emotionen. Das intuitiv getroffene Urteil reicht unter Umständen genauso wenig, um eine Handlung auch wirklich herbeizuführen wie das rationale, das auf Grundlage von expliziten Kriterien und Gründen zustande gekommen ist. Es bedarf der Emotion, damit etwas geschieht.
Info: Ungekürztes Interview
www.kurier.at/karrieren
„Wissende Intuition als Entscheidungsgrundlage“
Sabine Herlitschka, Vorstandsvorsitzende & CTO Infineon Technologies Austria AG: „Üblicherweise entscheide ich auf Basis von Analyse des Sachverhalts, des Kontexts und der Diskussion mit wesentlichen Akteuren im Zusammenhang mit dem jeweiligen Thema. Generell habe ich immer wieder erlebt und gelernt, dass die wissende Intuition eine hervorragende Entscheidungsgrundlage ist.“
„Rational begründen und emotional verteidigen“
Georg Grassl, General Manager Laundry & Home Care Österreich Henkel CEE: „Es sind immer sowohl Kopf als auch Bauch wichtig. Denn man kann letztlich nur zu einer Entscheidung stehen, die sich rational begründen und emotional verteidigen lässt. Wenn etwas immens wichtig ist, es einen zeitlichen Spielraum gibt, lohnt es, die getroffene Entscheidung mit etwas Abstand ein zweites Mal zu reflektieren.“
„Das Baugefühl allein ist oft zu emotionsgeladen“
Zissa Grabner,Geschäftsführerin Michael Grabner Media und Gründerin fromaustria.com „Als erstes meldet sich natürlich der Bauch. Er weiß sofort, was für Erfahrungen mit welchen Auswirkungen ich bisher gesammelt habe. Der Kopf sollte auf jeden Fall mitreden dürfen, da das Bauchgefühl alleine oft zu emotionsgeladen ist. Doch Verstand und Emotion in Einklang zu bringen, ist eine große Herausforderung.“
„Bei Innovation entscheidet immer der Bauch mit“
Thomas Gratzer, Vorstand für Produktion und Technik Josef Manner & Comp. AG: „Letztendlich kommt es immer auf beides – Kopf und Bauch – an. Zahlen, Daten, Fakten sind eine wichtige Basis, aber in der Regel nicht allein erfolgsentscheidend, da ein Gespür für Trendentwicklung rational schwer abgebildet werden kann. Bei der Einführung einer Innovation wird letztendlich immer der Bauch mitentscheiden.“
„Zuerst der Kopf, dann aber Bauch und Herz“
Regina Prehofer, Vizerektorin WU Wien: „Berufliche Entscheidungen habe ich letztlich immer mit Bauch und Herz getroffen. Denn was man gerne macht, das macht man gut, davon bin ich überzeugt. Wichtig ist mir dabei aber schon, nicht völlig spontan und übereilt zu entscheiden, sondern die Basis für die Entscheidung zu analysieren. Sozusagen: Zuerst der Kopf, dann aber Bauch und Herz.“
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