Gegen den digitalen Fetischismus
Während die ganze Welt nach Vernetzung strebt, erhebt er seine Stimme gegen sie. Technik-Mastermind Evgeny Morozov warnt vor der globalen Über-Digitalisierung.
KURIER: Ihr neues Buch heißt in der Originalsprache „To Save Everything, click here“. Eine Anspielung auf unsere vermeintlich unkomplizierte, vernetzte Welt?
Evgeny Morozov: Der Titel ist eine Anspielung auf eine der zwei zentralen Ideen, die ich in meinem Buch kritisiere. Ich nenne sie „Solutionism“ – eine Art Über-Lösungsorientierung – und beschreibe sie als Fetischismus unserer jüngsten Technologie-Entwicklung. Apps, Web-Sites und Gadgets sollen heute angeblich Probleme lösen. Es ist aber so, dass viele dieser Probleme gar keine sind. Und jene, die tatsächlich welche sind, wären mit Politik und Gesetzen lösbar. So gut, wie es die Technologie niemals schaffen würde.
Sie warnen auf 656 Seiten vor dem Perfektions-Willen der digitalen Kultur. Warum sind Sie so skeptisch?
Ich habe während meiner Arbeit bei einer NGO und meines Stipendiums in Stanford beobachten können, dass vieles vom früheren Hype um befreiende, digitale Netzwerke vor allem eines war: ein Hype. Ich habe erlebt, dass sogenannte Start-up-Entrepreneure in Silicon Valley bestehende gesellschaftliche Strukturen einfach nur niederreißen möchten. In ihrem Tun deckt sich kaum etwas mit meinen Gedanken zu Demokratie und dem sozialen Leben. Ich mache mir große Sorgen, wo uns die Silicon-Valley-Zukunft hinführt.
Wirtschaft, Politik und Kultur profitieren doch von der zunehmenden Vernetzung.
Millionen Menschen fahren auch Auto und verbrauchen Energie in ihrem Zuhause, was uns auch nicht unbedingt weiterbringt, wenn wir dem Klimawandel entgegenwirken wollen. Ich kaufe keine Argumente, wie „Es ist okay, wenn es alle tun“. Das ist eine Mentalität, von der wir uns lossagen müssen.
Wie wird sich die Digitalisierung weiterentwickeln?
Es wird sich eine Kombination aus Technokraten und vermeintlichen digitalen Problemlösern durchsetzen, die uns Smartphones, soziale Netzwerke und Google Glass zur Verfügung stellen, damit wir nicht mehr hinterfragen oder gar wissen, mit welchen Mitteln wir manipuliert werden, um ja nicht zu viel zu essen, ja genug Sport zu treiben und sonst noch was zu tun, um ein idealer Model-Mensch zu sein. Kein schönes Bild.
Was sind Ihre Lösungsansätze für die Vermeidung dieses Szenarios?
Ich habe ein Buch über die Gefahr von „Solutionism“ geschrieben, also wäre es nicht fair von mir, selbst wieder Lösungen vorzuschlagen. Das Beste, das wir tun können, ist, unser Denken zu reinigen, damit wir imstande sind, unsere Technologien nicht mehr so zu designen, dass sie uns alle Entscheidungen abnehmen. Sondern so, dass sie uns erlauben, vielleicht noch bessere Entscheidungen zu treffen als früher.
Die Auswirkungen von Technologie auf die Politik und das soziale Leben beschäftigen den 29-Jährigen Weißrussen seit Jahren. Er gilt als der Technologie-Guru seiner Generation, die New York Times betitelt seine Theorien als richtungsweisend. „Jede Revolution bedingt eine Gegenrevolution. Und so hat uns die digitale Revolution Evgeny Morozov gebracht“, schreibt sie. Das Ausnahmetalent hat 2011 das vielbeachtete Buch „The Net Delusion“ geschrieben und unter anderem an den renommierten Universitäten in Georgetown und Stanford studiert. Sein aktuelles Thema: Die Menschen müssen sich vom gehypten Allheilmittel Internet und der attraktiven Blase um Apple, Google und Facebook distanzieren und ihren Geist wieder eigenständig für soziale, kreative und politische – reale – Anliegen öffnen.
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