Lehrlingsmangel im Friseursalon: Warum die Zahlen in Österreich dramatisch sinken

Verkehrte Welt: Betriebe müssen sich heute bei Arbeitssuchenden bewerben.
Lena Großler und Raffaela Kainz sind eine Besonderheit. Die zwei Friseur-Lehrlinge sind zuverlässig, engagiert, kreativ und können gut mit Kunden kommunizieren. Eine Selbstverständlichkeit ist das mittlerweile überhaupt nicht mehr, weiß auch ihre Chefin Gülten Karagöz. „Ich habe zwei Jahre lang gesucht, bis ich die zwei gefunden habe, weil es so schwierig geworden ist, geeignete Lehrlinge zu finden.“ Die 56-Jährige betreibt im vierten Wiener Gemeindebezirk einen Friseursalon, in dem sie auch selbst wäscht, schneidet und föhnt. Seit 1994 bildet sie Lehrlinge aus und ist zudem Innungsmeisterin der Wiener Friseure.
"Die heutige Generation sei nicht bereit, 40 Stunden pro Woche zu arbeiten"
Die Lehrlingsausbildung steckt in der Krise. Das hat mehrere Gründe. „Manchmal glaube ich, die Welt ist vollkommen verkehrt geworden. Früher haben sich Lehrlinge einfach bei uns beworben. Heutzutage schickt uns vorrangig das Arbeitsmarktservice eine Liste mit Arbeitssuchenden und wir müssen uns bei den Lehrlingen für ein Vorstellungsgespräch melden“, sagt Karagöz. Hauptsächlich würden sich dann jene bewerben, die der deutschen Sprache nicht zu hundert Prozent mächtig sind.
Schwierig, in einem Beruf, bei dem die Kundenkommunikation so entscheidend ist, damit der Kunde das Ergebnis bekommt, was er sich vorstellt. „Nach dem Bewerbungsgespräch macht man sich einen Praktikumstag zum Schnuppern aus und dann erscheinen die meisten nicht. Das ist nicht nur in meinem Betrieb so. Das höre ich auch von anderen Betrieben in Wien“, sagt Karagöz.
Wie in so vielen anderen Branchen, kämpft man auch bei den Friseuren mit dem heutigen Wunsch nach Work-Life-Balance. „Viele wollen am Freitag nur bis 12 Uhr arbeiten und am Samstag gar nicht. Aber gerade am Wochenende brauchen die Menschen Frisuren für Hochzeiten oder Events“, sagt Karagöz. Die heutige Generation sei nicht bereit, 40 Stunden pro Woche zu arbeiten.
Der Kostendruck ist zu groß
Eine Meinung, die auch Wolfgang Eder, Bundesinnungsmeister der Friseure vertritt: „Das Problem ist, die 40 Stunden stehen im Berufsausbildungsgesetz und sind damit Pflicht.“ Jetzt gibt es aber viele Betriebe, die keine 40-Stunden-Woche mehr anbieten. Diese Betriebe dürfen gar keine Lehrlinge mehr aufnehmen. „Wir haben nicht nur einen Mangel an Lehrlingen, sondern auch einen Mangel an Betrieben, die ausbilden“, sagt Eder.
Der Hauptgrund dafür: Der Kostendruck ist zu groß geworden. „Die Lohnkosten betragen im Durchschnitt 60 Prozent des Umsatzes. Ein Lehrling in der Branche ist im Vergleich zu anderen Branchen teurer, weil er nicht so schnell einsetzbar ist wie im Handel oder am Bau.“ Erst etwa im zweiten Lehrjahr kann der Lehrling
kostendeckend eingesetzt werden. Auch die Barbershops, die in den vergangenen Jahren den Markt verändert haben, sind keine Option. Da diese nur Herrenschnitte und Bartfrisuren anbieten, sind sie laut Gewerbeordnung nicht berechtigt, Friseure auszubilden. „Viele von den Betreibern der Barbershops sind zudem nur angelernt und haben selbst keine fundierte Fachausbildung“, sagt Eder.
Rückgang von 56,4 Prozent
Einerseits werden Lehrlinge gesucht und gebraucht, andererseits ist dann wieder kein Platz für sie. Das zeigt sich auch in den Zahlen: Laut Lehrlingsstatistik der Wirtschaftskammer Österreich ist in der Zeit von 2010 bis 2024 ein Rückgang der Lehrlingszahlen bei den Friseuren von 56,4 Prozent zu verzeichnen. Spitzenreiter ist Vorarlberg mit –68,5 Prozent. Zudem heißt es aus der WKÖ, dass personenbezogene Dienstleistungen (Masseur, Friseur, Kosmetiker) am stärksten von allen Branchen von Fachkräftemangel betroffen sind.
Ein wichtiger Einflussfaktor ist auch die demografische Entwicklung. Es gab in Österreich Anfang 2025 um rund 12.600 weniger 15-Jährige als 2008. Das hat Auswirkungen auf die (absoluten) Lehrlingszahlen. Im Trend liegt aktuell auch eher eine akademische Ausbildung als eine Lehre. „Wenn die Situation nicht besser wird, befürchte ich, dass künftig in diversen Salons keine Neukunden mehr genommen oder sehr lange Wartezeiten zur Regel werden“, sagt Eder. Er bleibt aber optimistisch.
Gemeinsam mit den Kollegen versucht er die 40 Stunden im Berufsausbildungsgesetz zu senken und damit mit der Zeit zu gehen. „Wir fordern auch eine Senkung der Mehrwertsteuer von 10 Prozent. So gäbe es mehr Geld für Gehalt und Ausbildung. Eine staatliche Förderung für Betriebe, die ausbilden, wäre auch wünschenswert.“ Eines steht fest: Die Künstliche Intelligenz wird sich nicht in einen Salon stellen und Haare schneiden. Eder: „Während andere Unternehmen in Maschinen und Technologien investieren, müssen wir in die Ausbildung von Menschen investieren.“
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