Fachkräftemangel – ein Mythos?
Den Fachkräftemangel gibt es", sagt Andreas Gruber, Arbeitsmarktexperte der Industriellenvereinigung (IV) anlässlich einer Pressekonferenz diese Woche. Und präsentiert dazu aktuelle Zahlen: Eine Analyse der gemeldeten offenen Stellen beim Arbeitsmarktservice (AMS) versus der Anzahl der Bewerber zeigt, dass Fräser, Dreher, Schweißer, Dachdecker, Bauspengler und Maschinenbauer stärker nachgefragt sind, als es Bewerber für diese Jobs gibt.
"Von einem Mangelberuf spricht man, wenn auf eine offene Stelle nicht mehr als 1,5 Bewerber kommen", so Gruber. Den Fachkräftemangel spüre man vor allem in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), in diesen Bereichen liege auch viel Potenzial brach, "aber es gelingt uns etwa nicht, Frauen für technische Berufe zu begeistern. Das ist aus wirtschaftspolitischer Sicht schockierend", bedauert Gruber.
Gerjan Mazenier, General Manager vom Fachkräfteüberlasser Brunel und gebürtiger Holländer, widerspricht.
KURIER: Herr Mazenier, gibt’s nun den viel zitierten Fachkräftemangel?
Gerjan Mazenier: Nee. Gibt’s nicht.
Warum reden wir dann seit Jahren darüber?
Man kann das Thema Fachkräftemangel von vielen Seiten betrachten. Ich glaube, das Thema kommt hoch, weil eine Firma heute nicht mehr ihren Top-Wunschkandidaten finden kann. Aber da sind die Unternehmen zum Teil selbst schuld.
Warum finden sie den Wunschkandidaten nicht?
Weil es nur wenige junge Leute gibt, die billig sind. Es gibt mehr ältere Leute, die teuer sind – aber die holt man nicht so gern.
Sie meinen, die Firmen sind zu wenig flexibel?
Ja, wenn der Kandidat nur zu 95 Prozent passt, heißt das nicht, dass das ein schlechter Mitarbeiter ist. Hinzu kommt: Ich kenne keine Firma, wo ein Projekt nicht stattgefunden hätte, weil Mitarbeiter gefehlt haben. Die Projekte laufen alle weiter und Firmen wachsen.
Sie meinen auch, die Firmen seien beim Thema Arbeitskräftemangel noch recht entspannt.
Das ist für mich die größte Bestätigung dafür, dass es den Arbeitskräftemangel nicht gibt: Die Firmen suchen nicht nach Alternativen. Sie suchen nicht im Ausland, stellen keine Spanier ein, orientieren sich nicht neu. So groß kann das Problem also nicht sein.
Arbeitskräftemangel gibt’s auch nicht punktuell in bestimmten Branchen?
Nein. Aber vielleicht in bestimmten Regionen. Die Menschen sind sehr unflexibel. Speziell in Österreich ist der Arbeitsmarkt sehr lokal. Ein Fußballverein, der nur Messis sucht, wird sich schwertun. Spitzenkandidaten gibt es wenige. Aber das ist noch lange kein Fachkräftemangel.
Es ist also ein Problem der Zusammenführung von Firma und Mitarbeiter.
Genau. Lokalität, Flexibilität und Akzeptanz, dass es nicht die 100-Prozent-Lösung gibt, das ist es. Die Firmen in Österreich stellen sich auch nicht attraktiv genug auf. Sie haben eine Firma, die glänzt: Red Bull. Da will man arbeiten und zieht auch gerne an den See. Viele Mittelständler tun sich bei der Attraktivität aber noch sehr schwer.
102 Tage auf der Suche
Aktuell liegt die Arbeitslosenrate in Österreich (Stand April 2012) bei 4,0 Prozent nach Eurostat-Berechnung, das ist der niedrigste Wert in der EU. Die Jugendarbeitslosigkeit in Österreich liegt bei 8,6 Prozent, Platz zwei hinter Deutschland. Geändert hat sich die Verweildauer in Arbeitslosigkeit: Sie lag in den Jahren der Hochkonjunktur bei durchschnittlich 91 Tagen, heute bei 102 Tagen. Die demografische Verschiebung am Arbeitsmarkt wird immer deutlicher sichtbar: Die überwiegende Anzahl der Beschäftigten ist derzeit zwischen 35 und 55 Jahre alt. Das wird sich zugunsten der über 55-Jährigen ändern – sie werden schon bald die stärkste Altersgruppe sein.
Ein Arbeitskräftemangel herrscht laut AMS, wenn auf eine offene Stelle nicht mehr als 1,5 Bewerber fallen. Derzeit herrscht großer Mangel in mathematischen, technischen, naturwissenschaftlichen Berufen und in der Informatik.
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