Eventim-Chef Klingler über das Desaster in der Event-Branche

Eventim-Chef Klingler über das Desaster in der Event-Branche
In der Event-Branche weiß niemand, wie es weitergeht. „Die Politik hat keinen Plan“, sagt Eventim-Chef Christoph Klingler im Interview.

Wir treffen Christoph Klingler, CEO von CTS Eventim Austria in seinem Büro in Wien 1060. Niemand da auf vier Stockwerken. Die Event-Branche steht seit März 2020 still und damit auch das größte Event-Unternehmen des Landes. Kein Kabarett, keine Konzerte, stattdessen Rückabwicklungen und Perspektivenlosigkeit. Klingler ist voller Zorn gegenüber diversen politischen Minderleistern – seine Kritik spricht er offen aus.

KURIER: Wann war Ihre letzte Veranstaltung?

Christoph Klingler: Die war am letzten Tag vor dem Lockdown im November, Claus Eckel im Stadtsaal. Mit Plexiglas und Maske.

War das lustig?

Es war insgesamt eine Katastrophe. Ein lustiger Abend, aber es war auch traurig. Es endete melancholisch, mit dem Satz des Kabarettisten: „Ich weiß nicht, wann wir uns wieder sehen, aber vor März wird’s nicht sein“. Er hatte mehr als recht.

Veranstaltungen sollen ja anders sein: Mit Stimmung, mit Menschen, mit Begegnungen. Wann ist so eine Normalität wieder möglich?

Da muss man unser Gesundheitsministerium fragen, wann genügend Impfungen zur Verfügung stehen werden. Weil erst dann, wenn ausreichend viele Menschen geimpft sind, nähern wir uns wieder einer Normalität an.

Eventim-Chef Klingler über das Desaster in der Event-Branche

Eventim-Österreich-Chef Christoph Klingler im leeren  Büro auf der Wiener Mariahilferstraße  

Wie plant eine Firma wie Eventim die Zukunft, wenn alles unplanbar und ungewiss ist?

Wie alle Unternehmen haben wir Budget-Planungsprozesse. Das ist niemals endend, weil es wöchentlich angepasst wird. Wir hatten im Herbst damit gerechnet, dass man sich im Frühjahr 2021 langsam Richtung Business bewegen kann. Und dass mit Sommer eine Normalität eintritt. Dazwischen haben uns zwei Dinge ereilt: ein absolutes Missmanagement der EU und der österreichischen Gesundheitsbehörden beim Impfstoff. Und mutierte Viren. Beides erzeugt weitere Planungsunsicherheit – unser Hauptproblem. Das ist das größte Desaster. Würde man uns sagen, wir können erst in einem Jahr wieder aufsperren, dann kann man sich als Unternehmen darauf einstellen und damit umgehen.

Was sagt man der Branche?

Nichts.

Wie meinen Sie das?

Das Gesundheitsministerium ist für uns seit März nicht erreichbar. Kein Gespräch, kein Termin, kein Kontakt. Und wenn ich von wir rede, meine ich: Unser Konzern und die IG Oesterreichische Veranstaltungswirtschaft. Mit dem Kanzleramt und dem Kulturstaatssekretariat gibt es Austausch, auch mit dem Tourismusministerium. Das hat schnell erkannt, dass es ein Naheverhältnis zwischen Events, Kultur und Tourismus gibt.

Veranstaltungen sind ein großer Wirtschaftsfaktor in Österreich.

Es hat lange gedauert, bis die Regierung das verstanden hat. Dass wir nicht nur ein paar lustige Pantomime sind, die in ihrer Freizeit auftreten, sondern Wirtschaftskraft haben. Wir reden von fast neun Milliarden Euro Wertschöpfung und zehn bis zwölf Millionen Tickets pro Jahr allein aus privatwirtschaftlichen Veranstaltungen.

Die Veranstaltungsbranche zählt mit zu den Branchen, die durch die Corona-Krise am längsten und härtesten getroffen sind: Messen, Kongresse, Konzerte und Events können derzeit kaum oder gar nicht stattfinden.

Ende vergangenen Jahres beschloss die Bundesregierung ein Schutzschirm-Konzept für die Veranstaltungswirtschaft. 300 Millionen Euro stehen als „Versicherung“ für Veranstaltungen zur Verfügung.

Kommt es zu Absagen, sollen nicht stornierbare Ausgaben ersetzt werden. Die Unterstützung der Veranstaltungsbranche ist wichtig für den Tourismus-  und  Wirtschaftsstandort Österreich. Es geht um tausende Existenzen und hunderttausende Arbeitsplätze.

Die Veranstaltungswirtschaft trägt mit fast neun Milliarden Euro 3,4 Prozent zur Wirtschaftsleistung Österreichs bei. Und sie umfasst rund 150.000 Arbeitsplätze, inklusive  Zulieferern sind es 250.000 Jobs.v

Wie viele Tickets verkauft Ö-Ticket normal?

Wir haben normalerweise einen Ticketumsatz von 300 bis 400 Millionen Euro im Jahr. Ich möchte es lieber auf den Tag runterbrechen: Pro Tag sind das normalerweise 20.000 bis 30.000 Tickets – jetzt stehen wir bei 700.

Verwunderlich, dass überhaupt etwas verkauft wird.

Nun, es gibt 2021 und auch schon für 2022 viele spannende Veranstaltungen. Und es gibt zum Glück Menschen, die glauben und hoffen, dass es bald besser wird.

Wie geht Ihre Firma mit einem nahezu Totalausfall um? Das kann man für 2020 wohl so sagen...

... ja, und auch für 2021. Wir haben die letzten Jahre gut gewirtschaftet, haben Rücklagen gebildet. Wir leben zur Zeit vom Eigenkapital. Wobei wir bestimmte Wirtschaftshilfen auch in Anspruch nehmen. Worauf wir jetzt sehr hoffen, ist dieser Schutzschirm für Veranstaltungen.

Das sind 300 Millionen Ausfallshaftung.

Insgesamt ist der Schutzschirm mit 300 Millionen dotiert, das ist eine Art Versicherung für Veranstalter. Das muss aber dringend nachgebessert werden. Denn gerade Großveranstaltungen sind von diesem Schutzschirm nicht umfasst. Weil das mit anderen Hilfsmaßnahmen kumuliert wird – und die Hilfen damit schon ausgeschöpft sind.

Ihre Firma hat derzeit de facto keine Arbeit. Was sind Ihre Maßnahmen?

Im Gegenteil: Wir haben mit Umbuchungen und Kundenservice extrem viel zu tun, bekommen aber kein Geld dafür. Daher wurden Sparmaßnahmen eingeleitet: keine Consultants, Trainer, kein Sprachunterricht, alle Social Benefits sind weg. Das ist eine Konsolidierung im Unternehmen, eine Konzentration auf die DNA. Wir schauen, dass wir unser wichtigstes Kapital, die Mitarbeiter, behalten. Weil wir davon ausgehen: Wenn Normalität eintritt, dann geht das relativ schnell. Denn die Leute sind hungrig auf Events.

Sie konsolidieren im Unternehmen. Was heißt das alles aber für die Branche?

Ich sehe das Problem am stärksten bei den mittelgroßen Veranstaltern. Die Kleinen können sich am ehesten noch selbst helfen, haben nicht so hohe Kosten. Die Großen haben Finanzpolster. Wenn man mittelgroß ist, ist es gefährlich. Auch für die vielen Zulieferbetriebe. Und natürlich für die Freelancer, die seit Monaten keine Jobs haben.

Haben Sie ein Datum vor Augen, ab dem es wieder gehen könnte?

Wir hoffen, dass wir ab Ostern mit kleineren Veranstaltungen loslegen können. Und ab Sommer wieder Open Air. Aber: Wir brauchen klare Ansagen vonseiten der Politik.

Negativ-Tests als Eintrittskriterium. Ein Thema?

Ein heikles Thema. Unsere Branche hat im vergangenen Jahr nicht ein einziges Mal gesagt: Wir müssen spielen. Wir wissen, dass derzeit nichts geht, wir sehen, dass die Pandemie alles lahmlegt. Aber was wir seit Ende Dezember erleben, ist skandalös. Das Gesundheitsministerium spricht nicht mit unserer Branche. Wir werden auf nichts vorbereitet. Wir haben dem Ministerium unser Impfbuchungssystem angeboten – und keine Antwort erhalten. Jetzt sagt man, es gibt Eintrittstests, aber keine Technologie, die diese Tests verifiziert. Niemand hat sich im Vorfeld darum gekümmert. Und kein Friseur oder Ticketkontrolleur kann beurteilen, ob ein Test-Zettel valide ist. Es gibt keinen Verifizierungsstandard. Daran zeigt sich der Dilettantismus insgesamt.

Viel Kritik in Richtung Politik.

Ich spüre einen unglaublichen Zorn gegenüber diversen politischen Minderleistern. Hier sind teilweise Personen in Positionen, denen sie nicht gewachsen sind.

Der deutsche Eventim-Chef sagt, er könne sich vorstellen, dass eine Impfung eine Zugangsvoraussetzung für eine Veranstaltung sein kann.

Das wird die nächste Herausforderung: der Ethik-Rat in Deutschland sagt, dass es privatwirtschaftlichen Unternehmen überlassen sein muss, ihr Hausrecht durchzusetzen. Selbst zu entscheiden, wie sie mit dieser Frage umgehen. Auch dafür braucht es aber gesetzliche Rahmenbedingungen.

Wo ist Ihr positiver Blick in die Zukunft?

Die Logik sagt uns, das kann nicht ewig so sein. Die Medizin sagt uns, es wird Impfstoff für alle da sein und Medikamente geben – es dauert halt. Die Kraft der Wirtschaft wird uns nicht in die Steinzeit zurückfallen lassen, sondern Lösungen finden.

Wird die Eventbranche je wieder, wie sie war?

Ja, natürlich. Es wird alles so, wie es einmal war. Und noch schöner und besser. Die Frage ist, wie lange uns dieses Thema noch begleitet.

 

Über Eventim

CTS Eventim (bzw. die Tochter „Ö-Ticket“) hat normalerweise einen  Ticketumsatz von 300 bis 400 Millionen Euro im Jahr. Pro Tag wurden – vor der Pandemie –  20.000 bis 30.000 Tickets verkauft,  vom Feuerwehrfest bis zum Pop-Konzert.

Das Unternehmen mit Sitz in  München und unter der Leitung von Klaus-Peter Schulenberg (CEO) ist Marktführer  in den Bereichen Ticketing und Live Entertainment. In Österreich wird Eventim von Christoph Klingler geführt und hat 250 Mitarbeiter, Tochter Ö-Ticket nochmals rund 100.   

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