Kein Karriereschritt ohne Eltern: Ist das normal?

Mutter schaut ihrer Tochter über die Schulter während sie vor einem Laptop sitzt.
Vom ersten Berufswunsch bis zum Kündigungsgespräch – Eltern mischen heute stärker mit denn je. Das kann ein Problem werden.

Jugendliche und junge Erwachsene gehen gemeinsam mit ihren Eltern zu Karriereberatungsgesprächen – das ist nicht unüblich, berichtet Roland Schojer, Leiter des Berufsinformationszentrums der Wiener Wirtschaft (BiWi). Es passiert inzwischen so häufig, dass man die Eltern aktiv einbindet, zum Beispiel in Form eines sogenannten Vergleichsprofils, einer Interessensumfrage, die sowohl von den Kindern als auch von den Eltern ausgefüllt und anschließend besprochen wird.

Über dieses Angebot freuen sich vor allem die Eltern, beobachtet BiWi-Beraterin Alexandra Traxler. Warum? „In den Gesprächen fällt auf, dass sich die Jungen zwar Gedanken über ihre Zukunft machen, ihre Berufswünsche jedoch manchmal unrealistisch sind.“ Sie brauchen einen Realitätscheck – und genau den bieten die Eltern, heißt es von den beiden Experten. Eltern greifen damit in die berufliche Planung ihrer Kinder ein – und stoßen dabei kaum auf Ablehnung. 

Im Gegenteil: Die Unterstützung ist willkommen. „Jugendliche vertrauen auf den Rat und die Erfahrung ihrer Eltern“, sagt Schojer. „Karriereentscheidungen sind immerhin gewichtig. Und in dem Alter entscheidet man sich ungern, weil man Angst hat, die falsche zu treffen.“ Die Jungen sind hier stark auf ihre Eltern angewiesen.

Aber wie stark sollte der Einfluss der Eltern sein? Sind sie die Karrierelenker ihrer Kinder? Fragt man Experten, lautet die einfache Antwort: Ja.

v.li: Roland Schojer und Alexandra Traxler

Was Eltern beeinflussen

„Sie sind sozusagen die stärksten Influencer“, meint Roland Schojer. Ihre Sorgen und Vorbehalte gegenüber Bildungs- und Karrierewegen färben auf die Kinder ab, ergänzt Alexandra Traxler. Das zeigt auch eine aktuelle Studie der MINTality Stiftung.

Untersucht wurde, wie Eltern sich die berufliche Zukunft ihrer Töchter vorstellen – mit Fokus auf MINT-Berufe, also Karrieren in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Bereiche, in denen Mädchen und Frauen bekanntlich unterrepräsentiert sind. Ein möglicher Grund dafür ist der elterliche Einfluss, wie die Studie zeigt. 

Denn Eltern sind zwar stark in die Bildungs- und Berufsorientierung ihrer Töchter eingebunden, wissen jedoch meist wenig über MINT-Berufsfelder und könnten so mögliche Unsicherheiten auf ihre Töchter übertragen. Spannend ist hier auch der finanzielle Aspekt: 76 Prozent der befragten Eltern halten Burschen für MINT-Berufe besser geeignet als Mädchen – und investieren in weiterer Folge weniger Geld in MINT-Aktivitäten ihrer Töchter.

Klar ist: Eltern haben meist das letzte Wort, wenn es um den Bildungsweg geht. Und das nicht allein aufgrund des finanziellen Aufwands, wie Dagmar Strohmeier, Psychologin und Professorin an der Fachhochschule Oberösterreich (FH OÖ), weiß.

Seit 2024 befragt sie mit ihrem Forschungsteam Jugendliche an Mittelschulen zu ihrem weiteren Bildungsweg. Konkret, ob sie eine Maturaschule besuchen oder beispielsweise eine Lehre beginnen wollen, und was ihre Entscheidung beeinflusst. Das Ergebnis überraschte Strohmeier: „Mir war klar, dass Eltern eine Rolle spielen, aber ihr Einfluss ist größer als erwartet“, sagt sie im Gespräch mit dem KURIER. Eltern fungieren als Vorbilder und zeigen, welche Berufsmöglichkeiten es überhaupt gibt. Für viele Schüler sind sie damit eine zentrale Orientierung – und bis zu einem gewissen Grad auch Motivation, da Eltern bestimmte Bildungswege für ihre Kinder gezielt anstreben.

Ein entscheidender Faktor ist dabei die Ausbildung der Eltern: „Sie beeinflusst, ob sie sich wünschen, dass ihr Kind die Matura macht oder nicht.“

Die Wichtigkeit von sozialem Kapital lässt sich hier deutlich ablesen. Auch beim zweiten wesentlichen Einflussfaktor der Schüler: Abgesehen von der Familie spielen nämlich die Schulnoten beim Bildungs- und Karriereweg eine Rolle, wie Strohmeier betont: „Schulische Leistung entscheidet, wo man reinkommt und ob man eine maturaführende Schule besuchen kann.“ 

Inwieweit das mit den finanziellen und sozialen Ressourcen der Schüler (und ihrer Eltern) zusammenhängt, wurde in der FH-OÖ-Studie nicht untersucht, dennoch zeigt sich deutlich: Wer mehr Zeit, Ressourcen in Hausaufgaben sowie Lernen investiert, erzielt bessere Noten – und öffnet dadurch mehr berufliche Türen.

v.li: Rüdiger Maas lehnt sich an eine sich spiegelnde Glastür; Dagmar Strohmeier steht vor einem blauen Himmel

Das Hobby der Eltern

„Laut unserer Forschung gibt es kaum einen Berufseinsteiger in dessen Ausbildung oder Beruf die Eltern nicht involviert sind“, sagt Generationenforscher Rüdiger Maas. Selbst wenn ein junger Mensch frustriert im Job ist oder gar kündigen will, werden noch bevor das Gespräch mit dem Vorgesetzten gesucht wird, die Eltern um Rat gefragt. „In den 80er- und 90er-Jahren war das anders“, so der Forscher. „Damals entschied man sich für einen Beruf und hat die Eltern im Nachgang involviert.“ Heute hingegen wollen sich viele nicht abgrenzen oder rebellieren. Sie streben weniger nach Autonomie, fasst er zusammen.

Der Grund dafür liegt laut Maas in der Erziehung selbst: „Diese Tendenz kommt von den Eltern. Sie sind immer dort, wo die Kinder sind. Selbst bei uns im Institut fragen Eltern für ihre Kinder nach, ob Praktika möglich sind.“ Die Folge dieser überbordenden Unterstützung sei eine Generation, die glaubt, unangenehme Aufgaben vermeiden zu können. „Kinder werden bequemer und haben höhere Ansprüche an ihre Umgebung. Sie sind es nicht gewohnt, etwa in der Arbeit auf die Tube zu drücken“, sagt Maas.

Zudem verändert sich auch das Rollenverständnis: Eltern verstehen sich heute oft als Freunde und Kinder fühlen sich zunehmend überfordert. In Maas Befragungen sagen die Jungen, dass sie den Druck verspüren, ihre Eltern stolz machen zu müssen: „Eine Auszubildende meinte sogar, dass es sich nicht gut anfühlt, das Hobby der Eltern zu sein.“

Es braucht also deutlich weniger Involvierung seitens der Eltern – aber wie? „Ein erster Schritt wäre, wenn Ausbildner und Unternehmen Eltern Sicherheit geben und ihnen vermitteln, dass ihre Kinder das auch allein schaffen. So können sie lernen, loszulassen“, meint der Forscher.

Kommentare