Eine Master-Arbeit pro Monat
Seit fünf Jahren arbeitet Federico G. als Ghostwriter. Der Absolvent des Studiums der Politikwissenschaft kommt zum Interview ins Gasthaus im dunklen Sakko mit Stecktuch. Er wirkt in seinem Auftreten wie ein seriöser, sympathischer Geschäftsmann. Vermutlich ein Grund, weshalb seine Kunden das nötige Vertrauensverhältnis zu ihm aufbringen. Nichtsdestotrotz hinterlässt er einen ambivalenten Eindruck. Stellenweise hat man das Gefühl, dem Helfer der Systemverlierer gegenüber zu sitzen, dann wiederum gibt sich der 31-Jährige kritisch und moralisch. Auf die Rechnung für eine Diplomarbeit schreibt er übrigens: Nachhilfe.
KURIER: Sie sind Ghostwriter. Was kriegt man bei Ihnen für Geld?
Federico G.: Grundsätzlich biete ich an, dass die Uni-Arbeiten komplett von mir geschrieben werden. Das heißt, ich bekomme die Forschungsfrage und der Rest wird dann komplett autonom von mir erstellt. Was ich zusätzlich gerne anbiete, ist Mentoring. Also gemeinsam einen Plan zu erstellen und den Kunden über die Monate begleitend zu helfen. Aber das wird selten genutzt.
Wie kommen Sie zu Ihren Kunden?
In erster Linie über meine Webseite www.writingsolutions.at. Allerdings aktiviere ich die Seite nur an wenigen Tagen, weil einfach so viele Anfragen kommen, dass ich das gar nicht erfüllen könnte. Sie ist an maximal zwei Tagen im Monat online, dann habe ich für die nächsten zwei Monate vorgesorgt und genügend Aufträge.
Gibt es also wenig Konkurrenz?
Absolut nicht. Wenn abgesehen von den zwei Tagen noch Leute anrufen, dann bekomme ich Stress. Es klingt vielleicht blöd, aber das Problem ist, dass die Kunden auch wiederkommen.
Haben Sie Mitarbeiter?
Ich schaue, dass ich immer ein Team um mich habe, weil ich es alleine nur schwer bewältigen könnte. Oft ist es so, dass ich die Planung übernehme – also etwa den Aufbau oder die Literaturrecherche – und die einzelnen Teammitglieder führen dann aus, was ich inhaltlich geplant habe.
Wie viele Arbeiten schreiben Sie selbst?
Als Richtwert kann man zwei Bachelorarbeiten oder eine Masterarbeit im Monat nehmen. Jeder Kunde fragt mich, wie viele ich schon geschrieben habe und jedes Mal müsste ich lügen. Ich weiß es nicht – bei so vielen Arbeiten unmöglich.
Wie lange brauchen Sie für eine Arbeit im Durchschnitt?
Bei einer Masterarbeit hätte ich schon gerne zwei Monate. Aber es kommen auch Leute, die anrufen und sagen: Ich brauche bitte bis Sonntag die Master- oder Bachelorarbeit. Dieses Jahr kam das zwei Mal vor. Da verlange ich dann natürlich mehr.
Was kostet zum Beispiel eine Masterarbeit?
Es kommt auf das Thema, die Zeit und die Seitenanzahl an – das sind die Faktoren, die zählen. Eine Masterarbeit gibt es nicht unter 70 Seiten. Das Billigste in dem Fall wären um die 2500 Euro. Das geht hoch bis 9000 Euro.
Können Sie in jeder Studienrichtung jegliche Arbeit schreiben? Geht das zum Beispiel auch in einer Studienrichtung wie Physik?
Ich hatte noch nie das Problem, dass ich ein Thema nicht geschafft hätte. Von Physik kam aber zum Beispiel auch noch nie jemand. Da kommt anscheinend niemand auf die Idee. Ich glaube, dort ist dieser Fokus auf das wissenschaftliche Arbeiten nicht so vorhanden wie bei anderen.
Das heißt im Umkehrschluss, normalerweise ist der Inhalt eher sekundär?
Was die Professoren interessiert, ist der Abstract, der muss bombenfest passen. Also ob man 90 Seiten da reinpacken könnte. Den restlichen Inhalt schauen sie sich doch meistens gar nicht richtig an. Es gab bei mir über den Inhalt noch nie eine Diskussion und das, obwohl ich das meiste nicht studiert habe. Das muss man sich mal überlegen.
Ich kenne aber auch Beispiele einer intensiven Betreuung bzw. es gibt auch Bachelor- oder Masterseminare.
Ich bekomme natürlich immer nur die negativen Beispiele ab. Es kommt ja keiner und sagt: an meiner Uni ist die Betreuung sehr gut, aber ich bin zu faul. Vielleicht lügen auch manche, beziehungsweise wenn die Leute zu faul sind, dann ist es logisch, dass ein Masterseminar nichts bringt. Also irgendwo in der Mitte liegt die Wahrheit.
Welche Beweggründe haben Ihre Kunden?
Das frage ich sie auch immer, beziehungsweise sie sagen es oft von selbst. Meine grobe Einschätzung, die nicht statistisch erhoben ist: Ein Drittel sind arbeitende Menschen. Ein Drittel sind die, die zwar nicht blöd sind, aber einfach komplett im Regen oder alleine stehen. Und dann gibt es noch ein Drittel, das einfach schlecht Deutsch kann. Das sind Leute, die nicht mal eine eMail auf Deutsch hinbekommen.
Wo liegen also Ihrer Meinung nach die Probleme?
Ich weiß einfach durch diesen Ansturm, dass das System in vielen Belangen nicht funktioniert. Der Staat lässt viele Leute bei der Ausbildung im Stich und die Unis sind unterfinanziert. Wie sollen die Massen unterstützt werden, wenn kein Geld da ist? Außerdem wird nicht kontrolliert. Oft ist es sogar so – beim letzten Drittel – dass Professoren sagen: geh ins Internet und such dir da jemanden.
Professoren ermutigen Studenten, sich Ghostwriter zu suchen?
Ja natürlich. Die sagen dann halt ‘such dir einen Lektor.’ Aber das ist natürlich Schwachsinn. Ich hatte ja auch schon Professoren, die selber zu mir gekommen sind. Einem davon habe ich mal ein Universitäts-Skriptum gemacht.
Könnte ein höheres Bildungsbudget dem Ghostwriting entgegenwirken?
Ja, absolut. Was ich aber auch beobachte, ist, dass der Staat vollkommen falsche Wege geht. Die Schulen beginnen jetzt damit, vorwissenschaftliche Arbeiten schreiben zu lassen. Ich sage nur: Danke! Ich mache in der Vorweihnachtszeit nichts anderes und könnte hundert Leute anstellen. Also den Ansturm werde ich dieses Jahr statistisch verfolgen. Da siehst du einfach, wie die Leute an die Wand gefahren werden. Den Schülern das aufzubürden, war wirklich die dümmste Idee, auf die irgendjemand in diesem Staat gekommen ist.
Ist Ihnen bewusst, dass Ihre Kunden die Arbeiten unverändert abgeben?
Natürlich. Ich habe ja manchmal sogar die Log-ins von Kunden und schreibe den Professoren in ihrem Namen eMails. Ich hatte schon einen Kunden in einem Online-Masterstudium. Ich habe alle Prüfungen gemacht, alle schriftlichen Abgaben geschickt und dann die Masterarbeit geschrieben. Der hat genau gar nichts selbst gemacht.
Ein Studium ohne Aufwand und Lerneffekt.
Das interessiert viele gar nicht. Die wollen den Titel haben, damit sie ihn sich anheften. Ein Kunde, der bei einer EU-Institution gearbeitet hat, hat mal gesagt: egal, was ich zahle, ich bekomme eine Gehaltserhöhung und nach einem Jahr ist es wieder drinnen. Für den Durchschnittsstudenten ist das aber sicher nicht zielführend.
Finden Sie es moralisch verwerflich, die Arbeiten als die eigenen auszugeben?
Ja, natürlich, absolut. Ich finde aber auch, dass der Staat daran schuld ist. Persönlich interessiert mich das natürlich nicht, weil ich in jeder Form profitiere. Ich bekomme Wissen, Geld und ich bin beschäftigt. Für mich gibt es nur Vorteile.
Also mit Ihrer eigenen Tätigkeit haben Sie kein moralisches Problem?
Nein. Ich sage immer, es ist ein wenig wie ein Waffenhändler. Ich kann nichts dafür, wenn andere damit jemanden erschießen. Ich verkaufe ja nur die Waffe.
Könnte man nicht auch einem Waffenhändler Verwerflichkeit vorwerfen?
Ich denke mir auch, wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer. Mir geht es wirklich mehr um das Wissen. Ich behaupte jetzt nicht, dass ich es nicht auch für das Geld mache – das Geld ist absolut geil. Aber sagen Sie mir einen Job, wo du jeden Monat etwas anderes zu tun hast, du arbeiten kannst, wo du willst, dir aussuchen kannst, mit wem du arbeitest und Wissen bekommst. Wissen! Es ist einfach der beste Job der Welt.
Wieso sprechen Sie öffentlich über Ghostwriting?
Ich denke, Ghostwriting ist ein Thema, das noch viel mehr in der Öffentlichkeit diskutiert werden sollte, weil das definitiv Signifikanz für die Menschen hat. Wenn man die Anzahl statistisch verfolgen würde, wäre man sehr überrascht. Leute haben dann den Abschluss und überhaupt keine Ahnung. Da frage ich mich, ist das überhaupt wichtig? Irgendwas muss man halt am Ende machen. Aber wenn es wirklich nur pro forma ist, kann es gleich abgeschafft werden. Und so wie es im Moment ist, ist es pro forma.
Der Jurist Manfred Novak von der Kepler Universität Linz weiß: Um Ghostwriter belangen zu können, müssten entweder die Ghostwriter selbst oder die Kunden aussagen – was in der Praxis wohl nie vorkommt. Die Möglichkeiten der Universitäten, gegen Studierende vorzugehen, wurden 2015 durch zwei Novellen im Universitätsgesetz, verschärft. Ghostwriting sei demnach als schwerwiegendes Vortäuschen anzusehen, was einen Ausschluss von zwei Semestern bescheren könne. „Wobei die Instrumente aufgrund der Beweislast meist doch eher zahnlos sind“, so Novak.
Auch der Plagiatsexperte Stefan Weber erklärt, dass die rechtlichen Schwierigkeiten in erster Linie im Nachweis liegen. Der sei dann möglich, wenn Schreibstile verglichen werden. Es müssten also bereits verfasste Texte, mit in Verdacht stehenden Arbeiten auf stilistische Abweichungen verglichen werden. Zudem könnten Arbeiten anhand einer Indizien-Checkliste enttarnt werden. „Hier stellt sich die Frage, wie ernst nimmt man die Lehre“, meint Weber. Er glaubt jedenfalls an eine hohe Dunkelziffer. Es sei zwar unmöglich, genaue Zahlen zu nennen, aber durchaus vorstellbar, dass der Anteil an „Fremdarbeiten“ im oberen Bereich von ein bis fünf Prozent liege
Sollte die Abgabe einer „Ghostwriter-Arbeit“ zu einem späteren Zeitpunkt nachgewiesen werden, werden alle darauf beruhenden akademischen Grade aberkannt. Im Job könne das in jenen Fällen Konsequenzen haben, in denen der Titel eine Voraussetzung für die Anstellung war, erklärt Alexander Tomanek von der Arbeiterkammer.
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