Die einen werden reicher. Und die anderen?

Ein OECD-Bericht zeigt, dass die Einkommensunterschiede und die soziale Ungleichheit immer größer werden. Das beeinträchtigt auch das Wirtschaftswachstum.

Arm und Reich driften im OECD-Raum immer weiter auseinander. In der Mehrzahl der Länder kommt wirtschaftliches Wachstum eher höheren Einkommensgruppen zugute – ärmere Haushalte bleiben zurück. Im Jahr 2012 besaßen die 40 Prozent der ärmsten Haushalte aus 18 OECD-Ländern, für die Daten vorlagen, gerade einmal drei Prozent des Gesamtvermögens.

Das zeigt der heute veröffentlichte neue Sozialbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Am stärksten ist demnach die Ungleichheit in den beiden lateinamerikanischen OECD-Mitgliedsländern Chile und Mexiko. Hoch ist die Kluft auch in der Türkei und den USA.

Dänemark weist unter allen OECD-Ländern die geringsten Einkommensunterschiede auf. Auch mehrere andere nord- und mitteleuropäische Länder wie Slowenien, die Slowakei, Norwegen und Island belegen auf der Skala Spitzenplätze. In dem Bericht hebt die OECD die starke Zunahme der Ungleichheit in Deutschland zu Beginn des Jahrhunderts hervor. Europas größte Volkswirtschaft belegt auf der Skala den 14. Platz, und liegt damit hinter der Schweiz (12.) und Österreich (10.)

Steigende Ungleichheit hat laut Bericht nicht nur Auswirkungen auf die Gesellschaft, es beeinträchtigt auch die wirtschaftlichen Aussichten eines Landes. Werden die untersten 40 Prozent einer Gesellschaft abgehängt – also auch größere Teile der Mittelschicht – dann nutzen Volkswirtschaften nur einen Teil ihres Potenzials. Nach Berechnungen der Studienautoren hat die steigende Ungleichheit seit 1985 dazu geführt, dass die Wirtschaft in 19 OECD-Ländern zwischen 1990 und 2010 um 4,7 Prozentpunkte weniger gewachsen ist als das bei unveränderter Ungleichheit der Fall gewesen wäre. In ungleicheren Gesellschaften haben es Familien aus schwächeren sozialen Schichten schwerer, ihre Chancen auf Bildung und damit auf sozialen Aufstieg zu verwirklichen. OECD-Analysen zeigen, dass steigende Ungleichheit keinen nennenswerten Effekt auf die formale Bildung und die Kompetenzen von Menschen aus verhältnismäßig wohlhabenden Familien hat. Für sozial schwache Familien geht sie allerdings einher mit verkürzter Bildungsdauer und häufig auch mit schlechteren Resultaten bei den schließlich erworbenen Fähigkeiten.

“Wir haben einen Wendepunkt erreicht. Noch nie in der Geschichte der OECD war die Ungleichheit in unseren Ländern so hoch wie heute”, sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría, der den Bericht in Paris gemeinsam mit der Europäischen Kommissarin für Arbeit und Soziales, Marianne Thyssen, vorstellte. “Unsere Forschung belegt, dass Ungleichheit dem Wirtschaftswachstum schadet. Die Politik hat also nicht nur gesellschaftliche Gründe, gegen Ungleichheit anzugehen, sondern auch wirtschaftliche. Handeln die Regierungen nicht, dann schwächen sie das soziale Gefüge ihrer Länder und längerfristig auch das Wachstum.”

Erwerbstätigkeit von Frauen reduziert Ungleichheit

Dem Bericht zufolge trug die stärkere Erwerbstätigkeit von Frauen zum Abbau von Ungleichheit bei – und das, obwohl diese im OECD-Schnitt 15 Prozent weniger verdienen als Männer. Wäre der Anteil an arbeitenden Frauen auf dem Stand der frühen 90er Jahre verblieben, dann wäre die Ungleichheit im Durchschnitt wesentlich stärker gestiegen. Allerdings wird dieser Effekt in Deutschland dadurch gemindert, dass sich eine Vielzahl von Frauen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen befindet, also Teilzeit, befristet oder selbstständig arbeitet.

Unabhängig von der Berufstätigkeit der Frauen sind atypische Jobs auf dem Vormarsch: 60 Prozent der Arbeitsplätze, die seit Mitte der 90er Jahre in der OECD geschaffen wurden, sind nicht traditionell. Insgesamt arbeiten etwa 30 Prozent aller Beschäftigten OECD-weit in atypischen Jobs. Und selbst, wenn diese Jobs für einige Arbeitnehmer attraktiv sind, weil sie mehr Freizeit oder mehr Arbeitsautonomie versprechen, so führt dieser Trend oft auch zu erheblichen Lohneinbußen, etwa bei weniger gut ausgebildeten Zeitarbeitern.

Ergänzend zum Bericht stellt die OECD ein interaktives Web-Portal online, über das Nutzer aus OECD-Ländern ermitteln können, wo in der Einkommensskala sie sich befinden und ob sich ihre Vorstellungen von der Einkommensverteilung in ihrem Land mit der Realität deckt. Compare your income beruht auf den jeweils jüngsten Daten der OECD-Datenbank zur Einkommensverteilung.

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