Drei Gründe für, drei Gründe gegen eine Lehre

Drei Gründe für, drei Gründe gegen eine Lehre
Jährlich schließen 40.000 Fachkräfte die Lehre ab. Wie gut ist die Ausbildung und wie gut sind unsere Lehrlinge?

In den kommenden acht Wochen wird der KURIER mit der 360°-Lehre-Serie die duale Ausbildung durchleuchten. Schluss- und Höhepunkt sind die WorldSkills am 31. August – die Berufsweltmeisterschaften – in Kazan, Russland.

Darum geht es im ersten Teil: Was spricht für, was gegen eine Lehre?

Pro

Du verdienst dein erstes Geld und schnupperst in die Arbeitswelt: Mit 14, 15 Jahren verdienst du bereits eigenes Geld: Monatlich gibt es im ersten Lehrjahr mindestens 525 Euro. Dieses
Lehrlingsentgelt steigt je nach Lehrberuf und Kollektivvertrag mit jedem Lehrjahr weiter an. Zudem spielst du in der realen Arbeitswelt mit: lernst mit Kunden, Kollegen und Chefs umzugehen
und feilst früher als jene, die weiter die Schule besuchen, an deiner Karriere.

Nach der Lehre stehen dir viele Türen offen: Karriere mit Lehre ist nicht nur ein Spruch: Du kannst etwa eine Lehre mit Matura machen oder mit dem Lehrabschluss an die Uni gehen.
Plus: Fachkräfte sind heute gefragt wie nie. Du beherrschst deinen Job besser als andere und willst etwas erreichen? Firmen nehmen dich mit Handkuss.

Zeige, was du kannst – und bereise dabei die Welt: Bewerbe und Spiele gibt’s nicht nur am Smartphone. Als Lehrling hast du die Möglichkeit, an Berufseuropa- oder weltmeisterschaften teilzunehmen, die rund um den Erdball stattfinden. Oder du machst ein Praktikum und lernst bei einer Firma im Ausland.

Contra

Du musst dich früh entscheiden: Während andere noch Tests schreiben und für Schularbeiten lernen, triffst du bereits die Entscheidung, arbeiten zu gehen. Du kannst aus über 200
Lehrberufen wählen – das muss gut überlegt werden.

Das Image der Lehre könnte besser sein: Für eine Lehre braucht es weder gute Noten noch eine Aufnahmeprüfung – viele Betriebe bemängeln deshalb, dass das Bildungsniveau der
Schulabgänger nicht ausreichend ist.

Das Gehalt steigt nicht so hoch an: Du verdienst zwar früh dein erstes Geld, Maturanten oder Akademiker hängen dich im Laufe eines Arbeitslebens trotzdem irgendwann in puncto Einkommen ab. Außer du bringst es mit Fleiß zum Meister und wirst Chef deines eigenen Unternehmens.

Drei Gründe für, drei Gründe gegen eine Lehre

In eigener Sache: Erzähle selbst von deiner Lehre! Schick uns Bilder oder ein Video und schreib uns, warum du die beste Lehre von allen hast. Hast du uns überzeugt, veröffentlichen wir deinen Beitrag im KURIER. Die beste Einsendung erwartet ein Preis: Wir kommen in deinen Betrieb und schreiben über dich, deine Ausbildung und deinen Chef. Schicke  uns eine eMail mit dem Betreff „Meine Lehre“ an karriere@kurier.at.

Experten sehen ebenfalls Vor-und Nachteile

Fragt man Bildungsexperten nach den guten Seiten der Lehre, hört man unisono begeistert: das duale System sei praxisorientiert; Nachfrage gesteuert; ein Best Practice-Modell, das uns andere Länder nachmachen wollen; modern ausgerichtet und aus dem Leben gegriffen – hier wird Jugendlichen nicht jahrelang Theorie vermittelt, hier legen sie von Tag eins Hand an der Wirtschaft an.

Und die schlechten Seiten? Wo gibt es Potenziale? Die Experten raunen: das Stadt-Land-Gefälle sei stark – am Land ist die Lehre beliebter als in der Stadt; das Jahr nach der 4. Unterstufe, das man als Überbrückung auf einer polytechnischen Schule absolvieren muss – bis man 15 Jahre und somit zum Arbeiten befähigt ist– schrecke viele ab.

Und: das Image der Lehre könne besser sein, das Bildungsniveau der Neo-Lehrlinge lasse, so sagen viele Ausbilder, zu wünschen übrig.

40 Prozent der Jungen entscheiden sich für eine Lehre

Das Ausbildungsmodell, für das sich rund 40 Prozent der Jugendlichen in Österreich entscheiden, bringt jährlich rund 40.000 neue Fachkräfte hervor. Fachkräfte, die vor allem im technischen und IT-Bereich heiß begehrt sind. Die Unternehmen bieten dementsprechend mehr Lehrstellen auf diesen Sektoren an.

„Die Zahl der Lehrlinge in IT-Berufen hat sich innerhalb kürzester Zeit verdoppelt“, beobachtet Alfred Freundlinger, stv. Leiter der Abteilung für Bildungspolitik in der Wirtschaftskammer Österreich (WKO).

Rollenbilder brechen nur langsam auf

Und dennoch: Mädchen und Burschen haben seit Jahren ganz eindeutige Präferenzen, wenn es um die Wahl ihres Lehrberufes geht. Die meisten der 35.205 Mädchen – sie machen rund ein Drittel aller Lehrlinge in Österreich aus – entscheiden sich aus über 200 Lehrberufen am öftesten für diese drei: die Einzelhandelskauffrau, die Bürokauffrau und die Friseurin.

Die Burschen werden am häufigsten Metalltechniker, Elektrotechniker und Kraftfahrzeugtechniker. Die klassischen Rollenbilder brechen nur langsam auf. Doch sie tun es, immerhin: „Der Anteil der Mädchen in den technischen Berufen steigt ständig. Die Metalltechnik liegt bereits auf Platz acht der beliebtesten Lehrberufe von Mädchen“, so Freundlinger.

Image der Lehre erlebt Aufschwung

Generell erlebe die Lehre wieder einen Aufschwung, das Image habe sich verbessert, in den vergangenen drei Jahren haben sich wieder mehr Jugendliche für diese Ausbildung entschieden. Und sie ist auch international interessant: „Wir haben etwa 80 ausländische Delegationen pro Jahr, die sich unser Ausbildungsmodell ansehen – für viele Länder sind wir eine Best Practice“, sagt Melina Schneider, Leiterin der Abteilung für Bildungspolitik in der WKO.

Zusätzlicher Nebeneffekt: „Während der Wirtschaftskrise hat sich gezeigt: Länder mit dem dualen System steuerten deutlich besser durch die Krise. Vor allem, weil die Jugendarbeitslosigkeit niedriger war.“

Nachholbedarf: Anerkennung von manueller Arbeit

Aber die Lehre habe Aufholbedarf. „Derzeit wird sie häufig noch als zweite Wahl für Menschen gesehen, die die Schule nicht schaffen.“ Thomas Mayr, Geschäftsführer des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft, findet auch, dass Jugendliche heute tendenziell eher an der Lehre vorbei geführt würden.

„Wir haben die gesellschaftliche Wertehaltung, dass geistige Arbeit höher bewertet wird, als manuelle. Das ist eine problematische Perspektive. Denn hinsichtlich der Anforderungen auf Geschick und künstlerisches Talent ist die Lehre extrem anspruchsvoll. Und kann mit theoriebasierten Schulformen jedenfalls mithalten.“

Der Experten-Beirat für die Aktion Lehre 360°

In den kommenden acht Wochen werden folgende Expertinnen und Experten zu Wort kommen:  Thomas Mayr, Geschäftsführer des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft, Dagmar Achleitner und Helmut Dornmayr aus dem ibw- Forschungs- und Entwicklungsteam. Melina Schneider und Alfred Freundlinger –  die Leiterin  und der stv. Leiter der Abteilung für Bildungspolitik – von der WKO. Johannes Kopf, Geschäftsführer des AMS Österreich. Und Alexander Hölbl, Leiter der Abteilung Berufsausbildung im Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort.

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