Diskussion: Wo ist die Moral geblieben?
Wenn zwei Medien-Menschen, ein Arzt, ein Banker, ein Anwalt und ein Dompfarrer über Moral reden, ergibt das: sechs völlig unterschiedliche Meinungen. Keine klare Linie darüber, was moralisch ist und was nicht. Eine stürmische Diskussion, die manchem Zuhörer mitunter zu viel wurde.
Zugegeben: Die Atmosphäre im Bankhaus Krentschker, Veranstalter der Mittwochsgespräche, war diese Woche besonders geladen. Beim dritten Anlauf hat Initiatorin Gabi Spiegelfeld mit Thema und Auswahl der Podiumsgäste offenbar einen Nerv getroffen. Sie lud Helmut Brandstätter (Chefredakteur KURIER), Stephansdompfarrer Toni Faber, den Vorstand der Uniklinik für Frauenheilkunde am AKH Peter Husslein, Raiffeisen-Banker Georg Kraft-Kinz, Österreich-Geschäftsführer Oliver Voigt und Rechtsanwalt Tassilo Wallentin zum Gespräch. Moderator der hitzigen Debatte: Florian Klenk, stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung Falter.
Brisant
Angesichts von Grasser, Strasser, Hochegger, Inseraten-Affäre, Scheuch, Banken und Schuldenkrisen auf eine moralische Metaebene zu gelangen, war schwierig. Gesprochen wurde über "die Medien als Public Watchdog, aber wenn sie angefüttert werden, passen sie nicht mehr auf" (Brandstätter). Über "den österreichischen Journalismus, der nicht korrupt und nicht gefällig ist" (Voigt).
Über die Empfehlung, "bei aller Empörung das rechte Maß nicht zu verlieren" und "eine Wirtschaftsethik, die im Katechismus mit ,Du sollst nicht stehlen' abgehandelt wird" (Faber). Der versöhnliche Dompfarrer rechnet damit, "dass die Menschen fehlen. Da zeichnet die Kirche ein sehr realistisches Menschenbild. Wir sind alle nicht heilig und in einem ständigen Erneuerungsprozess."
Gegen die Anspielung des Moderators, die Banken seien das Problem, wehrt sich Georg Kraft-Kinz: "Ich weiß, Banken-Bashing ist voll im Trend. Die Gier und Ich-Zentrierung ist aber keine Banken-Sache, sondern ein gesellschaftliches Problem. Die Menschen möchten heute immer alles sofort."
Arzt Peter Husslein sieht Moral aus einem medizinisch-evolutionären Blickwinkel: "Früher brachte das korrekte Verhalten einen Überlebensvorteil. Damit ist es einem in der Gemeinschaft gut gegangen." Durch die zunehmende Anonymität sei das aber verloren gegangen. "Heute geht es einem sogar oft besser, wenn man unmoralisch handelt." Die moralischen Grenzen und Barrieren der Menschen hätten sich stark verschoben. Damit sei der zusammenhaltende Kitt der Gesellschaft verloren gegangen.
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