Die Uni als Gründerzentrum
Paul liegt in Decken gewickelt und atmet leise. Plötzlich schluchzt das schon in der 27. Schwangerschaftswoche geborene Baby, die Atmung wird hektisch. Die Kurven am EKG-Monitor schlagen aus, sein kleines Herz pocht sichtbar schnell in der Brust. Der Arzt bleibt ruhig. Routiniert greift er zum Tubus und schiebt ihn sanft in den winzigen Mund des 1000 Gramm leichten Körpers. Er hat 30 Sekunden Zeit dafür und nur eine Chance. Die Kurven stabilisieren sich. Für heute rettet sein souveräner Einsatz Baby Paul das Leben.
Paul ist ein Roboter. Und so sieht eine Notfalls-Übung eines Ärzte-Teams aus. Der Frühgeborenen-Simulator, der sich echt anfühlt, anhört und auch echt aussieht, ist ein Abbild der 15 Millionen Frühgeborene auf der Welt jedes Jahr. Kinderarzt Jens Schwindt entwickelte Paul und seine Software mit seinem Med-Uni-Spin-off "SIMCharacters", um Ärzten die Möglichkeit zu geben, Not-Situationen mit Frühchen zu trainieren. Denn eine Million Frühgeborene versterben jährlich. Durch diese Übungen soll die Zahl gesenkt werden. Paul soll im Oktober auf den Mediziner-Markt kommen.
Vom Wissenschafter zum Unternehmer
"Früher war die Uni dazu da, Grundlagenforschung zu machen. Heute interessieren sich immer mehr auch für die Anwendung", sagt Michael Hoffmann, Head of Finance & Business Development bei SIMCharacters. "Sich nach 10, 15 Jahren an der Klinik ins Wagnis Start-up zu trauen, war aber nicht so leicht", ergänzt Schwindt, der bei der Gründung 38 Jahre alt und praktizierender Arzt am AKH war. Doch sie gehen den richtigen Weg, dank guter Förderlandschaft und Investor können sie Forschung in ein wertvolles Produkt umwandeln. Und da Ärzte am AKH zur Med Uni gehören, gehört Schwinds Start-up zu den sogenannten Spin-offs. Sie entstehen, wenn an Unis – etwa durch Forschung der Wissenschafter oder durch Studierende – Ideen entstehen, aus denen Geschäftsideen werden.
"Wir brauchen mehr solcher Spin-offs", sagte Staatssekretär Harald Mahrer, der SIMCharacters am Dienstag mit Wirtschafts- und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner besuchte. "In diesem Bereich liegen wir 20, 30 Jahre hinter Cambridge oder Stanford. " Gründen gehöre dort, ebenso wie das Forschen, zur universitären Kultur.
Österreichische Unis hingegen orientierten sich immer noch mehr an Forschung und Publikationen, weniger an Spin-offs, sagt Investorin Marie-Hélène Ametsreiter. "Die Anzahl der Ausgründungen ist meist kein relevantes Kriterium für die Budgetzuteilung." Dabei wäre hier viel möglich: "Unter Idealbedingungen sehe ich ein langfristiges Potenzial von 1000 innovativen Spin-offs pro Jahr an der WU. Im Moment realisieren wir allerdings zwei oder drei Prozent davon", schätzt Nikolaus Franke, wissenschaftlicher Leiter des Gründungszentrums an der WU Wien. 13 Spin-offs sind es genau, die 2015 an öffentlichen Unis in Österreich entstanden sind.
Obwohl die Gründungszahlen spektakulärer sein könnten, merkt man: Die Wissenschaft nähert sich der Wirtschaft an. An vielen Unis und Fachhochschulen entstehen Gründungszentren, akademische Geschäftsideen werden etwa durch Wissenstransferzentren, das AplusB-Programm, die PreSeed oder das Seedfinancing aufgefangen. Studienfächer, wie SIMC an der WU Wien oder der Campus Hagenberg an der FH Oberösterreich bringen regelmäßig Spin-offs hervor, die Investoren begeistern. Aktuell: Hokify, eine App, die vor einem Jahr an der WU entstand – und im März schon ein Eine-Million-Investment erhielt.
Aber nicht alle Studierenden und Forscher haben das Gründer-Gen, können mit Zahlen jonglieren. Ihre guten Ideen bauen sie deshalb zu selten aus. Hinzu kommt: Forscht man viele Jahre als Angestellter an der Uni, gibt man seine Stelle nicht leichtfertig für den Ausbau eines möglicherweise risikoreichen Spin-offs auf. Das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft setzte deshalb die "Young Innovators Austria"-Initiative auf, die Teil des neuen Start-up-Pakets ist. Ab 1.1.2017 werden 15 Millionen in den Ausbau dieses Programms gesteckt. Ausgewählte Uni-Gründer-Teams mit marktrelevanten Forschungsergebnissen können sich für das "Young Innovators Lab" der Wissenstransferzentren bewerben und für bis zu 18 Monate mit bis zu 500.000 Euro unterstützt werden. 50 Gründer-Teams sollen so ihre Forschung in ein Unternehmen verwandeln können.
Wer Spin-off sagt, muss auch Massachusetts Institute (MIT) of Technology sagen. Das MIT in den USA gilt als beste Tech-Uni der Welt, besonders die Media Laboratory Fakultät, kurz Med Lab, ist Geburtsort vieler Forschungsideen, die später zu Geschäftsideen werden. Aktuell ist das Spin-off „Affectiva“ im Gespräch, sie stellten im Juni eine Finanzierungsrunde mit 14 Millionen Dollar auf. CEO und Co-Founderin Rana el Kaliouby (im Bild) war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Media Lab, forschte danach als Wissenschafterin am MIT im Bereich der Vermessung von Emotionen. Aus ihren Projekten entwickelte sich die Idee zu „Affectiva“, 2009 gründete sie mit ihrem Team. Ihr Spin-off hat zum Ziel, mehr Emotion in die digitale Welt zu bringen. El Kaliouby gehört laut MIT zu den Top-35-Innovatoren unter 35.
Die ETH Zürich ist Vorbild für die österreichischen Gründungs-Fellowships für akademische Spin-offs. An der ETH wurden im letzten Jahr allein 25 Spin-offs gegründet, die meisten in den Bereichen Informatik und Kommunikationstechnologie und der Biotechnologie und Pharma. In den vergangenen 20 Jahren entwickelten Forscher und Studierende der ETH Zürich insgesamt 330 Spin-offs. Das neueste: „Aerotain“. Die Absolventen und Gründer Andreas Schaffner, Daniel Meier und Matthias Krebs wollen mit ihrer Erfindung „Skye“ Kameras in Flugobjekte bei Veranstaltungen integrieren, was Unternehmen für Werbung und Berichterstattung nutzen können. Die Idee dazu entstand bereits 2011 aus einer Forschungskooperation des Disney Research Zurich und des Instituts Autonomous Systems Lab an der ETH Zürich. Sitz der Firma ist das ETH Zürich eigene Innovation und Entrepreneurship Lab.
Die Geschichte von Runtastic ist in Österreich eine viel erzählte und viel gehypte. Zu Recht. Die vier Studenten, die 2009 in einer Vorlesung an der FH Oberösterreich an einer Tracking-App tüftelten, schrieben mit ihrer Erfindung Geschichte. Die Erfindung hieß Runtastic, wuchs über die Uni-Dimensionen hinaus und aus den Studenten wurden Gründer. In Interviews sagte CEO Florian Geschwandtner, die Gründung aus dem Hörsaal heraus sei hart gewesen, vielleicht auch ein bisschen blauäugig. Der Weg schien jedenfalls der richtige zu sein. Immerhin war die Firma, erst drei Jahre jung, bereits 22 Millionen Euro wert. 2013 kaufte sich der deutsche Medienkonzern Axel Springer mit 50,1 Prozent ein, vergangenes Jahr um diese Zeit dann der Riesen-Coup: adidas kaufte Runtastic und machte Gründer und Investoren um 220 Millionen Euro reicher.
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