Wenn sich der Rettungswagen durch dicht befahrene Straßen drängt oder die Polizei mit Blaulicht und Sirene zum nächsten Einsatz eilt, ahnt man: über Erfolg oder Misserfolg entscheiden oft nur Sekunden. Sekunden, in denen die eigenen Emotionen nicht überkochen dürfen, das rationale und logische Denken weiter funktionieren muss. „Stressresistenz bedeutet, mit Stressreaktionen umgehen zu können und diesen nicht ausgeliefert zu sein“, sagt Notfallpsychologin Johanna Gerngroß. Eine Fähigkeit, die in vielen Jobs vonnöten ist, aber ganz besonders da, wo sekundenschnelles Handeln erforderlich ist.
Was in zeitkritischen Situationen hilft, sind klare Aufgabenstellungen und Checklisten. „Krisen und Notfallpläne gibt es nicht umsonst“, erklärt Gerngroß. Vorbereitung und Training sind somit die grundlegende Basis. Tückisch sind Bauchentscheidungen, erklärt die Psychologin. „Ein Satz besagt, das Bauchgefühl hat immer recht. Das stimmt – aber nur bei Experten.“ Diese hätten durch ihre Erfahrung gelernt, sich nicht von Emotionen leiten zu lassen. Bei Laien und Anfängern sieht die Sache anders aus, da kann das Bauchgefühl auch „voll daneben liegen“.
Fehlerfrei wird durch langjährige Erfahrung trotzdem niemand, weiß Gerngroß. „Selbst wenn man 20 Jahre im Berufsleben steht, gibt es Tage, an denen man weniger belastbar ist.“ Und ist man in einer Drucksituation einmal falsch abgebogen, sollte man eines niemals tun: die eigene Kompetenz anzweifeln. Ob das jene genauso sehen, die im Beruf oft mit Sekundenentscheidungen konfrontiert sind, berichten eine Hebamme, eine Fluglotsin, ein IT-Experte, die Notrufzentrale und eine Schiedsrichterin dem KURIER.
Hebamme: „Es sind sehr oft Bauchentscheidungen“
Ihre größte Angst ist immer „diese Blutung“, erzählt Hebamme Martina Koll-Braun. Wenn sich bei einer Hausgeburt der Gesundheitszustand der werdenden Mutter plötzlich verschlechtert und sofort eine Entscheidung getroffen werden muss – für eine Verlegung ins Krankenhaus oder das Einhalten des ursprünglichen Plans. Ist die Blutung stark, sind alle Handlungsschritte klar. Auch für werdende Eltern, denn diese werden im Vorfeld auf jegliches Szenario vorbereitet, berichtet Koll-Braun.
Komplikationen bei Hausgeburten sind äußerst selten und doch „passieren immer wieder Situationen, die wir nie zuvor erlebt haben.“ In diesen muss die Hebamme einen kurzen Moment innehalten. Anmerken lassen, darf sie sich das aber nicht, denn jedes Zögern oder jeder unsichere Blickkontakt zur Kollegin würde bei den werdenden Eltern sofort Panik verursachen. Daher sind es oft Bauchentscheidungen, die Martina Koll-Braun trifft. „Sehr oft sogar.“ Dabei ruft sie jegliches Wissen ab, das sie in ihrer 15-jährigen Laufbahn gesammelt hat und fällt dann eine Entscheidung. „In den allermeisten Fällen stimmt die auch.“
Schiedsrichterin: „Man wird von allen Seiten beobachtet“
Die Fußballer stehen auf dem Rasen. Das Spiel beginnt und UEFA-Schiedsrichterin Olivia Tschon läuft los. Dass der Job hohen Druck auslöst, ist klar: „Man wird von allen Seiten beobachtet“. Es löse aber keine Nervosität, sondern eher eine positive Anspannung in ihr aus. Die Sorge vor Fehlern ist entsprechend gering: „Natürlich will man für sich und die Vereine alles richtig machen, aber Fehler passieren nun mal.“
Der Höhepunkt sei der Moment, an dem sie spielentscheidende Schiedssprüche treffen muss, etwa in Strafraumsituationen: „Beobachter kontrollieren unsere Leistungen und benoten uns. Dann werden wir auf einer Rangliste eingeordnet.“ Hauptberuflich ist Tschon Polizistin. Beides sehr anspruchsvolle Berufe, die Tschon aber gerne macht: „Ich arbeite besser unter Druck. Da bin ich konzentrierter.“ Was hilft, sind ihre sechs Trainingseinheiten pro Woche, denn „je fitter man ist, umso einfacher fällt die Konzentration.“
Notrufzentrale: „Locker darf man das nicht nehmen“
Es läutet. „Notrufzentrale“, sagt ein Mitarbeiter. Zu hören sind nur Schreie und Straßengeräusche. Was klingt, wie eine Folge von „911“ ist für die Mitarbeiter der „Österreichischen Wachdienst Security“ (kurz ÖWD) Alltag. Wenn ein Alarm losgeht, erfährt zunächst die Leitstelle davon. „Teils sind es Hunderte Meldungen pro Minute“, sagt Ronald Eckhardt, vom Notruf Servicecenter. Sobald die Meldung aufgenommen worden ist, wird die Einsatzstelle kontaktiert. Dort koordiniert Einsatzleiterin Brigitte Feldhütter die nächsten Schritte und schickt die Sicherheitsmitarbeiter Magomed Tapuev und Matthias Hoffmann in den Einsatz. Sie befreien etwa Menschen aus Aufzügen oder machen Außenkontrollen: „Eine gewisse Gefahr ist immer da. Aber wenn man permanent Angst hat, ist man im falschen Job“, sagt Hoffmann.
Der Stress hält sich aufgrund der strikten Vorschriften im Rahmen. Trotzdem: „Locker darf man das nicht nehmen“, meint Tapuev. Immerhin gehe es um das Leben und die Gesundheit anderer. Der Stress wird mit Klettern, Trainings, Thriller schreiben und Online-Spielen abgebaut. Etwas bleibt dennoch haften, wenn man diesen Job ausübt: „Man wird aufmerksamer, sucht nach den Notausgängen in jedem Supermarkt“, lacht Feldhütter. Aber das sei es wert. Wenn das ÖWD-Team von seinem Job berichtet, schwingt Stolz mit. Brigitte Feldhütter erklärt: „Diese Arbeit ist erfüllend.“
Cybersecurity-Experte: „Bemerkt jemand einen Angriff, läuft die Zeit schon“
Das Aufsehen war groß, als das Land Kärnten vergangenes Jahr Opfer eines Hackerangriffs wurde. Oder als der Finanzmarktaufsicht vor wenigen Monaten Kopien von Datensätzen gestohlen wurden. Doch nicht nur Behörden geraten ins Visier von Cyberkriminellen, wie sich am Fall Palfinger und Salzburg Milch zeigte. Von einer Sekunde zur nächsten wurden die Systeme der Unternehmen lahmgelegt und die Eigentümer mit hohen Lösegeldforderungen bedrängt.
Betroffene verfallen oft in Panik, denn „auch wenn nicht Leib und Leben bedroht wird, geraten Opfer von Hacker-Angriffen in schwere Notlagen“, erklärt Wolfgang Rosenkranz. Er ist Teamleiter des Computer Emergency Response Teams, kurz Cert genannt, das quasi als Notrufzentrale und Überwachungsstelle für alle Cyberangriffe in Österreich fungiert. Täglich werden Zigtausende Warnungen verschickt. Das Tagesgeschäft bringt das 15-köpfige Team aber längst nicht mehr aus der Ruhe. Dafür wird regelmäßig trainiert – mit Kollegen, innerhalb der EU oder der NATO.
Hektisch kann es werden, wenn die Energie-Infrastruktur oder Spitäler angegriffen werden, berichtet Rosenkranz. Der kritischste Punkt ist dann, wenn Anrufer bereits Veränderungen in ihrem System bemerken. „Bekommt das jemand mit, läuft die Zeit schon“, sagt der Teamleiter und ergänzt: „Hier sind Sekundenentscheidungen nötig.“ Letztlich getroffen, müssen diese von den Anrufern werden. Das Cert steht beratend zur Seite, was gerade in hitzigen Momenten mental herausfordernd sein kann. „In der Regel gehen Menschen nicht in die Technik, wenn sie große Freude daran haben, mit anderen zu reden“, scherzt Rosenkranz. Beim Cert kommt man aber nicht daran vorbei, neben der Expertise auch ein ordentliches Einfühlungsvermögen an den Tag zu legen.
Fluglotsin: „Wenn etwas passiert, ist es plötzlich“
Im Tower der Austro Control am Flughafen Wien Schwechat wird geflüstert. Die Konzentration darf nicht gestört werden, wenn Fluglotsinnen und Fluglotsen wie Viveka Wächter dafür Sorge tragen, Flugzeuge sicher von A nach B zu navigieren und dabei mit Piloten und Bodenpersonal in ständigem Kontakt stehen. „Hier darf nichts geschehen ohne Freigabe“, sagt die Fluglotsin, die auf den Bereich der Landebahn spezialisiert ist.
Wenn aber etwas passiert, „dann ist es plötzlich“, erzählt Wächter. Wenn sich jemand verrollt zum Beispiel oder Abstände zwischen Landung und Start nicht eingehalten werden. Für die Fluglotsin ist das meiste längst Routine. „Heiß werden“, kann es ihr trotzdem, erzählt sie. Bei medizinischen Notfällen an Bord oder als kürzlich eine Austrian-Airlines-Maschine aufgrund eines Vogelschlags notlanden musste. „Es gibt immer Situationen, die man noch nie erlebt hat.“
Das erzählen auch die Kollegen mit 30 Jahren Erfahrung, sagt Wächter, die selbst auf mehr als ein Jahrzehnt an Dienstjahren zurückblicken kann. Dass es ihr trotzdem niemals schwer fiel, ein solches Maß an Verantwortung zu übernehmen, verortet sie bei der Ausbildung. „Man wird gut vorbereitet mit Simulator-Trainings und Theorie.“ Ein Jahr arbeitet man Seite an Seite eines Trainers. Erst dann ist man vogelfrei.
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