Die Lehre als weltweites Vorbild
KURIER: Sie reisen durch die Welt und erklären das österreichische System Lehre. Wieso ist die Lehre im Ausland angesehen, in Österreich aber mit schlechtem Image?
Thomas Mayr: Viele Staaten stehen vor einer dramatischen Situation und wissen nicht mehr weiter. Das Bildungssystem ist entkoppelt von den Anforderungen des Arbeitsmarktes. Das zeigt sich in dramatischen Arbeitslosenzahlen bei Jugendlichen – 23 Prozent ist der europäische Durchschnitt, das geht hinauf auf 50, 60 Prozent. Auf der anderen Seite gibt es einen Fachkräftemangel: es gelingt nicht, die Jugend dort auszubilden, wo man sie braucht. Das Plus von Österreich, Deutschland und der Schweiz ist, dass die duale Ausbildung eine Nähe zur Wirtschaft hat, die Unternehmen eingebunden sind.
Trotzdem hat die Lehre bei uns ein schlechtes Image, warum?
Na ja, so schlecht ist das Image auch nicht. Die Lehre war lange eine Sackgasse, weil der Weg nach oben beschränkt war. Das ist jetzt durch die Lehre mit Matura anders. Leider haben Meisterprüfung, Fachakademien, Bauhandwerkerschulen etc. nicht den Stand, den die akademische Bildung hat.
Hat sich das Image durch die Lehre mit Matura verbessert?
Ja. Es braucht weiter, dass die Durchlässigkeitswege in die höhere berufliche Bildung besser werden. Ich hoffe auf den österreichischen Qualifikationsrahmen, der Abschlüsse auf die gleiche Stufe wie wie akademische Tertiärabschlüsse stellt.
Das größte Problem der Lehre?
In Österreich wird sie oft unter einer Negativagenda diskutiert. Die Ausbildungskultur wird zu wenig geschätzt. Dabei sollten wir uns freuen, dass wir dieses System haben.
Wie kann man bessere Lehrlinge rekrutieren?
Indem man die grundlegenden Fähigkeiten – lesen, schreiben, rechnen – verbessert.
Ist die 9. Schulstufe ein Problem?
Das Polytechnikum ist per se kein Problem. Aber es ist strukturell ein Problem, weil es ein Lückenfüller zwischen der 8. und 10. Schulstufe ist. Und damit ein doppelter Übergang – von der Hauptschule oder dem Gymnasium zum Polytechnikum in die Lehrlingsausbildung.
Wie sehen Sie die Konkurrenz Lehre versus Schulausbildung?
Man sieht, dass sich die Zahl der Lehrlinge parallel mit der demografischen Kurve entwickelt: immer etwa 40 Prozent eines Jahrgangs machen eine Lehre. Wenn die Jahrgänge weniger 15-Jährige hervorbringen, tritt die Lehrlingsausbildung immer stärker in Konkurrenz mit der Schule: es entsteht also ein Gerangel um die kleiner werdenden Alterskohorte. Das ist nichts schlechtes, wenn tatsächlich sichergestellt wäre, dass die Berufsentscheidung der jungen Leute fundiert ist. Das ist sie aber oft nicht. Wir brauchen deshalb mehr Bildungsberatung und Berufsorientierung, mehr Potenzialanalysen.Die Schweiz gilt als Vorbild – was macht sie besser?
Zum einen hat sie eine andere Ausgangslage, weil sie kein vergleichbares mittleres und höheres berufsbildendes Schulwesen hat. Die Schweiz hat eine gut konsolidierte höhere Berufsbildung, die gleichwertig der akademischen Tertiärbildung ist. Das macht die Lehre attraktiver. Es gibt also Unis, FH und die tertiäre Berufsbildung.
Was wäre die dringendste Veränderung in der dualen Ausbildung?
Der Push in die richtige Richtung: beim Einstieg nach der Schule bei der Bildungsentscheidung helfen. Und den Pull-Effekt verstärken, indem man weiß, welche Möglichkeiten die Lehre bietet.
Gibt es einen neuen politischen Schwung bei der Lehre?
Auf der europäischen Ebene ganz massiv. Das EU-Ziel bis 2020 ist, die duale Berufbildung in allen EU-Staaten zu etablieren. Das hat auch neuen Schwung nach Österreich gebracht. Außerdem treibt der Fachkräftemangel das Thema zusätzlich.
... eine Renaissance der Lehre?
Europaweit ja. In Österreich braucht man keine Renaissance, sondern muss die Ausbildungsform nur gut erhalten.
Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner lud, gemeinsam mit Sozialminister Rudolf Hundstorfer, zur Enquete – und 150 Gäste und die Vertreter aller Parlamentsparteien kamen (außer die Neos): Axel Kassegger von der FPÖ, Birgit Schatz von den Grünen, und Robert Lugar vom Team Stronach.
Konkret ging es um Maßnahmen, um die duale Berufsausbildung (vulgo: die Lehre) besser zu machen. Als Probleme wurden identifiziert: – Der demografische Wandel und die Tatsache, dass es in den nächsten Jahren bedeutend weniger 15-Jährige geben wird. – Das Imageproblem, das die Lehre seit Jahren hat, sie ist deshalb für Jugendliche oft kein attraktiver Karriereweg. – Das Faktum, dass Firmen weniger in Lehrlingsausbildung investieren.
Mitterlehner und Hundstorfer wollen in den kommenden Monaten mehr für die Lehre tun. „Das öffentliche Bewusstsein für die Vorteile der Lehre muss verbessert werden. Wir brauchen nicht nur Akademiker, sondern auch einen qualifizierten Mittelstand“, sagt Mitterlehner. Konkret will man neue Zielgruppen und damit bessere Kandidaten für die Lehre erschließen: Mit einem Coaching-Programm für Lehrlinge und Betriebe, das bis zum Sommer ausgerollt wird. Damit will man beispielsweise auch Jugendliche mit Migrationshintergrund stärker für die Lehre begeistern. Auch die Ausbildungsinhalte sollen nach und nach modernisiert werden.
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