Die Grenzen wurden aufgehoben

Wir arbeiten, wie und wo wir wollen - auch, wenn es nicht erlaubt ist
Wir arbeiten in unserer Freizeit und machen Privates im Job. Wo führt das hin?

Wir planen Besprechungen und Urlaube am Diensthandy. Bestellen Konzerttickets und buchen Business-Flüge am Tablet, wir schreiben Geschäftsberichte für den Chef und chatten gleichzeitig mit dem Freund. Vor dem Schlafengehen schauen wir nochmal auf die eMails und im Urlaub können wir nicht mehr sein, ohne täglich zu checken, was sich im Büro tut.

Von getrennten Welten, von Work und Life und Balance ist keine Rede mehr. Die beiden Bereiche sind längst verschmolzen, eins geworden. Work-Life-Blending lautet das neue Wort dafür. Eine aktuelle Studie von Samsung befragte 4500 Arbeitnehmer in Europa und fand heraus: Dreiviertel der Menschen arbeiten in der Freizeit und machen Privates im Job.

Ob das gut oder schlecht ist, ist eine philosophische Frage. Fakt ist: Die Arbeitswelt durchlebt einen Wandel. Möglich machen das sicherlich auch unsere mobilen Arbeitsgeräte. In Österreich nutzen bereits 82 Prozent ein Smartphone. Durchschnittlich haben wir auf unseren Firmenhandys zehn private Apps. Umgekehrt nutzen wir auf unseren privaten Handys acht berufsbezogene Applikationen. Vier von zehn Personen sagen, durch die Vermischung von Privatem und Beruflichem könnten sie mehr Dinge in gleicher Zeit erledigen. Ein Drittel sagt sogar, dadurch wird Stress minimiert. Mehr tun und dafür ruhiger werden? Wie geht das?

Arbeitspsychologin und Supervisorin Martina Neubauer ist sich sicher: das kann gut gehen. "Work-Life-Blending fördert die Identifikation mit der Arbeit. Und das wiederum steigert die Produktivität." Arbeit sei nicht mehr bloß Arbeit, sie sei Teil des Lebens, Teil von einem selbst und man könne sie nicht mehr so isoliert wie früher betrachten.

Die starre Welt bricht ein

Das müssten langsam auch Unternehmen erkennen. Denn ihre Grenzen, wie etwa fixe Arbeitszeiten und starre Hierarchien, würden zunehmend aufweichen und schließlich irgendwann fallen, sagt Neubauer. Es gilt, neue Wege zu finden, die Mitarbeiter und Vorgesetzte in die richtige Richtung zu weisen, auch wenn sie den Weg dann autark gehen. "Es wird zunehmend schwieriger zu kontrollieren und zu steuern, klare Befehlsketten werden bedroht. Führung passiert künftig – unabhängig von der Organisationsgröße – über Vertrauen und Kommunikation."

Eine Studie des P.M. Magazins hat analysiert, womit wir hauptsächlich unser Leben verbringen. Es kam heraus, dass wir acht von 80 Jahren mit Arbeit verbringen. Den Rest unseres Lebens, 72 Jahre lang, verbringen wir mit privaten Dingen. Wenn Freizeit und Beruf immer mehr eins werden, verschwimmen dann auch die persönlichen Grenzen? Und werden wir künftig nie wieder richtig arbeiten und auch nie wieder richtig entspannen können? Hier soll der Arbeitgeber weiterhin auf uns Acht geben. Es brauche stets einen "Von-bis-Rahmen", an dem sich die Mitarbeiter orientieren können und einen starken Arbeitnehmerschutz, sagt die Expertin.

Es ist weiches, äußerst schwammiges Terrain, auf dem wir künftig wandern werden. Fakt ist, "im Work-Life-Blending der Mitarbeiter steckt unglaubliches Potenzial für Unternehmen", so Neubauer.

Die Samsung Studie fand heraus, dass Mitarbeiter in ihrem privaten Bereich sorglos mit geschäftlichen Informationen umgehen. Technikaffine umgehen bewusst und gerne betriebsinterne digitale Barrieren, wie etwa Firewalls, um bestmöglich arbeiten zu können – egal, wie und wo. Dokumente werden so zum Beispiel nicht mehr sicher im Bürorechner verwahrt, sondern können aufs Handy geladen werden – was viele Gefahren birgt. Die meisten „Hired Hacker“, also angestellte Hacker unter ihren Mitarbeitern, zählt Italien (34 Prozent). Besonders Mitarbeiter zwischen 18 und 34 Jahren ( 34 Prozent der Befragten) setzten sich gerne über firmeninterne Bestimmungen hinweg. Das stellt Unternehmen vor die Herausforderung, ihre Sicherheitsrichtlinien sowie ihre technologische Strategie im Hinblick auf das Work-Life-Blending anzupassen. Die EU ist deshalb besorgt und will ihre Datenschutzverordnung verschärfen. Wird in Firmen künftig nicht für eine sichere Datenverarbeitung gesorgt, drohen Strafen von bis zu 100 Millionen Euro oder gar fünf Prozent des Umsatzes.

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