Die Firma aus der Zukunft

Buffer ist ein Tool, das Social-Media-Einträge steuert. Vor zwei Wochen lud das Start-up seine 75 internationalen Mitarbeiter für eine Woche nach Hawaii. Dort trafen sich viele zum ersten Mal.
Das US-Start-up Buffer macht kein Geheimnis um Gehälter, Umsätze und Fehler. Ein Büro gibt es nicht, die 75 Co-Worker arbeiten im Netz. Mitgründer ist der Österreicher Leo Widrich. Er lebt die völlige Transparenz. Weil es seine Zukunft ist.

Der Kremser Leonhard Widrich ist 25 Jahre alt, Mitgründer des US-Starts-ups Buffer und verdient 185.000 US-Dollar im Jahr. Heikle Daten, die wir an dieser Stelle veröffentlichen? Nein – das hat das Social-Media-Unternehmen auf seiner Website schon selbst erledigt. Dort bloggt auch der Chef über Fehler, die Umsätze sind tagesaktuell nachzulesen – bis 11. Februar waren es übrigens 849.879 Dollar. Jeder Mitarbeiter liest die eMails der anderen – Transparenz und individuelle Wege zur Zielerreichung sind bei Buffer Mission. Trendforscher prophezeien: So sieht das Arbeitsmodell der kommenden Generationen aus.

KURIER: Die meisten Unternehmen halten sich mit ihren Zahlen bedeckt. Sie legen alles offen. Warum?

Leo Widrich: Als wir noch ganz klein waren, haben wir alles, was wir erreicht haben, sofort öffentlich gemacht: Yeah, ein neuer Kunde! Yeah, wir haben zehn Dollar verdient! Als wir größer wurden und es plötzlich um Zehntausende Dollar ging, sind wir aus Gewohnheit transparent geblieben. Joel (CEO, Anm.) und ich dachten uns: Je ehrlicher und offener wir sind, desto mehr Vertrauen gewinnen wir.

Sie haben 2015 eine Tabelle mit Gehältern Ihrer Mitarbeiter veröffentlicht. Waren mit so viel Transparenz alle einverstanden?

Es gab schon ein bisschen Verwunderung. Wir sind die verschiedenen Bedenken aber mit allen durchgegangen, am Ende stand jeder dahinter.

Entscheiden bei Buffer Mitarbeiter alles mit?

Ja. In vielen Firmen ist das nicht der Fall. Es soll aber nicht nur der Boss den gesamten Kontext kennen und gute Entscheidungen treffen können. Die Mitarbeiter sind viel näher am Thema und Kunden dran, haben am ehesten die Intuitionen, was zu tun ist. Wir haben eine Regel: 60 Prozent aller Ideen kommen vom Mitarbeiter, 40 Prozent von uns. Wir sind eher da, um Fragen zu stellen, wie: Gehen wir in die Richtung, in die wir gehen wollten?

Wer viel offenlegt, macht sich auch angreifbar.

Auf jeden Fall. Aber es gibt ein ungemein tolles Crowdsourcing von Ideen, Tausende arbeiten quasi gratis mit. Was die Konkurrenz betrifft, kann ich nicht sagen, ob wir naiv, ignorant oder arrogant sind. Wir glauben nicht so an Konkurrenz. Es gibt Platz für viele Leute und Ideen.

Wo hört die Transparenz auf?

Das Veröffentlichen von Feedback – also dem, was sonst privat unter zwei Menschen im Büro bleibt – war ein totaler Fehlschlag. Da sind die Emotionen hochgegangen, es gab keine gute Energie, wir haben’s wieder gelassen. Transparenz hört also dort auf, wo sie einen echten Schaden anrichtet. Oft glaubt man ja nur, dass Schaden entsteht. Als wir die Gehälter öffentlich gemacht haben, haben wir 4000 Bewerbungen bekommen. Die Menschen haben gesagt: Ich weiß mehr über eure Firma als über meine eigene. Ich will bei euch arbeiten.

Wie führt man 75 Mitarbeiter, die auf allen Kontinenten über alle Zeitzonen hinweg verteilt sind?

Wir verwenden viele Online-Tools, machen Videokonferenzen. Der Führungsstil ist sehr hands-off, die Mitarbeiter sehr diszipliniert und eigenständig. Es reicht ihnen etwa, wenn wir uns einmal in der Woche hören. Wir haben zehn Werte in unserer Firmenkultur, die jeder versucht nachzuleben – damit fällt viel Management weg.

Einer dieser Punkte ist, alle Mitarbeiter glücklich zu machen. Ein hohes Ziel fürs Management.

Auf jeden Fall. Aber das ist unsere Philosophie. Wir wollen den erfülltesten Arbeitsplatz der Welt schaffen. Deshalb messen wir auch keine Arbeitszeiten. Wenn du das, was du machen wolltest, in drei Stunden erledigst und den Rest des Tages am Strand verbringst – gut für dich.

Eine moderne Arbeitsmentalität. Haben Sie deshalb in den USA gegründet?

In den USA ist die Risikobereitschaft und Offenheit eindeutig größer, die Menschen gehen mutiger mit ihren Produkten auf den Markt, auch, wenn sie noch nicht ausgereift sind. Österreich ist nicht der inspirierendste Ort für Unternehmer, alles ist mehr für Arbeitnehmer optimiert.

Funktioniert völlige Transparenz in allen Branchen?

Nicht überall, wie etwa in der Pharmabranche, wird sie Sinn machen. Aber jede Branche könnte von mehr Transparenz profitieren.

„Wir kratzen erst an der Oberfläche der Potenziale, die uns die Digitalisierung eröffnet“, schreibt Arbeitsforscher und Vordenker Franz Kühmayer im Leadership Report 2016. Pioniere sind hier die Jungen: Sie nutzen das Internet als Büro, setzen auf virtuelles Vertrauen, lösen leichtfüßig Hierarchien auf, zudem positionieren sich die Chefs als Berater‚ nicht als allwissende Entscheider. „Antiwork“nennt Kühmayer dieses Arbeitsmodell der Zukunft, das schon jetzt anläuft.

Und die Alten, die großen Konzerne mit Hunderten, Tausenden Mitarbeitern, einer langen Geschichte, traditionellem Managementstil und vielschichtiger Aufbauorganisation? Schaffen sie es, mit der neuen Arbeitskultur mitzuhalten? „In den meisten Dinosauriern schlummern sehr bewegliche Einheiten, deren Potenzial nur darauf wartet, freigesetzt zu werden“, analysiert Kühmayer auf KURIER-Nachfrage.

Der Schlüssel fürs Mithalten der Großen mit dem Wandel läge in mehr Mut des Managements zu Partizipation der Mitarbeiter, weniger Kontrolle, Sicherheitsdenken und Struktur. „Das Thema Antiwork hat sich über Start-ups und die Generation Y auf Mitarbeiter aller Altersschichten und Branchen ausgeweitet“, sagt der Experte. Zeit, dass das alle Arbeitgeber verinnerlichen. „Es werden nur jene Unternehmen erfolgreich sein, die Fragen nach Zukunfts-Arbeitsformen nicht als reine Recruitingmaßnahme für junge Talente interpretieren, sondern gesamthaft und glaubwürdig im Unternehmen umsetzen.“

Der Mut, das zu machen, sei gerade in diesen Zeiten überlebenswichtig. Kühmayer: „Bequeme Stabilität kann auch zu tödlicher Starre führen.“

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