"Die Angst ist ein guter Regulator"

"Die Angst ist ein guter Regulator"
Alpinist Peter Habeler feiert seinen 70er. Ein Interview über das Chefsein am Berg, Risiko und das Gute an der Angst.

Peter Habeler ist einer der größten Alpinisten Österreichs. Ihm gelang 1978  die erste Besteigung des Mount Everest ohne Sauerstoffflaschen ("by fair means"). Am Wochenende feierte er 70. Geburtstag. Nicht auf einem Achttausender, sondern auf dem Großen Priel in Oberösterreich (2515 m) auf der Casinos-Bergtour mit Karl Stoss. Am Berg ist das Du-Wort obligatorisch, alsdann.

KURIER: Du bist 70 geworden, bist du jetzt in Pension?

Peter Habeler: Jetzt geht’s erst los. Ich bin immer neugierig auf neue Abenteuer, immer noch begeisterungsfähig.

Wieso faszinieren dich die Berge?

Die Berge haben mir alles gegeben: Den Lebensunterhalt und durch die vielen abgespeicherten Bilder fühle ich mich heute noch jung.

Wieso bist du nicht wie vorgesehen Glasmaler geworden?

Das war ein Nebeng’schichtl, das meine Mutter unbedingt wollte. Sie meinte, ich kann mit dem Bergführen keine Familie ernähren. Das Glasmalen hab’ ich gelassen, weil ich nicht gut genug war. Berggehen konnte ich immer.

Dir war immer klar, dass man davon leben kann?

Ich glaube, ja. Der Bergführer kann im Sommer und Winter Geld verdienen. Ich hab’ Bergführer kennengelernt, die auch davon leben konnten. Man muss ja nicht unbedingt reich davon werden.

Du hast dir einen Beruf ausgesucht, bei dem man sein Leben riskiert ...

Das sieht der Bergführer nicht so. Das Leben ist an sich riskant.  Der Bergführer versucht, sich konditionell und psychisch vorzubereiten, dazu Begeisterung, Motivation, Technik – da kann man schon gut überleben.

Du bist auch Unternehmer mit eigener Alpinschule, warst Skilehrer, Skischuldirektor. Du kannst auch  Chef sein?

Das ist mir nicht ganz leicht gefallen. In meiner aktiven Zeit bin ich immer unterwegs gewesen. Ich hatte das Glück, gute Mitarbeiter zu haben, die haben mir viel abgenommen.  Ich bin nicht der Obergeschäftsmann, hab’ aber geschaut, dass ich mein Auslangen finde. Wenn ich mal einen Bock geschossen hab’, haben das die Mitarbeiter ausgebügelt.

Jemals Sehnsucht nach einem "ordentlichen" Berufsleben gehabt?

Nein. Ich war immer happy mit meiner Bergsteigerei.

Dein erstes Buch heißt "Der einsame Sieg". Bist du ein Einzelkämpfer?

Ja, bin ich immer schon gewesen. Zwangsläufig, weil mein Papa gestorben ist, als ich sechs  war. Die Mutti hat mich ziehen lassen, sie war nicht sehr häuslich. Ich bin damit zurechtgekommen. Ich hatte mit 15 bereits eine eigene Wohnung bewohnt.

Hat sich das mit dem Einzelkämpfer im Lauf des Lebens verändert?

Ich war nie Teamplayer, habe meinen Mitarbeitern immer viel Freiheit gelassen.

In der Zweierseilschaft: Wer ist da der Chef?

Das Schöne mit dem Messner war, dass er das Mastermind in der Vorbereitung war. Aber am Berg waren wir gleichwertig. Da wird der  Führende nicht infrage gestellt: Wer vorausgeht, trifft die Entscheidungen. Extremklettern ist aber nicht Berggehen. In der Gruppe am Berg braucht es keine Demokratie. Da gebe ich  vor. Die anderen haben sich unterzuordnen.

Woher nimmst du dein Durchhaltevermögen?

Das hängt alles von der Motivation ab – viel passiert im Unterbewusstsein, man kennt die Berge, hat trainiert, fühlt sich sicher.

Was tust du, wenn du nicht mehr kannst?

Damit setze ich mich auseinander, wenn es so weit ist, dann  mische ich die Karten neu. Man macht sich ja viele Gedanken umsonst. Wenn ich am Berg nicht mehr kann, drehe ich um. Ohne Bitterkeit.  Der Berg steht ja noch länger da.

Über den Everest sagst du: "Der Everest  hat mich lediglich geduldet ...  wenn man von Sieg sprechen kann, dann war es einer über den eigenen Körper, über die Angst".

Alle Berge haben uns nur geduldet. Die Angst ist ein guter Regulator. Sie bewirkt, dass ich nicht ganz deppert werde und mir etwas zutraue, das ich nicht kann. Die Angst kommt aber nur in der passiven Phase, im Zelt. Da hab’ ich die Hosen voll. Nicht aber am Berg, wenn ich aktiv bin.

Du bist in den Tiroler Bergen aufgewachsen. Was war deine wichtigste Lektion?

Respekt zu haben. Und die Bereitschaft, umzudrehen.  

Wie viel Risiko gehört zu deinem Berufsleben?

Mein Gott, wir loten das schon gut aus. Manchmal gehen wir aber 100 % Risiko ein. Es kommt auf die Bergtour und die Begleiter an.

Du bist in der Welt herumgekommen. Was bedeutet Heimat für dich?

Das sogenannte Shangri-La, das Paradies, der Platz, wo die Sonne immer scheint. Es gibt viele Menschen, die ziehen von zu Hause weg, weil sie glauben, woanders finden sie noch mehr. Ich bin immer gern aufgebrochen und mit viel Freude wieder heimgekommen.

Dein Wunsch zum 70er?

Der Oberwunsch ist immer die Gesundheit. Und dass man nicht vom Blitz erschlagen wird. 

Peter Habeler: Bergfex aus Mayrhofen

Geboren im Zillertal, Vater früh gestorben, besteigt mit sieben seine ersten Berge  (mit einer Wäscheleine). Mit 14 lernt er „Glasmaler“, wird aber Bergführer und Skilehrer, gründet eigene Alpinschule. Dem  Zillertaler gelingen spektakuläre Begehungen: Rocky Mountains, Yerupajá-Ostwand (Peru), die  Durchsteigung der Eiger-Nordwand in knapp neun Stunden, die Nordwand des Matterhorns in vier Stunden.  Mit Reinhold Messner 1975 auf den  Hidden Peak ohne künstlichen Sauerstoff – die erste Besteigung eines Achttausenders im Alpinstil. Größter Erfolg: Mount Everest ohne Sauerstoffhilfe 1978.  Weitere  Achttausender: Cho Oyu, Nanga Parbat, Kangchendzönga. 

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