Die 3,6 Milliarden-Dollar-Frau - wie lange noch?

Die Idee scheint wahnwitzig: Ein Pieks in den Finger, nur ein Tropfen Blut, soll aufwendige Blutdiagnosen ersetzen. Es soll der große Wurf in der Diagnostik sein, die Medizinwelt revolutionieren. Auch Speichel- und Urintests sollen möglich werden. Statt in einer Klinik zwischen 50 und 100 US-Dollar für einen Cholesterin-Test hinzublättern, sollen Menschen, die ihre Werte erfahren wollen, das um 2,99 Dollar in der Drogerie um die Ecke tun können.

19 Jahre alt ist die Stanford-Studentin Elizabeth Holmes, als sie das Patent zu dieser Idee anmeldet. Sie nennt ihr Unternehmen Theranos – eine Mischung aus Therapy und Diagnosis. Geprägt ist ihre Geschäftsidee von ihrer eigenen Geschichte. "In meiner Familie gab es Hautkrebs, Knochenkrebs und auch Gehirntumore. Die Frage war für mich immer: Wie kann man eine Krankheit frühzeitig erkennen? 80 Prozent der Behandlung hängt von den Blutdaten ab", erklärt sie in einer US-Talkshow.

Die erste Million für ihr Business kommt von Superstar-Investor Tim Draper, einem guten Freund und Nachbar der Familie. Oracle-Gründer Larry Ellison legt weiteres Kapital dazu. 400 Millionen Dollar hat Holmes im Laufe der Investorenrunden gesammelt. Theranos soll heute neun Milliarden schwer sein. Und weil Holmes die Mehrheit der Anteile besitzt, ist sie Multimilliardärin. Ihr Netto-Vermögen wird aktuell auf 3,6 Milliarden Dollar geschätzt. Das US-Wirtschafts-Magazin Forbes kürt sie 2015 zur jüngsten Selfmade-Milliardärin der Welt, ihr Gesicht strahlt von Titelblättern vieler Magazine. Oft hält sie auf Fotos eine bunte Pille zwischen Zeigefinger und Daumen – ein Zeichen für die Revolution im Gesundheitswesen, für die Theranos steht.

Der weibliche Steve Jobs, so wird Elizabeth Holmes von ihren Bewunderern genannt. Der schlichte, schwarze Rollkragenpullover wird auch ihr Markenzeichen. Es solle in Gesprächen mit ihr nämlich um Inhalte, nicht um Äußerliches gehen, begründet sie die Kleiderwahl. Ihre Arbeitstage seien 16 Stunden lang, auf Kaffee verzichte sie, ihre Kraft schöpft sie aus Smoothies. Ein Fortune-Redakteur schreibt 2014, sie analysiere nach dem Essen gerne ihr eigenes Blut. Holmes scheint geheimnisvoll. Ihre tiefe Stimme gibt ihren bedachten Worten noch mehr Kraft. Sie spricht fließend Mandarin, bringt sich früh selbst das Programmieren bei, absolviert mit 16 Jahren Kurse an der Stanford Elite-Uni, wo sie auch ihr Studium des Chemieingenieurwesens beginnt. Nach nur einem Jahr schmeißt sie die Uni. Sie folgt ihrer Intuition ins Silicon Valley. Der Rest ist Erfolgsgeschichte.

Und dann der Rückschlag

Eine Prüfung der US-Gesundheitsbehörde vergangenen Herbst bringt das Lebenswerk der Gründerin ins Wanken. Ein Brief des Centers for Medicare & Medicaid Service (CMS) legt offen: Die Theranos-Tests seien unzuverlässig und würden Patienten gefährden. Die Praktiken der Auswertung könnten zu Verletzungen, Schäden und sogar zum Tod führen, denn die Ergebnisse würden stark von herkömmlichen Test-Ergebnissen abweichen. Medikamente für Patienten könnten falsch dosiert, Therapien falsch gewählt werden.

Ein PR-Desaster, das schnell volle Fahrt aufnimmt. Holmes ist mit März 2016 mit 3,6 Milliarden US-Dollar zwar immer noch die reichste Selfmade-Woman der USA. Ihr Vermögen wird vergangenes Jahr aber noch auf 4,5 Milliarden geschätzt – es rutscht aufgrund der aktuellen Entwicklungen ab. Ein neuerer Brief der CMS bringt die Firma noch tiefer in die Patsche: Theranos mache mit den Tests weiter, obwohl Mängel im Verfahren festgestellt wurden. 81 Patienten seien betroffen. Laut der Financial Times sucht die Apotheken-Kette Walgreens, in der die Theranos-Test-Center angesiedelt sind, nun nach Möglichkeiten, die Zusammenarbeit schnell zu beenden. Die Zukunft der Firma ist somit ungewiss.

Ging alles zu schnell, zu glatt? Waren alle vom Start-up-Superstar geblendet? Ist die Geschichte der 32-jährigen Studienabbrecherin zu gut, um wahr zu sein? Investoren und Partner sind jedenfalls hochgradig nervös. Erst vor drei Wochen wurde sie von einem öffentlichen Auftritt zurückgepfiffen – ihre Berater empfehlen Zurückhaltung. Angesichts des großen medialen Hypes um Holmes scheint es für Zurückhaltung jetzt aber bereits zu spät.