Der Philosoph als Manager
Der Historiker als Museumsaufsicht? Die Philosophin als Taxifahrerin? Die Liste der Klischees ist lange, wenn es um Berufsmöglichkeiten für Geisteswissenschafter geht. Dabei sind deren Fähigkeiten mitunter sogar in Bereichen gefragt, in denen man das nicht unbedingt vermuten würde. Das Medienunternehmen Bertelsmann etwa fördert Absolventen ab 1. April gezielt im Rahmen eines Trainee-Programms. Über einen Zeitraum von 20 Monaten sollen die Kandidaten dort alles lernen, was sie perspektivisch für eine Führungsrolle im Unternehmen brauchen werden. Mindestens zwei wesentliche Fähigkeiten bringen sie bereits selbst mit, betont Programmleiter Nico Rose: Leidenschaft und Kreativität.
700 Bewerbungen
"In der Wirtschaft werden Geisteswissenschafter in Managementpositionen oft noch immer eher als Exoten angesehen", sagt Rose. Zu Unrecht. Daher lautete die Botschaft nach Außen ganz klar: "Wir trauen euch das zu." Schon bisher sind auch in den Führungsebenen von Bertelsmann viele Geisteswissenschafter im Einsatz, ihren Anteil am Erfolg musste man also nicht erst untersuchen. "Aber bisher ist das eher passiert und jetzt wollen wir das explizit fördern", erklärt Rose den Schritt. Eine Suche, die einen solch regen Zulauf zur Folge hatte, dass damit selbst er und sein Team nicht gerechnet hätten. Insgesamt 700 Menschen bewarben sich auf die Ausschreibung, fünf von ihnen wurden genommen. Aus dem großen Pool bekamen allerdings auch andere eine Chance, fügt Rose hinzu: "Wir haben unter den Bewerbern so viele tolle Leute kennengelernt, dass eine zweistellige Zahl von ihnen an anderen Stellen des Unternehmens für Direkteinstiege im Gespräch ist." Die große Nachfrage zeigt für ihn jedenfalls deutlich, dass mit dem Trainee-Programm eine echte Marktlücke entdeckt wurde, weil es das in dieser Form bisher noch nicht gab.
Für Geschichten brennen
Wie wichtig Leidenschaft und Kreativität für das Geschäft sind, zeigen die teils langgedienten Mitarbeiter auch in der Manager-Ebene. Danach gefragt, welche ihre Storys sind, was ihnen wichtig ist, wurde deutlich, "dass es vor allem darum geht, gute Themen zu finden, gute Geschichten zu verfolgen, die auf den ersten Blick vielleicht betriebswirtschaftlich gar nicht so viel Sinn machen", sagt Rose. Als Beispiel nennt er den VOX-Geschäftsführer Bernd Reichart, der ursprünglich Sport und Englisch auf Lehramt studiert hatte. Er entwickelte als Executive Producer die Serie "Club der roten Bänder" über an Krebs erkrankte, junge Menschen: "Mit wirtschaftlichen Analysen wäre der Erfolg nicht vorhersehbar gewesen und das zeigt uns, dass es sich lohnt, an tolle Geschichten zu glauben und mit Leidenschaft für sie zu kämpfen."
Jene Leidenschaft und Kreativität bringen Geisteswissenschafter in einem überdurchschnittlich hohen Ausmaß mit, ist man bei Bertelsmann überzeugt. "Das bedeutet nicht, dass wir den klassischen Controller nicht mehr suchen, den brauchen wir natürlich weiterhin", betont Rose. Eher nebensächlich war, in welcher Zeit das Studium abgeschlossen wurde. Das zeigt sich an den fünf aufgenommenen Bewerbern: Sie sind zwischen 25 und 30 Jahre alt, keiner von ihnen war zuvor über einen längeren Zeitraum voll berufstätig. Allerdings hatten viele bereits während des Studiums etwa Blog- oder künstlerische Projekte ins Leben gerufen, bringen zudem einige Zusatzqualifikationen mit.
Krass kombiniert
Für das Programm wurden ganz klar Geisteswissenschafter gesucht, daher sollte auch die Anzahl der betriebswirtschaftlichen Credit Points nicht zu hoch sein. Doch allgemein sieht Rose für Bewerber, die etwa BWL und Geisteswissenschaften studierten, gute Chancen: "Wir würden wir uns sehr freuen, aber das ist hierzulande leider eher selten." Auch krasse Wechsel oder Kombis kamen Rose in Bewerbungen bisher nur sehr selten unter. Darin sieht er einen deutlichen Unterschied zwischen dem deutschen beziehungsweise österreichischen und dem angelsächsischen Uni-System. "In Deutschland ist man immer noch ein Stück weit gefangen in dem, was man studiert und dann damit macht. Oft wird geklagt, es sei schwierig, mit Geisteswissenschaften in verantwortungsvolle Positionen zu kommen. In England ist es völlig normal, etwa den Bachelor in Geschichte und den Master in einem nicht geisteswissenschaftlichen Fach zu machen."
Zahlenspiele
Wer leidenschaftlich und kreativ ist, bringt aber nicht automatisch ein großes Interesse an Zahlen mit, weiß man auch bei Bertelsmann. Im zweiten Schritt des Aufnahmeverfahrens galt es für die Bewerber daher, einen Onlinetest zu absolvieren. "Wir haben geschaut, ob sich die Kandidaten mit Zahlen grundsätzlich wohlfühlen, ob das auch eine Stärke von ihnen ist", erklärt Rose. Bei jenen, die im April starten werden, macht er sich darüber keine Sorgen, zusätzlich bereite man sie aber noch entsprechend vor.
Das etwas andere Profil
Ähnlich sieht das Andreas Putz, Geschäftsführer von Strategy&, der Strategieberatung von PwC. Er sagt: "Natürlich sollte man auch ein mathematisches Grundverständnis, eine gewisse Affinität für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge mitbringen. Aber alles darüber hinaus kann jeder lernen." Mit Trainings, Mentorings und anderen Maßnahmen bildet Strategy& seine Leute auch in diesen Bereichen weiter aus. Mitarbeiter, die aus unterschiedlichsten Bereichen kommen. Man sucht bewusst auch die "etwas anderen Profile", sagt Putz. Dabei geht es um Diversität genauso wie um Kreativität. Und darum, dass für die Arbeit bei Strategy& nicht das Studium selbst, sondern vielmehr die Gesamtqualifikation im Vordergrund steht. Wichtig seien vielmehr beispielsweise ein guter Studienerfolg, Auslandserfahrung, Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Themen, Motivation, die Fähigkeit, auch komplexe Aufgaben lösen zu können und zu wollen, und internationales Denken.
Das bringen freilich nicht nur Geisteswissenschafter mit. Daher sucht Strategy& explizit alle Studienrichtungen, weist darauf auch in sämtlichen Jobausschreibungen hin. Psychologen und Musikwissenschafter finden sich im Unternehmen genauso wie Mediziner, Juristen und Biologen. Sogar ein ausgebildeter Opernsänger war bereits Teil des Teams, erinnert sich Putz. Sie alle machen in der Firmenstruktur etwa 20 Prozent aus, 50 Prozent kommen aus einem betriebswirtschaftlichen und 30 Prozent aus einem technischen Umfeld.
Putz selbst rechnet sich übrigens auch eher den "Exoten" zu, hatte sein heutiges Berufsbild lange Zeit gar nicht vor Augen: "Ich bin erst durch die Arbeit als Jurist in anderen Unternehmen zur Strategieberatung gekommen. Das Bild vom Juristen, der keine Ahnung von Zahlen hat, stimmt also definitiv nicht."
Autorin: Sabine Karrer
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