Das ungeliebte Familienmodell

Das ungeliebte Familienmodell
Ein egalitäres Partnermodell, bei dem sich Eltern gleich stark in Job, Familie und Haushalt engagieren, wird in Österreich selten gelebt. Dabei würden es Väter eher wollen als Mütter.

2014, würde man glauben, wird emanzipiert gelebt und partnerschaftlich entschieden. Anders als früher, als die Aufgabenteilung klar war: Er, Vater, Familienoberhaupt, geht arbeiten. Sie, Mutter, kümmert sich um Haushalt, Kinder und Pflege. Lange blieb diese Verteilung unhinterfragt. Selbst jetzt, wo Frauen in Ausbildung und Karriere aufgeholt haben, stellt sich die Frage „Wer macht was und wie viel?“ nur selten. In weniger als fünf Prozent der Familien wird die Kinderbetreuung partnerschaftlich aufgeteilt.
Veränderungen in der Gesellschaft geschehen langsam. Wie bei tektonischen Verschiebungen vollzieht sich auch der Wandel von Familienstrukturen und Geschlechterrollen in Minimalschritten. Ein bisschen was tut sich aber doch.


Männer: Arbeiten mehr

Die alle 15 Jahre durchgeführte Zeitbudgetstudie der Statistik Austria zeigt eine bemerkenswerte Neuerung: Frauen arbeiteten bis 1992 dreißig Minuten mehr pro Tag als Männer, rechnet man Job, Haushalt und Familie zusammen. Das gilt heute salopp gesagt nur noch für Pensionisten-Haushalte. Je jünger die Familie, desto mehr arbeitet der Vater. In Familien mit Kindern unter sechs Jahren sind es heute die Männer, die in der Zeit-Statistik voranliegen. Die jungen Väter leisten pro Tag 45 Minuten mehr produktive Tätigkeit als Frauen. „Väter intensivieren ihre Erwerbstätigkeit mit dem ersten Kind und übernehmen auch mehr Haus- und Familienarbeit als früher“, erklärt Norbert Neuwirth, Senior Researcher vom Institut für Familienforschung, Universität Wien.
Das bedeutet aber nicht, dass sämtliche Arbeiten auf die Eltern gleich aufgeteilt sind. Familienarbeit ist weiterhin Frauensache. Laut Forscher Neuwirth wüssten Männer zwar, dass sie zu wenig Zeit bei ihren Kindern sind, sie ziehen aber keine Konsequenzen daraus. Eine Studie von Uniprofessor Erich Lehner zeigt: In Niederösterreich würden 2/3 der Väter in Karenz gehen wollen, 3/4 können sich Teilzeitarbeit vorstellen. Sie tun es nicht, weil sie dabei Geld verlieren und keine Akzeptanz von Kollegen und Chefs finden würden. „Firmen können mit Auszeiten nicht umgehen“, sagt Manuela Vollmann vom abz*austria. „Das Brainscript der Chefs richtet sich nicht nach den Bedürfnissen der Väter.“


Frauen: Bei den Kindern

Der Scheidepunkt in der ungleichen Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit liegt bei der Geburt des ersten Kindes. Paare teilen sich bis dahin die Hausarbeit noch wesentlich gleichmäßiger auf. Dann kommt es zur nachhaltigsten Veränderung überhaupt – weder Heirat noch Geburt eines weiteren Kindes lösen ähnliche Retraditionalisierungseffekte aus wie der Übergang zur Elternschaft. Die Hausarbeit verdichtet sich neben der Kinderbetreuung bei den Müttern, so eine Studie vom Institut für Familienforschung der Universität Wien, während Väter sich wieder verstärkt auf die traditionelle Rolle des Familienernährers konzentrieren.
Die Babypause sei eine Wirtschafts- und Bauchentscheidung, erklärt Neuwirth. Frauen gingen in Mutterschutz, anschließend in Karenz und blieben, im Europa-Vergleich, lange bei ihren Kindern daheim. Die Rückkehr in den Job erfolgt meist stark reduziert.
Männer hätten den familiären Startnachteil, weil sie nach der Geburt (logisch, weil biologisch) nicht zum Zug kämen. Und den Vorteil, ökonomisch besser dazustehen, sprich mehr zu verdienen als Frauen. Die Familienentscheidung lautet somit: Er arbeitet weiter und verdient das Geld, sie kümmert sich um das Kind und die folgenden Kinder. Das belegt auch die Statistik des Familienministeriums: Im Februar waren 2,1 Prozent der Kindergeldbezieher Männer, im Juli 1,8, im November 2,2 Prozent. Die Dauer der Männer-Karenz (des Kindergeldbezugs) wird vom Ministerium nicht erhoben. Der Mindestbezug liegt aber bei zwei Monaten. Das, so wird geschätzt, ist etwa die Dauer, die Männer aus dem Job aussteigen, sofern sie es überhaupt tun.
Beide? Fast nie Das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben hat massive Konsequenzen: Zurückfallen in der Karriere, Gehaltseinbußen, fehlende Versicherungszeiten für die Pension und geringe Pensionshöhe. Das faire Modell der Doppelbetreuung – beide Eltern engagieren sich reduziert im Job und minimieren damit die Auswirkungen für den Einzelnen, gehen geteilt in Karenz und versorgen gemeinsam die Kinder – wird in Österreich kaum gelebt. Auch, „weil ein nicht zu vernachlässigender Anteil von Müttern nicht will, dass der Mann ihr Familien-Terrain übernimmt“, erklärt Norbert Neuwirth. Das Kind sei oft ein willkommener und gesellschaftlich akzeptierter Grund, aus dem Job auszusteigen. Denn: Vier von zehn ÖsterreicherInnen stehen einer Berufstätigkeit von Müttern skeptisch gegenüber.

Claudia und Matthias Witzemann sind Berater bei AT Kearney, waren acht und sechs Monate in Karenz, arbeiten jetzt jeweils 80 Prozent und teilen sich die Betreuung der Töchter (7 und 2). Bernhard Sengstschmid ist Unternehmer, Vater von zwei Töchtern (3 Jahre, 6 Wochen). Seine Frau war/ist jeweils zwölf Monate in Karenz, er zwei. Sie sprechen mit Familienministerin Sophie Karmasin über das Doppelversorger-Modell.

KURIER: Frau Ministerin, warum ist die gleich geteilte Kinderbetreuung bei uns so ungewöhnlich?

Sophie Karmasin: Sie hat keine Tradition. Die Väterbeteiligung wächst, aber zu wenig. Wir wünschen uns mehr Väterkarenzen und eine längere Dauer, es soll Halbe-Halbe geben. Dafür wollen wir Anreize schaffen, einen Bonus für Eltern, die 50:50 teilen. Weniger als fünf Prozent tun das.

Frau und Herr Witzemann, wieso ist das bei Ihnen gelungen?

Matthias Witzemann: Wir haben das zur Firmenangelegenheit gemacht und dafür gekämpft.

Sophie Karmasin: Die Firma hat offenbar erkannt, dass es ein Wettbewerbsvorteil ist, gute Mitarbeiter nicht zu verlieren.

Matthias Witzemann: Ja, und es ist auch ein Marketingvorteil. Unsere Firma macht jetzt mit uns als Rollenmodell Werbung. Wir sind als Paar ungewöhnlich: Unsere Gesellschaft ist weit vom Halbe-Halbe-Gedanken entfernt. Bin ich am Wochenende auf dem Spielplatz, wird das akzeptiert – unter der Woche werde ich angesehen, als wäre ich von einem anderen Stern.

KURIER: Wie fordernd darf man gegenüber dem Arbeitgeber sein?

Claudia Witzemann: Anfangs waren wir das nicht, weil wir selbst nicht wussten, wie es geht. Wir haben uns das erarbeitet. Die Reaktionen anderer Mütter sind immer gleich: ,Toll, dass dich dein Mann unterstützt‘. Ich antworte: Er unterstützt mich nicht, er macht seinen Teil.

Sophie Karmasin: In Dänemark sagt man, "Wir gehen als Paar in die Familie". Bei uns geht man als Frau allein in die Familie, mit gelegentlicher Hilfe vom Mann.

Claudia Witzemann: Ich habe nicht das Gefühl, dass der Matthias mir hilft. Wenn ich wegfliege, bin ich frei im Kopf. Denke nicht daran, ob die Kinder zu essen haben oder eine Haube tragen. Er kann das, weil er ein vollwertiger Teil des Systems ist.

Matthias Witzemann: Da muss die Frau aber auch loslassen können, sonst hat man als Mann keine Chance.

Sophie Karmasin: Das stimmt, Verantwortung abgeben, das müssen Frauen auch lernen.

Matthias Witzemann: Im Bekanntenkreis, wo es keine Halbe-Halbe-Karenz gab, sehen wir: Dort ist die Rollenverteilung immer noch sehr klassisch.

Österreich hat eine umfassende Karenz- und Kindergeldregelung. Was fehlt Ihrer Meinung nach?

Bernhard Sengstschmid: Als Selbstständiger ist die finanzielle Unterstützung in der Karenz okay – es gibt einen fixen Tagessatz. Um mehr Männer in die Karenz zu bringen, müsste man finanzielle Anreize schaffen.

KURIER: Man muss Männer also belohnen, wenn sie in Karenz gehen.

Sophie Karmasin: Wir wollen künftig die Gemeinschaftsleistung honorieren, einen Partnerbonus auszahlen – das soll keine Belobigung der Männer sein. Es soll das starke Ungleichgewicht beseitigen: Die Männer sind die Attraktion, wenn sie in den Park gehen, die Frauen machen das seit 30 Jahren. Wir müssen das Partnerschaftliche fördern.

Matthias Witzemann: Die Rahmenbedingungen in Österreich sind super. Aber in den Köpfen der Chefs herrscht ein veraltetes Denken. Wenn wir einmal die Chefs sind, werden wir sicher ganz anders auf dieses Thema reagieren. Das wächst sich raus.

Bernhard Sengstschmid: Ich denke, es gibt ein viel zu starres Denken, was die Arbeitszeit und die Arbeitsmodelle betrifft. Ein veraltetes Anwesenheitsdenken.

KURIER: Es verwundert, wie wenig Frauen ihre Männer beim Kinderthema in die Pflicht nehmen.

Claudia Witzemann: Wir müssen uns als Frauen überlegen, welchen Partner wir aussuchen. Will ich zu Hause bleiben, brauche ich einen Mann, der das finanziert. Will ich weiterarbeiten, brauche ich einen Partner, der das mit mir teilt. Ich erlebe bei jungen Mitarbeiterinnen, dass die Frage nach der partnerschaftlichen Teilung öfter gestellt wird. Wenn sich beide gleich um die Familie kümmern, ist es für die Firma auch kein Risiko mehr, eine Frau einzustellen. Dann ist das Frausein kein Wettbewerbsnachteil mehr. Aber da muss sich noch viel ändern. Ich höre oft: "Du Arme musst arbeiten, verdient dein Mann nicht genug?" – für mich ist das Arbeiten aber wunderbar.

Sophie Karmasin: Es ist wichtig, dass sich das Thema auch über den Partnerschaftsmarkt ändert. Gut ausgebildete Frauen denken hoffentlich auch strategisch in Richtung Vereinbarkeit, wenn sie sich einen Mann aussuchen. Die Jungen müssen das mitverhandeln, es zumindest zum Thema machen.

Claudia Witzemann: Man muss das Thema auch aus dem Risikoaspekt heraus sehen: Die Hälfte aller Ehen geht schief. Da sollte man sich als Frau gut überlegen, ob man zehn Jahre zu Hause bleibt. Im Übrigen hat mich der Matthias im Anzug kennengelernt. Nach zwei Wochen als Hausfrau mit Baby ist von der Businessfrau nichts mehr übrig. Das wirkt sich natürlich massiv auf die Partnerschaft aus.

KURIER: Männer plagt beim Karenzthema vor allem die Angst vor Karriererückschlägen. Wie gehen Sie mit dieser Sorge um?

Bernhard Sengstschmid: Der Karriereaspekt war mir nicht so wichtig, auch das Finanzielle nicht. Ich will Zeit mit meinen Kindern verbringen.

Matthias Witzemann: Das ist ein hoher psychologischer Druck. Die Entscheidung ist ganz klar für die Familie und in gewisser Weise gegen die Karriere.

Sophie Karmasin: Wir haben es bisher noch nicht geschafft, moderne, neue Rollenbilder zu definieren. Die Mutter, die auch erfolgreich im Job ist, wird immer noch schnell als Rabenmutter abgetan. Und der fürsorgliche Vater mit Schwerpunkt auf Familie und Job ist schnell das Karenz-Ei – und nicht der coole Daddy.

Kommentare