"Das typische Frauen- oder Männerhirn gibt es nicht"

"Das typische Frauen- oder Männerhirn gibt es nicht"
Biologin und Professorin Sigrid Schmitz räumt mit vielen Klischees über die angeblichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf.

Wissenschaftliche Untersuchungen von Zusammenhängen zwischen Geschlecht und Sozialverhalten gehören zu ihrem Alltag: Sigrid Schmitz ist Biologin und Professorin für Gender Studies am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien.

KURIER: In Ihren Untersuchungen räumen Sie mit vielen Klischees über die angeblichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf. Was ist die Grundlage dafür?
Sigrid Schmitz: Ich habe die Grundlagen verschiedener Forschungsarbeiten analysiert. Selbst unter Einbeziehung bildgebender Verfahren aus der Hirnforschung waren die Resultate einzelner Studien widersprüchlich. Der Vergleich sämtlicher Testergebnisse konnte keine generellen Geschlechterunterschiede belegen.

Frauen sind also nicht sprachbegabter und Männer haben keine bessere Orientierung?
Beim Einzelnen ist das möglich, keines der Ergebnisse lässt aber übergreifende Aussagen über die Sprachverarbeitung oder die Raumorientierung, oder über die Frau oder den Mann zu. Die Unterschiede innerhalb der Geschlechtergruppen, etwa bei der Lösung räumlicher Aufgaben, sind häufig größer als jene zwischen Männer und Frauen und hängen mit unterschiedlichen Erfahrungen zusammen. Das typische Frauen- oder Männergehirn gibt es nicht.

Warum halten sich die Vorurteile so hartnäckig?
Zum einen, weil sich plakative Aussagen in Büchern und Medien gut verkaufen lassen. Zum anderen, weil unsere individualisierte, flexible Gesellschaft bei vielen Menschen zu starker Verunsicherung geführt hat. Die Zuschreibung von Geschlechterrollen ist für die Einzelnen einer der letzten Horte der Sicherheit. In der Gesellschaft legitimieren diese Zuschreibungen immer noch die Arbeitsteilung. Das ist häufig zu beobachten, wenn es wirtschaftlich eng wird, Arbeitsplätze und Ressourcen knapp werden.

Wie ist das aus Ihrer Sicht bei der Kommunikation?
Frauen sind nicht generell sprachbegabter. Diese viel zitierte Theorie, dass Frauen 20.000 Wörter mehr am Tag sprechen als Männer, ist Unsinn, wissenschaftlich unhaltbar und längst widerlegt. Es gibt auch Männer, die sehr viel sprechen. Es hängt von den Erfahrungen des Individuums ab, wie sich sein Gehirn, sein Verhalten, sein Denken und damit auch seine Sprache entwickelt.

Kann die Gender-Forschung das Verständnis zwischen den Geschlechtern verbessern?
Ziel ist es, Geschlechterzuschreibungen aufzudecken, wenn sie ohne logischen Grund gemacht werden. Sie haben etwas mit Macht und Legitimierung von Rollen zu tun. Häufig werden Grenzen gezogen, wo keine sind.

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