Das Tempo aus dem Alltag nehmen

Stress liegt nicht nur an äußeren Einflüssen. Wir können mehr dagegen tun, als wir glauben.
Im Job sollte man vor allem eines reduzieren: Ansprüche.

Schneller, mehr, besser – und das am besten gleichzeitig: Der Faktor Zeit spielt im Job eine große Rolle. Viele Berufseinsteiger fühlen sich überfordert: In der Jugendstudie 2012 gaben drei Viertel der befragten Jugendlichen an, in ihrem Freundeskreis von Stress und Überforderung geplagte Personen zu haben. Doch lässt Schnelligkeit uns wirklich alle Aufgaben effizient erfüllen?

Der deutsche Zeit-Philosoph und Buchautor Karlheinz Geißler verneint und rät zur Entschleunigung und zu Pausen. Allerdings: „Wir neigen dazu, Pausen mit weiteren Aktivitäten zu füllen. Die Klassiker: Mails checken und telefonieren. Lassen Sie Ihre Pausen lieber leer.“ Dass es uns in allen Bereichen des Lebens schwerfällt, offene Zeitfenster zu akzeptieren, weiß der Experte: „Unser größtes Problem ist, dass unsere Gesellschaft Zeit immer mit Geld verrechnet. Doch das Leben besteht aus mehr als nur Ökonomie.“ Abstand zum Job zu suchen und beim Mittagessen nach jedem Bissen das Besteck kurz abzulegen, wäre ein guter Anfang.

Auch François Lelords Romanfigur, der Psychiater Hector, fragt sich, ob man Zeit sparen oder wie man sie zumindest qualitativ füllen kann. Er erfindet Zeit-Übungen, darunter: „Ordnen Sie alles, was Sie zu tun haben, in eine Tabelle mit vier Feldern ein: dringend und wichtig; dringend und nicht wichtig, wichtig und nicht dringend, weder wichtig noch dringend.“ Prioritäten zu setzen und Aufgaben ins rechte Licht zu rücken, erleichtern die Organisation und nehmen das Tempo aus dem Alltag. Manches muss nicht sofort sein. Und von manchem hängt der Lauf der Welt nicht ab.

Rhythmus im Blut

Wann wir am konzentriertesten sind, hängt bei jedem Menschen zum größten Teil von seinem Bio-Rhythmus ab. „Die Hochleistungsphase liegt bei jedem anders und bestimmt unsere Produktivität“, verrät Geißler. Um die zu finden, hilft es, ein Zeit-Tagebuch zu führen: Halten Sie fest, was Sie wann geschafft haben.

Auch wenn das Muster, das sich ergibt, zum Teil auf Gewohnheit und Konventionen beruht, steckt in erster Linie Ihr Körper dahinter. Auf den zu hören und die Balance zwischen Anstrengung und Entspannung zu finden, baut Stress langfristig ab. „Im Team“, so Geißler, „sollte jeder zum eigenen Rhythmus stehen und der Versuchung widerstehen, Pausen zu rechtfertigen, wenn andere keine machen.“

Eine Falle, in die viele engagierte Menschen tappen, ist der Drang nach Perfektion. An Projekten bis zur idealen Version zu feilen, raubt Nerven, Energie und Motivation – im schlimmsten Fall sogar die Freude am Job.

Das unterstreicht auch Lebenscoach Christoph Seyrl aus Wien: „Wer oft das Gefühl hat, dass noch etwas fehlt, und eine Aufgabe auch nach längerer Beschäftigung nicht abschließen kann, dem macht sein Perfektionismus bald das Leben schwer.“

Er rät dazu, innezuhalten und sich zu fragen: Wem muss ich es gerade recht machen? Oft geht Streben nach Perfektion mit dem Wunsch einher, Erwartungen zu übertreffen und allen zu gefallen. Das ist unmöglich, doch die wenigsten sehen es ein. Fragen Sie sich: Wer sind die wichtigsten Chefs und Kollegen, die meine Aufgabe bewerten? Das macht die Aufgabe klarer, und mindert Stress. Neben Perfektionismus und dem Everybody’s-Darling-Syndrom identifiziert Seyrl noch drei weitere Überforderungs-Antreiber: Sei stark! Sei schnell! Und: Streng dich an! Ob und welche Sie betreffen, verrät ein Test im Internet. Zeitsparend: Er dauert nur zehn Minuten.

poeschel.net/ zeit/antreiber

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