Der junge Mann bremst an der Ecke, steigt vom E-Tretroller ab und lässt ihn auf den Gehsteig fallen. Dumpf schlägt das Gerät auf dem Asphalt auf. Vorbeikommende Menschen steigen unaufgeregt drüber. Am nächsten Morgen liegt der Roller immer noch dort.
E-Tretroller zum Ausleihen sind aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Wie Unkraut sprießen sie auf den Gassen, sechs Anbieter gibt es allein in Wien bereits. Man borgt sie aus – ein paar Euro für ein paar Minuten. Aber nicht nur Roller, auch Fahrräder, Mopeds und Autos holt man sich bei Bedarf.
Von Kinderspielsachen über Hühner, Wasch- und Bohrmaschinen, Musik, bis hin zu Wohnungen, Büros und Gärten – die Zahl der vifen Teil- und Leihmodelle, die bieten, was man nur temporär braucht, wächst.
Was steckt dahinter?
Zusammengefasst werden diese Geschäftsmodelle unter dem Begriff Sharing Economy. Genau eingrenzen lässt sich der aber nicht. „Er wird für Dienstleistungsplattformen, Vermietungsplattformen, für nicht-monetäre Weitergabeplattformen von Haushaltsgegenständen oder Lebensmitteln wie auch für andere Projekte und Geschäftsmodelle verwendet“, heißt es im „Branchenreport Sharing Economy“ der Arbeiterkammer Wien (AK Wien). So weit, so undurchsichtig.
Es wird noch komplizierter: Man kann Güter und Dienstleistungen teilen, Privatpersonen und Unternehmen können Anbieter und Abnehmer sein. Und: Viele Anbieter teilen nicht, sie vermieten oder verkaufen auch. Was also ist der Sharing-Trend?
Bücher: Ja. Zahnbürste: Nein
Experten konnten sich bislang darauf einigen: Die Bewegung ist aus einem kollektiven Bedürfnis der Bevölkerung heraus entstanden. „Das hat sich nicht einer allein im Hinterzimmer ausgedacht, dieser Trend kommt aus der Gesellschaft heraus“, sagt Dieter Bögenhold, Vorstand des Instituts für Soziologie an der Uni Klagenfurt(lesen Sie ein ausführliches Interview mit ihm weiter unten).
„Wir teilen, was nicht allzu privat ist. Bücher: Ja. Hygieneartikel: Nein.“
von Sebastian Vith von der WU
über Gegenstände, die wir teilen und leihen
Als kleinster gemeinsamer Nenner fungiert hierbei also eine Community, aber auch Apps oder Plattformen machen sie aus. 121 solcher hat die Arbeiterkammer für den deutschsprachigen Raum in ihrem Branchenreport gezählt – das war 2017. Heute seien es weit mehr, sagt der Studienautor des Reports, Simon Schumich von der AK Wien.
Allein in Wien gibt es über 300 Sharing Economy Organisationen, wie die Wiener Plattform www.sharing-economy.at kürzlich zusammengefasst hat. Gefragt, was wir denn eigentlich am liebsten teilen, sagt einer der Macher dieser Plattform, Sebastian Vith von der WU: „Wir teilen, was nicht allzu privat ist. Bücher: Ja. Hygieneartikel: Nein.“ Sharing über solche Plattformen sei grundsätzlich ein städtisches Phänomen.
Zuwachs an Diensten
Die Art und Zahl der Anbieterlässt darauf schließen, was die Österreicher am häufigsten und liebsten teilen: alles, was in den Mobilitäts- und Transport-Sektor fällt. Zu finden sind im AK-Branchenreport aber auch Funding- und Investing-Plattformen und Online-Marktplätze wie Shpock oder Plattformen, wo Dienstleistungen wie Putzhilfevermittlung, dazu gehören.
„Austauschplattformen, wie eBay oder Shpock, bleiben im Trend. Richtig gewachsen sind in den vergangenen Jahren aber Airbnb, der E-Scooter-Sektor und On-Demand-Services, wie etwa Clickworker“, sagt Simon Schumich von der AK.
Sozialer Hintergrund...
Als der Begriff erstmals auftauchte,ging es darum, leer stehenden Raum oder selten verwendete Ressourcen stärker zu nutzen. „Seit das Smartphone in der breiten Masse verfügbar ist und es allen möglich ist, zu teilen, sprechen wir von dem Begriff Sharing Economy, wie wir ihn heute kennen“, sagt Sebastian Vith von der WU.
„Die meisten Modelle haben im Kern auch immer noch einen ökologischen oder sozialen Gedanken. Innerhalb der unterschiedlichen Sharing-Kategorien kann es aber riesige Unterschiede geben.“
...mit wirtschaftlichem Benefit
Zusätzlich zur sozialen Komponente kam schnell die wirtschaftliche. „Das sieht man an Daimler und BMW – sie sind drauf gekommen, dass sie ihre Autos auch gut vermieten können“, sagt Schumich. „In dieser profitorientierten Shared Economy passieren viele strukturelle Veränderungen, die ganze Branchen umkrempeln.“
Airbnb etwa revolutionierte Schritt für Schritt die Vermietung und erschüttert heute Hotellerie und die Immo-Branche; die Taxifahrer wiederum protestieren gegen Uber. Dabei passiert etwas Interessantes:, so Simon Schumich: „Die jungen Anbieter unterbieten die Großen, verändern den Sektor disruptiv. Das wiederum animiert die Großen, ihre Modelle zu überdenken – und das hebt die ganze Qualität an.“
Leihen als Geschäftsmodell
Eine weitere Branche, die Veränderung erfährt, ist die Bekleidungsindustrie. In den vergangenen Jahren haben Shpock, Kleiderkreisel und Leila (Leihladen) das Bewusstsein dafür sensibilisiert, Konsum zu drosseln. „Die großen Hersteller erkennen, dass Teilen in der Mode kein bloßer Trend ist – es ist Teil der Strategie, so kann man in der Industrie weiterhin Geld machen. Es geht um Diversifizierung“, sagt Karin Kuranda, die Macherin von Endlos Fesch, einem Verleih für Alltagskleidung. „Die Menschen, die leihen, sind eine neue Zielgruppe. Die Marktanteile hier sind groß.“
„In der profitorientierten Shared Economy passieren viele strukturelle Veränderungen, die ganze Branchen umkrempeln.“
von Simon Schumich von der AK Wien
Das Handelsunternehmen Tschibo hat diesen Markt bereits entdeckt. In Deutschland kann man online Kinder- und Umstandsmode oder Spielzeug ausliehen. Auch Mediamarkt und Saturn verleihen in Deutschland – für 49,90 Euro im Monat gibt es zum Beispiel das Apple iPhone X.
Am beliebtesten ist die Sharing Economy übrigens in Irland; hierzulande nutzen 62 Prozent der Österreicher Plattformen zum Tauschen, Leihen und Teilen. In Zukunft werden es wohl noch mehr: Die Europäische Kommission sieht den Markt in Europa bis 2020 auf 572 Milliarden Euro wachsen.
Dieter Bögenhold lehrt, forscht und schreibt zu Konsum, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Vorstand des Soziologie-Instituts an der Universität Klagenfurt ordnet die Leih- und Teilwirtschaft für den KURIER ein.
KURIER: Herr Bögenhold, was ist Sharing Economy eigentlich?
Dieter Bögenhold: Es ist etwas, das in aller Munde ist, jeder hat ein intuitives Verständnis davon. Aber was steckt dahinter? Kritiker der neoklassischen Ökonomie – es gibt ein Angebot, eine Nachfrage, man kauft und verkauft – sagen: es gibt mehr, als den klassischen Markt, es gibt darüber hinaus ein Geben und Nehmen aufgrund eines sozialen Verständnisses. Die Shared Economy nimmt Teile davon auf, versucht, das enge Korsett von Kaufen und Verkaufen zu erweitern und mit Mustern von Leihen auszupuffern.
Wann kaufen und wann leihen wir lieber?
Wir leihen, wenn wir Produkte einmalig und kurzzeitig benötigen. Dann, wenn ein Kauf unökonomisch wäre. Ich hatte mehrere Holzstücke in meinem Garten, die ich zerkleinern wollte. Eine Motorsäge wollte ich aber nicht kaufen – es war also eine ganz praktische Überlegung, zu leihen.
Häufig werden Konsumkritik und der Umwelt- und Ressourcenschutz als Grund fürs Teilen angegeben. Eine WU-Studie fand aber heraus: Die Menschen wollen durch sie hauptsächlich Geld sparen.
Ich möchte ein bisschen davor warnen, die Etikette der Sharing Economy so positiv zu sehen. Es mag sein, dass man dadurch etwa eher Flächen oder Ressourcen nutzt, die sonst ungenützt wären. Aber es nützt auch jenen, die das anbieten – und jenen, die das nachfragen. Da gibt es eine neoromantische Idylle vom guten Teilen versus das kapitalistische Marktprinzip. Natürlich finden sich, gerade für Entrepreneure, sehr viele Möglichkeiten im Sharing-Bereich. Aber diese Menschen werden zu Brokern, die schlicht Informationen haben, die die Akteure A und B nicht haben.
Das müssen Sie jetzt erklären.
In den 80ern gab es zum Beispiel die Mitfahrzentralen. Aber nicht aus ökologischen Gründen, weil man Sprit spart, sich die Fahrtkosten teilt, etc. Sondern weil man als Anbieter davon gut leben konnte. Sharing Economy ist eine Dienstleistung, ein großes Geschäftsfeld. Man kann sie so sehen, dass sie die Defizite der normalen Märkte reguliert und daraus eigenen Umsatz macht. Eine Win-win-Situation für alle Teilnehmer, es gehört zum gesamten System des kapitalistischen Wirtschaftens dazu. Und ökologisch ist es dann vielleicht sogar auch.
In welchen Branchen floriert die Leihwirtschaft?
Die Frage ist: wo fängt sie an und wo hört sie auf? Ein Pony für eine Reitstunde leihen – ist das schon Sharing Economy? Da sind wir schnell bei enormen Dienstleistungsmärkten. Es mag nur auf den ersten Blick evident sein, was leihen und kaufen ist. Es betrifft natürlich den Wohnungs- und den Mobilitätsmarkt, aber auch unaufregende Sachen, wie Bibliotheken, den Ski - oder Bootsverleih. Es gibt auch viele Bereiche, in denen sich alles andere technisch überholt hat – es gibt zum Beispiel keine Videotheken mehr. Sie können heute unheimlich viel übers Internet beziehen, der Konsument hat eine „Interval-Ownership“: man ist Kurz-Besitzer, aber nicht Eigentümer.
In Wien kann man gut beobachten, dass Leihgeräte oft gering geschätzt werden. E-Scooter liegen auf der Straße herum, Gratis-Fahrräder verrosten im Wienfluss. Gehen wir mit geliehenen Geräten schlechter um?
Generell kann man das nicht sagen. Das hängt auch von den Vertragsbestimmungen ab – bei Leihautos wird Ihnen ja jede Schramme verrechnet. Aber die Rechte und Pflichten sind bei Sharing Economy schon recht unklar.
Wie Sharing Economy im echten Leben aussehen kann, zeigen wir anhand zweier Wiener Projekte, Endlos Fesch und ELOOP.
Endlos Fesch: „In der Zwischenzeit trägt es wer anderer“
Dass man Abendrobe und Smoking ausleiht, ist bekannt. Aber Sommerkleider, Business-Röcke, Hosen und Blazer, Blusen, Schuhe und sogar T-Shirts? Das ist neu – und auch relativ gewöhnungsbedürftig. Für Karin Kuranda, die Gründerin von „Endlos Fesch – The Vienna Fashion Library“, aber die logische Konsequenz, angesichts der Zahlen in der Bekleidungsindustrie. „Wir wollen ständig Abwechslung haben. Dadurch entstehen 80.000 Tonnen Kleidungsmüll im Jahr – allein in Österreich. Das sind zehn Kilo pro Person und Jahr.“
Wir tragen Kleider nur ein bis zwei Mal
Außerdem rechnet sie vor, dass Frauen Kleider nur ein bis zwei Mal anziehen, ein auffälliges Party-Top bliebe nach 1,7 Mal Tragen für immer im Schrank – oder lande eben im Müll. „Wir wollen einen nachhaltigen Umgang mit Mode. Und haben uns gedacht: Es müsste so etwas wie einen ewig langen Kleiderkasten geben, wo ich mir das hole, was ich gerade brauche – und in der Zwischenzeit kann es jemand anderer nutzen.“
Das Konzept von Endlos Fesch: bei den Pop-up-Veranstaltungen kann man je nach Saison aus bis zu 400 Kleidungsstücken wählen – 600 gibt es insgesamt im Angebot. Globale Designer sind ebenso vertreten, wie lokale. Ein Teil gibt es für ein Monat und 25 Euro, zwei für 35 Euro und drei für 45. „Je mehr ausgeliehen wird, desto nachhaltiger ist es. Einmal ein Ballkleid auszuleihen bringt wenig. Leihen muss in den Alltag übergehen. Wir hoffen, dadurch den Konsum zu verändern.“ Die Reinigung übernimmt übrigens Endlos Fesch. Der kommende Pop-up-Termin ist am 25. Juli im „Ladenkonzept“in Wien. Details: www.endlosfesch.at
Eloop: „Wenn es gratis ist, ist es nichts wert“
Man nehme eine knapp siebenstellige Summe an Investorengeldern und Förderungen, 25 E-Autos und ein junges Gründerteam – fertig ist der erste Elektro-Carsharing-Dienst in Wien. Seit wenigen Tagen erst fahren die kleinen schwarz-türkisen E-Flitzer (Smart, BMW i3 & Renault Zoe) durch die Wiener Gassen, in einer App sieht man, wo sie parken.
"Carsharing is Caring"
Die Gründer von ELOOP mit Sitz im vierten Bezirk in Wien haben damit eine grüne Alternative im Car-Sharing-Sektor geschaffen. Teilen ist ihr Geschäftsmodell, „Carsharing is Caring“ ihr Motto. „Laut Studien werden pro Carsharing-Auto drei bis 15 Autos im privaten Besitz eingespart. Dadurch entsteht auch mehr Raum in der Stadt für Grünflächen“, sagt der 27-jährige CEO von ELOOP, Nico Prugger. Dass wir heute Fahrzeuge teilen, sei zum Großteil aber nicht ideologisch oder ökologisch motiviert – sondern vielmehr eine Frage der Kosten. „Ein Privatauto zu kaufen, heißt auch: Wertverlust, Versicherung, Benzin, Reparaturen, Lagerung der Reifen – da kommt man durchschnittlich auf 500 Euro im Monat.“
Die Hemmschwelle, sein eigenes Auto zu verkaufen, sei noch hoch. Die Hemmschwelle, kein Neues mehr zu kaufen, aber schon niedriger. „Grundsätzlich sehe ich, dass immer mehr geteilt wird. Wie wir mit Geliehenem umgehen, kommt aber auch immer auf den Preis an. Ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn etwas gratis ist, ist es nichts wert.“ Von der Sharing Economy wünscht er sich eine klarere Regulierung. „Es sollte für alle Richtlinien geben. Aber keine Verbote.“ Details über das Geschäftsmodell: https://eloop.to/de
Was wir heute leihen und mieten können:
Häuser, Wohnungen, Ferienhütten. Der bekannteste Anbieter temporärer Wohnfläche ist Airbnb. Mit dem Business greift es die Hotellerie-Branche an.
Autos, Kleintransporter, Mopeds. Mehr als 30 Carsharing Firmen, Vereine, Plattformen und Mitfahrbörsen gibt es in Österreich. Auch Mopeds kann man mieten.
Spielzeug, Umstands- und Kindermode: Braucht man wirklich nur vorübergehend: Tschibo Deutschland verleiht Spielzeug, Kinder- und Umstandsmode. www.tchibo-share.de.
Büros: Auch Co-Working, das Teilen von Büros und das Vermieten von leerstehender Fläche für Freischaffende, zählt zu Shared Economy.
Waschmaschinen: Rund um den Globus poppen Wäsche-Services auf: Schmutzige Wäsche wird abgeholt und mit der Wäsche anderer gewaschen - wie etwa mit WashApp. Klassisch mieten kann man so ein Gerät auch: https://www.mietenstattkaufen.info.
Gärten, Obst- und Gemüse: Ein vorrangig städtisches Phänomen ist das Urban Gardening: Mehrere Menschen teilen sich Grünfläche zum Anbau.
Scooter, E-Mopeds: Allein in Wien gibt es sechs Leih-E-Scooter- Anbieter. Einen Scooter zu kaufen, käme auch teuer: Sie kosten bis zu 400 Euro.
Laptops und Haushaltsgeräte: Über eine Kooperation mit Grover vermieten Mediamarkt/Saturn in Deutschland neuwertige Haushalts- und Elektrogeräte.
Kleider, Smokings, aber auch T-Shirt und Röcke: Immer schon im Trend: Abendgarderoben verleihen, teilen oder mit anderen nutzen. Neu ist, dass man heute Alltagsmode teilt. Etwa hier: Endlos Fesch
Bau-Utensilien: Motorsägen, Mähdrescher, Steintrennmaschinen oder LKWs für Transporte: Das Mietangebot von OBI ist groß. Aber auch hier gibt's ein Angebot: www.leila.wien.
E-Books, Musik, Filme: Auch Streaming ist eine Leihgabe: Musik, Filme und Bücher sind heute nur auf Zeit geliehen, sie gehören uns heute in den seltensten Fällen.
Mitarbeiter: Leiharbeit ist Sharing Economy im weitesten Sinn: Arbeitskräfte werden jemanden überlassen, der sie nur temporär braucht.
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