Das Ende der Blender
KURIER: Sie schreiben vom Ende der Blender – in Politik und Management. Warum sollte das so sein?
Stefan Wagner: Weil die äußeren Umstände die Konsumenten und Rezipienten total sensibel gemacht haben für jede Art der Täuschung und Tarnung. Noch nie zuvor war das Publikum so empfindlich und so verletzlich gegenüber einer Lüge. Mit 2008 war aber plötzlich das erste Mal jede einzelne Person von dieser Krise betroffen. Es wurde spürbar, dass die Handlungen der Verantwortungsträger direkte Auswirkungen auf die Menschen haben.
Es gibt also einen Generalverdacht – die Menschen sind grundsätzlich skeptisch.
Und zwar äußerst skeptisch! Das Vertrauen ist weg.
Politiker oder Manager: Wem ist weniger zu trauen?
Das kann ich nicht beantworten. Politiker und Manager wissen aber mittlerweile, dass allein die Rhetorik nichts hilft. Um aktiv das Vertrauen zu Wählern, Mitarbeitern oder Kunden wieder herzustellen, braucht es jetzt ein aktives Vertrauensmanagement.
Was ist das?
Jeder 18-jährige Bewerber muss ein Motivationsschreiben verfassen. Das sollten auch Manager tun. Man muss glaubhaft die Beweggründe, warum ich eine Arbeit mache, erklären können. Der Antrieb ist entscheidend. Das What? How? und Why? Der Grund des Erfolges von Steve Jobs und Apple liegt auch darin, dass Early Adopter an seiner Idee teilhaben wollen – sie kaufen das Motiv der Person, die das erfunden hat, den Spirit. Denn was treibt uns denn an, außer Spirit?
Warum haben Manager und Politiker ihre Authentizität verloren? Wann ist das passiert?
Der Vertrauensverlust ist mit der Krise richtig virulent geworden, weil die Schäden überall sichtbar wurden. Das Vertrauen müssen die Führungskräfte jetzt wieder aufbauen. Ich sehe es als ihre Bringschuld. Die einzige Möglichkeit für sie, aus der negativen Image-Cloud herauszukommen, ist, sich als echte Person zu zeigen: Wer bin ich, was treibt mich an, aus welchem Holz bin ich geschnitzt. Man muss sich der Öffentlichkeit anbieten, direkt und klar auf den Punkt reden, sich zeigen mit seiner Haltung. Die Menschen haben eine große Sehnsucht nach Echtheit. Man verträgt die Irritation nicht mehr, die Inkongruenz: Die Zeit des Vorspielens ist definitiv vorbei. Und schlecht vorspielen, das geht schon gar nicht mehr.
Wie ehrlich darf ein Manager sein?
Dürfen tut er zu 100 Prozent. Klug ist es aber nicht. Zwischen Ehrlichkeit und zwischen positiver Absicht ist nämlich ein Unterschied. Es ist auch nicht immer notwendig und der beste Weg, die völlig ungeschminkte Wahrheit zu sagen.
Heißt das jetzt, man soll und darf lügen?
Wenn es im besten Sinne erforderlich ist, ist auch die Lüge okay. Angela Merkel hat zu Beginn der Krise gesagt, „das Geld der Sparer ist absolut sicher“. Das war nicht ehrlich, aber eine positive Absicht für alle Bürger. Diese Tür kriegt man zu einem späteren Zeitpunkt auch wieder zu, wenn die positive Absicht erkennbar ist. Eine Lüge zum eigenen Vorteil aber, das ist Betrug und damit ein Skandal.
Es gibt also die ehrenhafte Lüge.
Ja, die gibt es. Auch, dass man die Wahrheit hintan hält, ist ein Weg. Das gehört zum Management dazu. Ein Manager kann nicht jeden mit jedem Problem konfrontieren.
Wollen die Menschen nicht auch geblendet werden?
Das Wort „Blenden“ hat für mich eine negative Absicht. Aber die Wahrheit zu adaptieren, weil meine Zuhörer sonst überfordert wären, das muss ich als Verantwortungsträger tun können.
Was ist die Konsequenz dieser Vertrauenskrise für Manager? Was muss sich ändern?
Die Motive und Beweggründe müssen aktiv in die Kommunikation einfließen, Manager müssen sie an Handlungen und Aktionen beweisen. Und zeigen, dass ihre Motive ehrlich sind. Dazu gehört auch, mehr von den eigenen inneren Vorgänge zu zeigen: sich offen zu ärgern, sich zu freuen, euphorisch zu sein oder auch angespannt. Diese emotionalen, inneren Vorgänge kann man sogar ansprechen, etwa mit „Wir leben in einer Zeit, wo viel Druck herrscht, ...“. Damit gibt der Manager Einblick in seine Gefühls- und Gedankenwelt. Und damit wiederum kann man eine Person verstehen. Was nicht heißt, dass sie damit automatisch auch recht hat. Aber wenn man als Zuhörer reinschauen kann, wie jemand funktioniert, dann ist das das größtmögliche Angebot an Transparenz und Offenheit.
Ein Aufruf zu mehr Emotion also.
Es braucht ganz viel Gefühl. Man nennt das Idiomotorik, die Gleichheit der Bewegung. Wenn jemand zeigt, dass er sich ärgert, wenn er es auch noch ausspricht, dann sendet er ganzheitlich Ärger. Das überträgt sich auf die Zuhörer – und plötzlich spürt man, dass der Mensch, der da spricht, auch wirklich lebt. Die Zeit der aalglatten Manager, unantastbar, mit geschliffener Rhetorik, ist vorbei. Da ist zu viel Distanz, ohne Leben, ohne Menschsein. Das hält niemand mehr aus.
Stefan Wagner ist Geschäftsführer von „Intomedia“ und bietet Medientrainings an. Seine Kenntnisse erwarb er sich unter anderem im Zuge einer psychotherapeutischen Ausbildung. Stefan Wagner ist Spezialist für Imagebildung, Interviewtechnik und -strategie. Er unterstützt Entscheidungsträger aus Medien, Politik und Wirtschaft bei Auftritten in der Öffentlichkeit, bei Kampagnen und in medialen Krisensituationen.
Seit vielen Jahren coacht er auch Top-Journalisten im Fernseh- und Radiobereich. Er fungierte als Coach von Sendeflächen wie Report, ZIB2, Thema oder der Pressestunde.
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