Alle Lehrer müssen Behinderte unterrichten können

Alle Lehrer müssen Behinderte unterrichten können
Geht es nach der UN, sollten Sonderschulen bald der Geschichte angehören. Forscher wollen deshalb, dass die Inklusion Teil der Lehrerausbildung wird.

Mit der Reform der Lehrerausbildung sollen eigene Sonderschul-Pädagogen Geschichte sein. Stattdessen ist vorgesehen, dass jeder Student unabhängig von der Schulform künftig lernt, wie inklusiver Unterricht - also unter Einbindung von geistig oder körperlich behinderten Schülern - funktioniert. Von Bildungswissenschaftern wie den Behindertensprechern von SPÖ, ÖVP und Grünen wurde das am Freitag bei einer Podiumsdiskussion an der Uni Wien unterstützt. Allerdings, warnte Sonder- und Heilpädagoge Gottfried Biewer, gebe es im Gesetzesentwurf eine „gewisse Beliebigkeit“ in Bezug auf eine verpflichtende Verankerung von Inklusionspädagogik in der neuen Lehrerausbildung. „Da schrillen bei mir die Alarmglocken“, warnte er vor einer möglichen Vernachlässigung des Themas.

Denn während im Expertenvorschlag noch vorgesehen war, dass Lehrer der Sekundarstufe (Neue Mittelschule, AHS, berufsbildende mittlere und höhere Schulen/BMHS) für Allgemeinbildung sich entweder für zwei Fächer oder anstelle eines zweiten Fachs für eine Spezialisierung auf inklusive Bildung entscheiden können, soll nun eine Spezialisierung „in inklusiver Pädagogik, in Berufsorientierung, in Mehrsprachigkeit, in Medienpädagogik usw.“ möglich sein. Es müsse jedoch sichergestellt sein, dass Inklusion auch nach Abschaffung einer eigenen Sonderschullehrer-Ausbildung mit professionell ausgebildeten Fachkräften stattfinde, betonte Biewer. Andernfalls könnte die neue Lehrerausbildung langfristig „einer Renaissance der Sonderschule in die Hände spielen“.

Mehr Mittel nötig

Alle Lehrer müssen Behinderte unterrichten können

Auch Bildungswissenschafter Stefan Hopmann betonte, dass Inklusion nur funktionieren könne, wenn es Experten dafür gebe. Und für deren Ausbildung seien das entsprechende Personal, Strukturen und Mittel nötig. „Wenn das nicht jetzt sofort institutionalisiert wird, wird das ein Schuss nach hinten. Dann haben wir weniger Inklusionskompetenz als bisher“, warnte er. „Wenn wir jetzt nicht nachsetzen, haben wir den Kindern einen Bärendienst erwiesen.“ Laut Christa Koenne, Mitglied des Expertenrats zur Lehrerbildung, waren es allerdings gerade die Unis selbst, die durch ihr Pochen auf Autonomie eine klarere Regelung zur inklusiven Pädagogik verhindert hätten.
An der Uni Wien, mit derzeit 10.600 Lehramtsstudenten die größte Lehrerausbildungseinrichtung des Landes, sieht Biewer die Einbindung von Sonderpädagogik optimistisch. Es gebe „einen Konsens, die notwendigen Schritte zu tun“ und Inklusive Pädagogik im Umfang eines eigenen Studienfachs aufzubauen. Lehrer dieses Spezialbereichs könnten laut Biewer dann an Schulen ähnlich den „Special Needs Coordinators“ in Großbritannien eingesetzt werden und für eine optimale Unterstützung behinderter Kinder sorgen. Für AHS- und BHS-Lehrer, die sich bisher oft nur als reine Wissensvermittler verstünden, würde eine verpflichtende Beschäftigung mit Inklusion ein neues Selbstverständnis bedeuten, was eine gewisse Zeit dauere. „In diesem Jahr müssen wir wirklich damit anfangen“, betonte Biewer. Er ortete ein „historisches Zeitfenster“, das sich mit Jahresende schließe.

Behinderte als Lehrer

Alle Lehrer müssen Behinderte unterrichten können

Unterstützt wird diese Forderung auch von VP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg, der für einen „radikalen Schnitt“ mit der Sonderschule durch deren Abschaffung plädierte: Es sei gut, wenn jedem Lehramtsstudenten ausreichende Grundkenntnisse in Inklusion vermittelt würden, und zwar durch Verankerung des Themas in den jeweiligen Fächern. Doch Inklusion „darf nicht unter ect. laufen“. Und noch eine weitere Bedingung knüpfte er an seine Zustimmung zur Reform: Künftig dürfe nicht mehr wie derzeit die „körperliche Eignung“ Voraussetzung für ein Lehramtsstudium sein. Auch Grünen-Behindertensprecherin Helene Jarmer pochte darauf, dass auch Behinderte zum Lehramt zugelassen werden müssen.
Was eine stärkere Verankerung inklusiver Pädagogik in den neuen Gesetzen zur Lehrerausbildung angeht, verwies SP-Behindertensprecherin Ulrike Königsberger-Ludwig auf die laufende Begutachtungsfrist. „Wir (die Parlamentarier, Anm.) werden uns bemühen, die Wünsche in die Gesetzesvorlage aufzunehmen und einzuarbeiten.“ An die Unis appellierte sie, unabhängig davon Inklusion in den autonom zu erstellenden Studienplänen zu verankern.

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