Bestatterin für einen Tag: Ich habe Tote gesehen und trotzdem gut schlafen können

Bestatterin für einen Tag: Ich habe Tote gesehen und trotzdem gut schlafen können
Der KURIER begleitete einen Bestatter für einen Tag, hat Tote gesehen und dennoch die schöne Seite des Berufs erkannt. Mit Video

Zwei übereinander gefaltete, leblose Hände. Die Finger sind spitz, die Nägel grau, das Brustbein ist dunkel gefleckt. Die Augen sind geschlossen. Die Nase ist etwas nach links gebogen, die Knorpel haben nachgegeben. Der Mund ist geöffnet, ein Winkel ist wund. Vielleicht von einer Sonde, die sie vor Kurzem noch am Leben hielt. Die 40 Kilo leichte 90-Jährige liegt in einem leuchtend blauen Metallsarg. 

Er ist nur für die Kühlung da. Wir sind hier, um sie anzuziehen, in ein elegantes Sargmodell aus Eichenholz umzubetten und dort hinzubringen, wo ihre Angehörigen in wenigen Tagen Abschied nehmen können. Für meine Begleiter, Fachkräfte des Privatbestatters Himmelblau, ist das der Alltag. Für mich ist es der erste tote Mensch, den ich an diesem Tag zu Gesicht bekomme. Aber nicht der Letzte. 

Die Toten und Lebenden

Es ist noch stockfinster, als die Bestattungsfachkräfte, Arrangeure und Assistenten, frühmorgens in ihrem Lager in Wien Simmering eintreffen. Sie sind die „Außendienstler“ der Bestattung Himmelblau – waren vorher im Handel, im Tourismus oder auch in der Schauspielerei tätig und sind irgendwann ins Bestattungsgewerbe quer eingestiegen. Denn eine Lehre gibt es in Österreich für das Bestattungswesen nicht, manche der Himmelblau-Bestatter würden sich das aber wünschen.

Bestatterin für einen Tag: Ich habe Tote gesehen und trotzdem gut schlafen können

Es ist noch dunkel, wenn die Bestatter in ihren Arbeitstag starten. Ab da ist alles genau getaktet 

Bei Kevin Spitaler-Kleinmaier war es die Pandemie, die den Umstieg brachte. Bevor er Bestatter wurde, stand er auf Bühnen, doch als diese plötzlich schließen mussten, suchte er eine neue Berufung und fand sie. „Ich habe vorher viele Sachen gemacht, aber das ist jetzt das erste Mal, dass ich das Gefühl habe, angekommen zu sein“, erzählt er.

„Kein Tag ist gleich, man hat eine Abwechslung und auch wenn man es auf den ersten Blick vielleicht nicht sieht, hilft man Menschen, jemanden respektvoll zu verabschieden.“ Dass er diesen Job bis zur Pension machen möchte, steht für ihn außer Frage, auch wenn das bedeutet, bis dahin jeden Tag mit dem Tod konfrontiert zu sein. 

Bestatterin für einen Tag: Ich habe Tote gesehen und trotzdem gut schlafen können

Christian Jancik führt den KURIER durch das Lager und zeigt die neuesten Sargmodelle

Bestatterin für einen Tag: Ich habe Tote gesehen und trotzdem gut schlafen können

Die Särge aus Karton sind nur für Feuerbestattungen zulässig

Bestatterin für einen Tag: Ich habe Tote gesehen und trotzdem gut schlafen können

Die Särge werden mit Maischips befüllt, damit auslaufende Flüssigkeiten von Verstorbenen aufgesogen werden

In der Halle wird es indessen hektischer. Die Urnen werden in die Autos geladen, die Särge zusammengebaut und mit Maischips befüllt, damit auslaufende Flüssigkeiten der Verstorbenen aufgesaugt werden können. Nur etwas mehr als eine Stunde haben die Bestatter Zeit, denn spätestens um sieben Uhr Früh wird im Doppel ausgeflogen – zu den städtischen Kühlkammern, Krankenhäusern und Pflegeheimen oder auch in das eigene Zuhause eines Verstorbenen.

Dass es einmal niemanden zum Abholen gibt? „Das ist in den vergangenen Jahren genau nur einmal passiert“, erzählt Christian Jancik, an dessen Fersen ich mich heute heften werde. Seit fast 15 Jahren ist er Bestatter, seit neun Jahren bei Bestattung Himmelblau, wo er das Außendienst-Team leitet und vor allem koordiniert. Denn eines fällt bei der morgendlichen Einteilung sofort auf: Logistisch ist das Geschäft mit dem Tod eine Herausforderung und Fehler dürfen keine passieren. 

Gestorben wird immer

In Österreich sterben rund 250 Personen täglich. Über das Jahr gerechnet, ist es ungefähr ein Prozent der Bevölkerung, das verstirbt. Dafür sind österreichweit laut Bundesinnung der Wirtschaftskammer 510 Bestatter – kommunale und private – zuständig. Auf Wien fallen lediglich 27, da die Bestattung Wien den Markt dominiert und sich, wie es in Privatbestatter-Kreisen gerne betont wird, eine Art Monopol gesichert haben soll.

Dennoch absolviert Himmelblau als einer von Wiens größten Privatbestattern bis zu 20 Abholungen täglich. Bis zu vier Trauerfeiern hält ein Außendienst-Mitarbeiter binnen eines Arbeitstages ab, erzählt Jancik, während er  an modernen Sargmodellen aus Karton vorbeispaziert. Auch der KURIER wird heute bei  Verabschiedungen dabei sein. Doch zuvor gilt es, die Verstorbenen abzuholen und das ist nichts für schwache Nerven.

Erster Stopp Kühlkammer

Im hellblauen Bestattungsfahrzeug, das ein großräumiger Van ist, geht es durch die Stadt. Fünf Verstorbene warten auf ihre Abholung. Hausabholungen sind keine darunter, denn das ist nichts für Neulinge wie mich. „Man weiß nie, in welchem Zustand wir die Verstorbenen finden“, sagt Jancik.

Nicht selten kommt es vor, dass jemand bereits lange tot, von Blut oder Getier übersät ist. Für diese Momente braucht es Erfahrung, auch, weil man bei plötzlichen Sterbefällen auf aufgelöste Familien trifft, die vieles in diesem Moment brauchen, nur keine ungeschulte Bestattungsfachkraft.

Bestatterin für einen Tag: Ich habe Tote gesehen und trotzdem gut schlafen können

Metallsärge wie diese im Bild sind nur für die Kühlung da und werden nicht für Bestattungen verwendet

„Ich muss dich warnen, bei uns ist Handschuh-freier Montag“, sagt Christian Jancik scherzend vor dem Eingang zur ersten Kühlkammer, um die Situation für mich aufzulockern. Humor, wenn auch ein schwarzer, scheint in dieser Branche Pflicht zu sein, solange er nicht vor trauernden Angehörigen ausgelebt wird. „Es sind teilweise die lustigsten Menschen, mit denen man zu tun hat“, preist Jancik seine Kollegen an, als er die Türe zur ersten Kammer öffnet. 

An Zitronen riechen

Besagte Herrschaften sind bereits fleißig am Hantieren. Särge werden geöffnet, die Menschen darin hochgehoben, eingekleidet, wenn notwendig gesäubert, Sargbeigaben ergänzt und friedlich zugedeckt. Der Ablauf ist automatisiert. Berührungsängste hat hier keiner. Den süßlichen Geruch, der in der Luft liegt, nehme ich nur nebenbei wahr. Aber er wird mir bis zum nächsten Tag in der Nase bleiben.  „Weil er neu für dich  ist“, erklärt Jancik.

An einer Zitrone riechen, soll helfen, sagt er und macht ein Foto eines fertig gebetteten 60-Jährigen. Zuvor schließt er noch sanft dessen Augen. „Wir müssen alles dokumentierten“, denn nicht selten ist die Kundschaft skeptisch, ob die richtige Person begraben wurde.

In meinem Kopf wirken die Bilder später nach. Nicht, weil sie so erschreckend waren – aber weil wir alle irgendwann hier landen und der Tod und dessen Endgültigkeit mir noch nie so deutlich wurden. Jancik desinfiziert sich indessen die Hände. „Das mache ich nur, weil du dabei bist“, sagt er. „Sonst wasche ich sie wochenlang nicht.“ Ich muss lachen.

Bestatterin für einen Tag: Ich habe Tote gesehen und trotzdem gut schlafen können

Christian Jancik begleitet seit fast 15 Jahren Verstorbene auf ihrem letzten Weg 

Um neun Uhr gibt es einen Zwischenstopp am Zentralfriedhof. Eine Urne wird vor dem engsten Familienkreis beigesetzt. Die Trauerfeier hat bereits vor Tagen stattgefunden, einen Redner gibt es deshalb nicht. Christian Jancik übernimmt die Regie. Bis zum Schluss ist er der Ansprechpartner für die Hinterbliebenen.

„Wenn du Tote siehst, musst du der harte Mann sein“, erklärt er mir am Weg zu unserem nächsten Termin. „Wenn Angehörige dazukommen, musst du deine weiche Seite zeigen, einfühlsam sein. Ich weine nicht mit, aber ich verstehe ihre Trauer.“

Abgrenzung ist wichtig als Bestatter. „Ich muss mich ins Bett legen und nicht davon träumen können.“ Vielen gelingt das, bei manchen kamen die Träume nach Jahren trotzdem. „Dann ist es vielleicht Zeit für einen Wechsel.“

Am Friedhof Oberlaa beschließen wir den Tag. Zwei Trauerfeiern stehen an. Gerade einmal zwanzig Minuten brauchen Jancik und sein Kollege Ümit Sucu, um die Halle für die erste Trauerfeier zu dekorieren. „Je näher man dem Stadtrand ist, desto früher kommen die Gäste“, weiß Jancik. Nicht bereit zu sein, wäre ein No-Go. 46 Minuten vor Beginn trifft die erste Angehörige ein. 

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Christian Jancik dekoriert die Halle am Friedhof Oberlaa

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Kollege Ümit Sucu ist ebenfalls vor Ort, denn in gerade einmal zwanzig Minuten muss alles fertig sein

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Um die Kerzen herum werden Rosenblätter gelegt

Trauriges Image

Die Trauerfeier ist emotional. Ich kenne die Person nicht, aber merke, wie geliebt sie war. Mir schießen Tränen in die Augen. Ein No-Go in diesem Job und ein Zeichen, dass ich ihn nicht ausüben könnte. Verstorbene sehen – vielleicht. Täglich mit Trauer zu tun haben – bestimmt nicht. Gleichgültig ist auch Jancik der Tod nicht. „Vor allem, wenn es Kinder trifft, schluckt man ein, zweimal öfter. Aber nicht jeder wird 90 Jahre alt. So ist das Leben.“

Traurig findet Jancik das teilweise vorherrschende Image des Bestatters. „Es ist einer der wichtigsten Jobs, die es gibt. Aber da sich Leute zu Lebzeiten nicht damit befassen wollen, wird oft darauf vergessen.“ Stattdessen sind es häufig Vorurteile, die ihm begegnen. Dass Bestatter Halsabschneider wären, Goldzähne klauen oder Knochen brechen, um Leute in die Särge zu pferchen.  

„Alles Quatsch“, sagt Jancik. „Am Ende geht es nur darum, einen Schritt, den jeder Mensch einmal machen muss, gut über die Bühne zu bringen. Denn es ist eine Bühne, die wir hier bespielen und das Ziel ist, dass es allen Beteiligten danach etwas besser geht.“

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