Bei Anruf Absage: Hier spüren wir alle den Arbeitskräftemangel jetzt schon
"Das brennt jetzt", sagt AMS-Chef Johannes Kopf am Dienstag bei einem Pressegespräch. Der Anlass? Der Fachkräftemangel, der längst zu einem herben Arbeitskräftemangel mutiert ist. Rund 200.000 offene Stellen treffen auf ein Beschäftigungshoch und eine Arbeitslosenquote von österreichweit 6,2 Prozent.
"Schöpfen Sie all Ihre Möglichkeiten aus, die passenden Fachkräfte zu finden", motiviert Kopf heimische Unternehmerinnen und Unternehmer. Die aber stehen am Anschlag. Müssen sich zurechtfinden in einem Markt, der jetzt den Arbeitnehmern gehört. Und die ganz genau auswählen, ob und in welcher Branche sie noch arbeiten wollen.
Zu spüren bekommen das nicht nur die Betriebe, sondern auch die Konsumenten. Etwa dann, wenn die Straßenbahnen auf sich warten lassen, der Installateur zu beschäftigt ist, Produkte nicht rechtzeitig geliefert werden oder der Strom ausfällt und kein Elektriker da ist, um ihn wieder herzustellen.
- In keinem anderen EU-Land ist der Arbeitskräftemangel größer als in Österreich, zeigt eine aktuelle Eurostat-Auswertung
- 363.000 Stellen sollen bis 2040 nicht besetzt werden können. Mehr als jeder Dritte der derzeit Beschäftigten wird bis dahin in Pension wechseln
- Laut EY-Studie verzeichnen 51 Prozent der österreichischen Betriebe Umsatzeinbußen aufgrund des fehlenden Personals
- Stark betroffen sind laut WKO-Fachkräfteradar der Tourismus, Bau, der handwerklich technische Bereich sowie das Transport und Verkehrswesen
Wenn das Licht ausbleibt
"In 50 Prozent der Fälle können wir nichts machen", berichtet Rudolf Leitner. Er führt den Familienbetrieb Elektro Leitner in Wien, Meidling, in zweiter Generation. Eigentlich will er die Versorgung von Privatkunden im Bezirk sicherstellen, aber "das geht sich zeitmäßig nicht aus."
Jeder zweite Notfall muss an Kollegen weitervermittelt werden, wobei die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass auch die Kollegen keine Zeit haben werden, erzählt er. Es fehlt an Personal – zumindest einen erfahrenen Elektriker braucht es dringend, der die bestehende Belegschaft von 26 Mitarbeitern verstärkt. Der Dienstälteste unter ihnen geht heuer nach 47 Jahren in Pension.
Ideal wären aber zwei Monteure und zwei Helfer, die Rudolf Leitner sofort anstellen würde. "Wir haben beim AMS geschaltet, bei diversen Job-Portalen, bei Social Media und Headhunter beauftragt", erzählt Sohn Johannes Leitner, der als Prokurist auch ins Geschäft eingestiegen ist.
Rund 10.000 Euro hat man bislang für die Personalsuche ausgegeben, aber die Bewerbungen gehen gegen null. "Wir suchen sicher schon fünf, sechs Jahre", sagt Leitner-Junior. Neben einem guten Gehalt bieten sie geregelte Arbeitszeiten, freie Wochenenden
"Aber es bewirbt sich niemand, der nur annähernd den Qualifikationen entspricht." Deshalb hat man jetzt einen zweiten Lehrling aufgenommen. "Wenn es keine Arbeitskräfte mehr gibt, müssen wir sie eben selbst ausbilden", so Johannes Leitner.
Wenn das Rohr platzt
Es ist das Image, das aufgebessert werden muss, sagt Philipp Mannsbarth. Vor zehn Jahren ist er in den Installateur-Betrieb seiner Eltern eingestiegen. "Schon als ich noch zur Schule gegangen bin, haben nur die eine Lehre gemacht, die keine anderen Perspektive hatten", erzählt er. Dabei müsse man gerade als Installateur viel wissen, viel können und sich gut und gerne bewegen, ergänzt seine Mutter Susanne Mannsbarth.
"Es gibt ja auch eine große Verantwortung, wenn man mit Gas oder Wasser arbeitet", sagt sie. Kleine Fehler könnten dazu führen, dass ein Haus plötzlich unter Wasser steht. Die Qualität will man klarerweise beibehalten – die Personalsuche erschwert das jedoch, vor allem weil man nicht auf Arbeits- sondern tatsächliche Fachkräfte angewiesen ist.
"Wir suchen immer", seufzt Philipp Mannsbarth. Bewerbungen kommen vereinzelt, doch angehende Mitarbeiter erscheinen erst gar nicht zum Bewerbungsgespräch, versprechen dann zu viel, können nur wenig und verabschieden sich nach wenigen Monaten wieder. Die Recruiter zahlen sie trotzdem – mit bis zu 3.500 Euro pro vermittelter Arbeitskraft.
Wenn Geld nichts bringt
"Wo wir in fünf Jahren sein sollen, soll mir der liebe Gott beantworten", sagt Karl Böntner. Den Logistikdienst und Fuhrpark Saexinger führt er mit seiner Frau Ivana Böntner in dritter Generation. Gerne würde er ihn in die vierte führen, aber die Chancen sieht er schwinden.
"Es will keiner mehr LKW-Fahrer werden", sagt er. Dabei hätte er in seinem 50-köpfigen Betrieb sieben Arbeitsplätze sofort zu vergeben – im Lager und im Chauffeur-Dienst. Das Fehlen von mehr als zehn Prozent der Belegschaft, zeigt Auswirkungen: "Ich stehe an dem Punkt, wo ich Kunden sagen muss: Mein lieber Freund, ich kann dich nicht aufnehmen. Ich hätte zwar Lagerkapazität, aber niemanden, der darin arbeitet." Selbst wenn Kunden bieten, mehr zu zahlen, muss er ablehnen.
Das schlägt sich im Umsatz nieder. "2022 war das erste Jahr, in dem wir keine Neugeschäfte mehr angenommen haben und eine strategische Entscheidung treffen mussten", berichtet Böntner. "Eine knappe dreiviertel Million Euro haben wir abgebaut und an den Mitbewerb übergeben, weil die Gefahr bestand, dass – wenn ich den Betrieb so aufrecht halte – sich die Mitarbeiter, die noch da sind, auch verabschieden."
Wenn wir länger warten
Um ihr bestehendes Personal zu halten, mussten auch die Wiener Linien handeln. Die Personalknappheit führte in Kombination mit einer Krankenstandswelle im Winter dazu, dass die Intervalle von öffentlichen Verkehrsmitteln verlängert wurden – sehr zum Unmut der Passagiere.
Um zum ursprünglichen Fahrplan zurückzukehren und Mitarbeiter zu entlasten, wurde ein Maßnahmenpaket geschnürt, das Gehälter aufbesserte und eine Ausbildungs- sowie Recruiting-Offensive in Gang setzte. Denn Nachwuchs wird dringend benötigt.
Die Fluktuationsquote vor allem im Schichtdienst sei mit über 20 Prozent zu hoch , beklagt Alexandra Reinagl, Geschäftsführerin der Wiener Linien. „Hier wollen wir auf neun bis zehn Prozent zurückkommen.“ Doch das Unterfangen sei schwer. "Der Job ist herausfordernd. Egal wie flexibel wir sind – Nacht- und Wochenenddienste müssen in einem Öffi-Betrieb verrichtet werden", so Reinagl.
Aktuell fehle es an 100 Straßenbahn- und 100 Busfahrern. "Wir halten den Stand, kommen derzeit aber nicht spürbar runter." Hoffnung setzt Reinagl in die Ausbildung, die modernisiert wurde und jetzt regen Zulauf hat.
Bis Ende Sommer sind die Schulen gefüllt. Dennoch ist die Sorge groß, dass es zu wenige in den Fahrdienst schaffen. "Nur weil eine Ausbildung absolviert wird, heißt das nicht, dass Bewerber dann auch wirklich den Dienst antreten und langjährige Mitarbeiter bleiben", berichtet Reinagl.
Um das Interesse all jener zu halten, die eine Ausbildung beginnen wollen, seien kreative Lösungen gefragt: "Wir versuchen, immer wieder einzuladen, Werksbesuche anzubieten und Unterlagen zu schicken, damit man auch den Kontakt hält. Auch bei den Arbeitsbedingungen bessern wir nach. Von selbst läuft nichts mehr."
Umdenken und anders recruiten
Sich wehmütig an frühere Zeiten klamern, ist nicht mehr. Der Arbeitsmarkt sei, wie der Name verrät, ein Markt "und dem muss man sich stellen", sagt AMS-Chef Johannes Kopf beim Pressegespräch.
Recruiting-Möglichkeiten gibt es viele, nur sind sie individueller geworden. "Man muss sich genau überlegen, wen man ansprechen will und ob man breit genug dabei ist", sagt Kopf. Entscheidend wäre die Art, wie Inserate gestaltet sind, ob man als Arbeitgeber attraktiv genug ist, wie Onboarding-Prozesse verlaufen und ob sich auch in den eigenen Reihen genügend umgeschaut wurde.
Selbst die unliebsame Schichtarbeit sei vermittelbar, so Kopf. Allerdings nur, wenn man es richtig angehe. "Es wird kein Recruiting-Kanal zu wenig genutzt, sondern zu wenig Energie in das Thema gesteckt", resümiert der AMS-Chef. Mit einer Tour durch heimische Unternehmen will das AMS jetzt neue Impulse setzen und dabei helfen, sich den neuen, schwierigen Bedingungen erfolgreich zu stellen.
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