Wenn Christina Wilfinger morgens ins Büro kommt, erwartet sie dort auf dem Schreibtisch kein Bilderrahmen mit Familienfoto, keine persönlichen Notizen an der Wand. Ein eigenes, nur ihr zugängliches Büro hat sie ebenfalls nicht. Stattdessen bucht sie morgens ihren Arbeitsplatz für den Tag. Dort sieht sie auch, wie voll die umliegenden Schreibtische heute sein werden und welche Kollegen dort sitzen.
Die Chefin sitzt im Großraumbüro
Wilfinger ist Geschäftsführerin von SAP Österreich, ein international agierender Unternehmenssoftwarekonzern. Sie weiß, welche Wirkung Büroräume auf die Zusammenarbeit haben. 2018, kurz vor der Pandemie, hat man die rund 8.000 Quadratmeter große Bürofläche in der Wiener Lassallestraße revitalisiert. Seither zieht sich ein parkähnlicher Grünstreifen durch das Gebäude, in dem Sofas, Schaukeln, Rückzugsnischen und Besprechungsräume untergebracht sind. Für das Raumklima wurden mehr als 3.000 Pflanzen eingesetzt. Um diese herum sind die Arbeitsplätze angeordnet – und zwar als Großraumbüro. Dass sie, und auch sonst niemand ein geschlossenes Einzelbüro hat, stört Wilfinger nicht. „Wir leben bei SAP Österreich eine völlig flexible, auf Vertrauen basierende Unternehmenskultur. Mitarbeiter entscheiden selbst, von wo aus sie am besten arbeiten. Und dies spiegelt sich auch in unserer Büroraumarchitektur wider“, sagt sie.
Welche Rolle spielen Büroräume in der modernen Arbeitswelt überhaupt noch?
Mit dem Abflauen der Pandemie machen sich Angestellte wieder vermehrt auf den Weg in die Arbeitsstätten. Bei einigen dürfte aber die Frage aufkommen, wenn sie sich frühmorgens in die volle U-Bahn quetschen, warum sie den Weg auf sich nehmen. Wer ein eigenes Büro zuhause hat, fühlt sich dort womöglich produktiver als im lauten Großraumbüro. Und wenn auch noch der Kaffee schlecht ist, gibt es wirklich kaum Gründe hinzufahren.
Ist das Büro also ein Auslaufmodell? „Ja und nein“, sagt Michael Bartz, Professor an der IMC Fachhochschule Krems, wo er den Forschungsbereich „New World of Work“ leitet. „Büros haben auch im Zeitalter, in dem wir von überall aus arbeiten können, noch Bedeutung, ihre Funktion verändert sich aber.“
So werde man dieses künftig für Zusammenarbeit, Interaktion oder kreative Prozesse nutzen, konzentrierte Arbeiten werden – wenn möglich und vom Arbeitgeber erlaubt – ins Homeoffice verlagert werden, meint Bartz. „Unternehmen müssten diesen Umbruch anerkennen und in ihrer Büroraumplanung, aber auch in der Unternehmensführung darauf reagieren.“
"Bewusstsein für Vereinbarkeit steigt"
Dass das Büro zukünftig eine andere Aufgabe erfüllt als früher, hat man auch beim Gesundheitsunternehmen Sanofi erkannt. Anfang Dezember wurde der neue Bürostandort im 29. Stock des „myHive Tower“ am Wienerberg bezogen, der nicht nur eine offene Arbeitsumgebung mit 360 Grad-Blick über Wien bietet, sondern auch technologisch auf hybrides Arbeiten ausgerichtet ist. „Dass alle Mitarbeiter jeden Tag der Arbeitswoche ins Büro kommen müssen, fanden wir vor der Pandemie schon nicht zeitgemäß. Durch Covid hat sich das Bewusstsein für flexibles Arbeiten und Vereinbarkeit von Beruflichem und Privatem weiter verstärkt, das wollen wir als Arbeitgeber nicht ignorieren“, sagt HR-Verantwortliche Anita Widmann.
In der Praxis heißt das, dass Sanofi-Mitarbeiter jeden Tag selbst wählen können, von welchem Ort aus sie ihre Arbeit verrichten. Das kann ein Café sein, die eigene Wohnung oder eben auch das neue Büro, in dem es ebenfalls keine festen Arbeitsplätze mehr gibt. Den Vorwurf, dass viele Arbeitnehmer durch die sogenannten „Shared Desks“ vor allem Bürofläche auf Kosten der Mitarbeiterzufriedenheit einsparen, lässt Widmann nicht gelten. „Auch wir haben uns flächenmäßig etwas verkleinert. Den Platz, den sonst Einzelarbeitsplätze einnehmen würden, füllen nun aber Besprechungsräume und Gemeinschaftsflächen – aus unserer Sicht der Kernaspekt eines Büros. Und die junge Generation hat ohnehin wenig Bedarf, eigene Bilder aufzuhängen oder Pflanzen aufzustellen .“ Heute stehen rund 800 Quadratmeter den 110 Mitarbeitern zur Verfügung.
Flächen der Zusammenarbeit
Von der Verringerung der Bürofläche, kann Kilian Kaminski, Mitgründer des Wiener Start-ups Refurbed, das gebrauchten elektrischen Geräten neues Leben einhaucht, nicht berichten. Im Oktober 2020 hat das Unternehmen ihre neue Arbeitsstätte im Wiener Austria Campus bezogen, jetzt will man sich flächenmäßig weiter vergrößern. „Wir haben aktuell 1.900 Quadratmeter, im Juni werden rund 600 Quadratmeter hinzukommen“, erzählt der Gründer.
Der neue Teil des Büros soll dann vor allem Workshop-Atmosphäre vermitteln. „Die Räume, die entstehen, sind vordergründig Kreativ- und Meetingräume. Denn wenn sich die Kollegen im Office treffen, dann geht es fast ausschließlich um Kollaborationsprozesse.“ Dafür habe man in den vergangenen Monaten auch das Design optimiert, klassische Arbeitsplätze hat man mengenmäßig verringert, stattdessen wurden große Flächen der Zusammenarbeit gewidmet.
Büro als Ort der Identifikation
Doch lohnt sich die Investition in ein wachsendes Büro wirklich noch? „Ja“, sagt Kaminski. „Auch wenn wir gesehen haben, dass remote zu arbeiten gut funktioniert, braucht es einen Treffpunkt.“ Ähnlicher Meinung ist SAP-Chefin Wilfinger. Sie sagt: „Das Büro ist und bleibt ein Ort der Identifikation. Und seine Gestaltung kann ein Symbol für die Unternehmenswerte und -führung sein.“ Dem stimmt Experte Bartz zu. „70 bis 80 Prozent der Unternehmen wollen nach der Pandemie mobiles Arbeiten weiter ermöglichen, das zeigen unsere Studien. Mobil heißt aber auch, dass Mitarbeiter die Möglichkeit haben müssen, flexibel in das Büro kommen zu können. Ohne diesen Ort wird es in Zukunft nicht gehen.“
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