Star-Werber Amir Kassaei: „Heute würde man meinen geistigen Zustand infrage stellen"

Star-Werber Amir Kassaei: „Heute würde man meinen geistigen Zustand infrage stellen"
Kassaei war einer der erfolgreichsten Werber der Welt mit hartem Führungsstil. Heute würde er dafür verklagt werden, sagt er.

Amir Kassaei war 15 Jahre alt, als er allein in Österreich ankam. Er floh aus dem Iran, wo er als Kindersoldat den Kanonen zum Fraß vorgeworfen wurde. Von einem Perchtoldsdorfer Kellerabteil aus, kämpfte er sich durch. Machte die Matura, nahm jeden Job an, den er bekam, verbiss sich irgendwann in die Werbebranche und ließ sie nicht mehr los. Bis er mit 51, auf seinem beruflichen Höhepunkt, seiner Karriere ein Ende setzte. Jetzt hat er seine Biografie veröffentlicht.

KURIER: Sie haben sich alles, was Sie im Berufsleben je gebraucht haben, selbst angeeignet. Deutsch binnen weniger Wochen, das Know-how eines Werbers und Kreativen im intensiven Selbststudium. Wie stolz macht Sie das?

Amir Kassaei: Mir ist nichts anderes übrig geblieben. Es war hart, aber gerade, weil ich es selbst und so holistisch gemacht habe, hat mir das auf meinem weiteren beruflichen Weg extrem geholfen.

Erwarten wir heute zu sehr, dass einem der berufliche Weg schon in der Ausbildung bereitet wird?

Ich habe weder in der Schule noch an der Uni das Rüstzeug gelernt, das mich auf das Leben vorbereitet hat. Man muss selbst den Anspruch haben, immer Lehrling zu sein, neue Sachen zu entdecken. Das Grundgerüst kann die Schule oder die Uni mitgeben, aber den Rest muss man sich selbst erarbeiten.

Star-Werber Amir Kassaei: „Heute würde man meinen geistigen Zustand infrage stellen"

Kassaeis Kindheit nahm mit dem Kriegsausbruch ein abruptes Ende

Star-Werber Amir Kassaei: „Heute würde man meinen geistigen Zustand infrage stellen"

Amir Kassaei (Mitte) mit seinen Eltern und seinem kleinen Bruder lange vor dem Krieg

Star-Werber Amir Kassaei: „Heute würde man meinen geistigen Zustand infrage stellen"

"Meine geliebte Oma" schreibt Kassaei in seiner Biografie unter diesem Bild. Sie kam ihn besuchen, als er in Frankreich studierte. Und starb noch in der ersten Nacht ihres Besuchs aufgrund eines Schlaganfalls in seinen Armen

Sie lebten für Ihren Beruf. Wenn „die 24 Stunden des Tages nicht ausreichten, nahm ich die Nacht dazu“, sagen Sie. Hätte Ihnen mehr Work-Life-Balance gutgetan?

Es war eine Leidenschaft, deswegen habe ich es nie als Anstrengung gesehen. Aber es kann nicht gesund sein, über 30 Jahre konstant und rund um die Uhr für den Beruf da zu sein und alles andere zu vernachlässigen. Das ist lebensperspektivisch eher fragwürdig.

Also können Sie als ehemaliger Workaholic der neuen geringen Leistungsbereitschaft etwas abgewinnen?

Zur Work-Life-Balance gehört mehr dazu, als nur die berufliche Erfüllung. Aber auch, wenn der berufliche Teil nur mehr vierzig Prozent einnimmt statt hundert, sollte der Anspruch nicht fehlen. Wenn man anspruchslos durchs Leben geht, dann hat man seine Rolle verwirkt.

Lässt sich unser Wohlstand mit vierzig Prozent erhalten?

Zum Wohlstand gehört definitiv Leistung dazu. Wie diese heutzutage aussieht, muss die neue Generation selbst definieren. Aber wenn sie den Lebensstandard, den sie hat, erhalten will, wird es ohne Anstrengung nicht gehen.

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