Am Ende der Flucht fängt die Arbeitssuche an
Khadid Dolly ist aufgeregt. Der Syrer, der im April nach Österreich kam, ist voll Tatendrang. Er will sein Studium nostrifizieren lassen, die Sprache lernen, eine Stelle als Zahnarzt-Assistent finden. Er ist glücklich, dass er die Flucht überlebt hat und dankbar, dass er warmherzig aufgenommen wurde. Seiner neuen Heimat, wie er Österreich nennt, will der Zahnarzt schnell viel zurückgeben.
Dolly will sich auf dem österreichischen Arbeitsmarkt etablieren. Will hier Fuß fassen, wie viele andere Flüchtlinge (siehe rechts) auch. Insgesamt wird heuer mit 25.000 positiven Asylbescheiden gerechnet, mindestens 35.000 zusätzliche Asylberechtigte werden im kommenden Jahr in Österreich Arbeit suchen, so die Prognosen. Doch der heimische Arbeitsmarkt ist angespannt. Aktuell suchen so viele Menschen, wie noch nie – 410.854 – Arbeit. 19.669 von ihnen sind Asylberechtigte.
Warten auf den Neuanfang
Ein Asylverfahren dauert laut Innenministerium im Schnitt fünf Monate. In Wien, der Stadt mit dem größten Zuzug, warten Asylwerber im Schnitt acht Monate. Manche Verfahren dauern Jahre. Die Asylwerber sind während dieser Zeit zum Nichtstun verdonnert. Oft führt das zu Frust, Depression, Resignation. Erhalten sie einen positiven Bescheid, dürfen sie ohne Einschränkungen arbeiten.
EU-Vize-Kommissionschef Valdis Dombrovskis sagte diese Woche, die Flüchtlingswelle könne einen positiven Effekt auf die europäische Wirtschaft haben. Viele Länder hätten einen Mangel an passenden Arbeitskräften, die Flüchtlinge könnten Entlastung bringen. Gleichzeitig warnte er vor den Herausforderungen ihrer Integration. Es sei ein mehrjähriger Prozess. Kurzfristig würde die Eingliederung der Flüchtlinge die Haushalte der Mitgliedsstaaten stark belasten. Langfristig könnte der Flüchtlingsstrom aber ein Gewinn sein. Eine Credit Suisse Studie errechnete, wie sich eine erfolgreiche Integration – vor allem der jungen Flüchtlinge – am Arbeitsmarkt auswirken könnte: Das europäische Wirtschaftswachstum könnte sich um 0,2 bis 0,3 Prozent verbessern.
Die Studie des deutschen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schwächt diese positiven Stimmen ab. Sie legt dar, dass die Integration viel länger dauern könnte. Aus Erfahrungswerten wird geschlossen, dass in fünf Jahren lediglich 50 Prozent der Asylberechtigten einen Job haben werden.
Mittelfristige Belastung
In Österreich steht besonders Wien vor großen Herausforderungen. Zwei Drittel aller Flüchtlinge, die nach Österreich kommen, bleiben in der Hauptstadt. Aktuell sind in Wien 13.302 Asylberechtigte arbeitslos gemeldet.
Um die Flüchtlinge besser auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten, startete das AMS Wien kürzlich das Pilotprojekt der Kompetenzchecks. Sechs Bildungsinstitute erfassen fünf Wochen lang die Qualifikationen von 1000 Asylberechtigten und greifen ihnen bei der Integration unter die Arme. "Wir finden in Gruppentrainings und Einzelcoachings heraus, was sie in ihrer Heimat gemacht und welche Ausbildung sie haben und überlegen gemeinsam, welche Berufe und Perspektiven möglich wären", sagt Andrea Murad, Inhaberin des Bildungsnetzwerks Murad & Murad. Aktuell betreut sie 170 Asylberechtigte in Wien. "Wir bringen den Teilnehmern auch näher, dass man aus Arbeit neben Geld auch Selbstverwirklichung, Selbstbestätigung und ein starkes soziales Umfeld schöpfen kann", sagt Murad.
Erste Beobachtungen zeigen, dass männliche Einwanderer eher fachlich firm sind, also einen Beruf oder ein Handwerk erlernt haben. Frauen hätten eine größere Allgemeinbildung, teils auf Maturaniveau, erklärt AMS-Wien-Sprecher Sebastian Paulick. "Wir merken aber auch, dass viele Frauen eine längere Orientierungsphase brauchen." Im kommenden Jahr sollen sich bis zu 9000 weitere Asylberechtigte diesen Checks unterziehen können.
Eine Studie der Arbeiterkammer Wien und der FH Technikum Wien hat erhoben, welche Potenziale, die mit Migrationsbiografien verbunden sind, bei der Arbeitssuche hilfreich sein können. Auf dem Arbeitsmarkt werden besonders Eigenschaften wie Mehrsprachigkeit, Toleranz, die Fähigkeit zur Multiperspektivität und Sensibilität für Antidiskriminierung, geschätzt.
Für welche Jobs geeignet?
"Am häufigsten finden die Asylberechtigten Jobs als Zeitarbeiter, in den Branchen Gastgewerbe, Bau, Gesundheit und Handel. Da die Jobs für Pflichtschulabsolventen in Österreich immer weniger werden, ist auch bei den Flüchtlingen die Ausbildung immer wichtiger", erklärt AMS-Österreich-Sprecherin Beate Sprenger. Im Moment bringen 80 Prozent der Asylberechtigten aber lediglich einen Pflichtschulabschluss mit.
6000 Asylberechtigten ist es im Vorjahr gelungen, einen Arbeitsplatz zu finden – mehr als die Hälfte davon waren Männer. Voraussetzung für ihre gelungene Arbeitssuche ist die deutsche Sprache. Danach könnten niedrigqualifizierte Asylberechtigte etwa eine Fachausbildung machen und in den Pflegebereich oder in technische Berufe gehen, ergänzt AMS-Wien-Sprecher Sebastian Paulick. Für weitere Integrationsmaßnahmen wie Deutschkurse, Kompetenzchecks, Aus- und Weiterbildungen und Eingliederungsbeihilfen für Asylberechtigte wurde dem AMS ab 2017 ein Sonderbudget von 70 Millionen Euro zugesagt.
Die Eingliederung der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt wird sich trotzdem als sehr schwierig erweisen. Die Wirtschaft plädiert für einen rascheren Zugang zum Arbeitsmarkt, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wünscht sich für Asylwerber sogar ein Arbeitsrecht "vom ersten Tag an." Das AMS will Deutschkurse vom ersten Tag an. Politik und Wirtschaft der gesamten EU werden noch die nächsten Jahre mit Lösungen für dieses Thema beschäftigt sein. Außenminister Sebastian Kurz macht einen Anfang: Er will nächste Woche 50 Maßnahmen präsentierten, wie die Integration der Flüchtlinge künftig funktionieren kann.
Nicholas Isikhueme ist 37 Jahre alt und lebt seit 13 Jahren in Wien. Seit Juni arbeitet er im Wiener Hotel „magdas“. Es ist sein erster Job in Österreich. Isikhueme floh als Student aus Angst vor der Terror-Gruppe Boko Haram aus seiner Heimat Nigeria. Wegen seiner Religion wurde seine Familie im muslimischen Gebiet lediglich geduldet. „Wir haben deshalb viele Probleme gehabt. Die Regierung hat uns nicht geholfen, es war gefährlich“, erinnert er sich. „Ich habe nicht gewusst, wie die Zukunft aussehen wird, aber ich habe gewusst, mit der Flucht wird sie besser.“
Seit 2002 wartete er auf einen positiven Asylbescheid. Auf seinem Weg unterstützte ihn die Caritas, er bekam Geld und Gutscheine für Kleidung, wohnt bis heute in einem Caritas-Flüchtlingshaus. Erst heuer im April bekam er den Status eines anerkannten Flüchtlings und darf seinen Lebensunterhalt nun selbst bestreiten – im Juni fand er einen Job im Service bei „magdas“. Erstmals in seinem Leben ist er nun angestellt, arbeitet 40 Stunden in der Woche, verdient ein Gehalt, hat ein festes soziales Netzwerk. „Ich kann meinem Vater heute Geld schicken“, erzählt er stolz. Nicholas Iskhueme hat das geschafft, was viele Flüchtlinge noch vor sich haben: Er hat sich integriert. „Der Weg war lang. Aber es gibt immer Hoffnung.“
Das Leben im Griff
Für seine Integration besuchte er sechs Monate lang einen Deutschkurs, lernte darüber hinaus Kultur und Gewohnheiten der Österreicher kennen. „Ich wusste zum Beispiel nicht, dass man eine Frau nicht nach ihrem Alter fragen darf“, schmunzelt er. Dass er einmal im Service arbeiten wird, dachte er nicht. „In Nigeria wollte ich in die Wirtschaft gehen.“ Die Flucht machte diese Pläne hinfällig. In die Wirtschaft will er heute nicht mehr. Er fühlt sich wohl, wo er ist. „Ich habe Pläne. Ich möchte eine eigene Wohnung mit einer großen Küche. Es wäre auch schön, wenn ich mich im Service-Bereich weiterbilden könnte.“ Sein Rat an Flüchtlinge im Land: „Es braucht Integration, Hoffnung und viel Geduld.“
„Klar lungern s’ nur herum – die dürfen ja nicht arbeiten.“ Das ist der erste Satz der „wemakeit“-Crowdfunding-Kampagne des neuen Wiener Projekts „bockwerk“. Er stammt von Ute Bock, der Grand Dame der Flüchtlings-Agenden. Seit Jahren betreut ihr Verein Menschen, die in Österreich ohne geklärte Aufenthaltsverhältnisse leben. Diese Woche hat der Verein ein Projekt ins Leben gerufen, das Flüchtlingen ohne Status und daher ohne Arbeitserlaubnis einen Weg zurück in die Gesellschaft bieten kann.
Arbeit als Integration
Durch „bockwerk“ sollen sie raus aus dem Trott des Wartens, weg von Gedanken an zwielichtige Geldbeschaffung, hin zu einem selbstbestimmten Alltag mit kreativen Aufgaben. Die Flüchtlinge arbeiten hier unentgeltlich, freiwillig, beziehen, keine Sachleistungen – sie sind Volontäre.
Die Idee zum Projekt, bei dem die Flüchtlinge nach den Entwürfen der Architekten Philipp Oberthaler und Gerhard Flora Designer-Objekte in einer Werkstatt zusammenbauen, hatte Ute-Bock-Flüchtlingshaus-Wohnbetreuer Christian Penz: „Jahrelang im Verfahren zu stecken und nur im Zimmer zu sitzen – das geht auf die Psyche. Hier bekommen die Flüchtlinge eine neue Perspektive, können werken statt nichts tun. Sie lernen hier zudem die Grundkenntnisse des Holzbaus und im Arbeitsprozess auch die Sprache. Unsere Vision ist es, einmal eine Ausbildungsstätte für Flüchtlinge zu etablieren.“
Einer der Volontäre bei „bockwerk“ ist Ugochukwu Umeh. Der 35-Jährige floh vor 14 Jahren aus Nigeria. „Ich habe mich geweigert zu töten. Danach war ich selbst in Gefahr“, erzählt er. In Nigeria studierte er Marketing, in Österreich darf er wegen zwei negativer Asylbescheide nicht arbeiten. „Das ist mein erster Schritt zurück in den Jobmarkt, es bedeutet mir sehr viel“, sagt er. „Ich bekomme kein Geld, aber das ist nicht wichtig. Ich möchte ein besseres Leben erreichen.“ Mit seinen Deutschkursen und dem freiwilligen Engagement erhofft er sich, ein Bleiberecht zu erwirken.
Khadid Dolly, 25, betritt den Besprechungsraum des Bildungsnetzwerks Murad & Murad. Sein Händedruck ist fest, sein Blick freundlich. Er stellt sich vor – auf Deutsch. Wie man sich in Österreich begrüßt, hat er während des Kompetenzchecks gelernt. Er ist einer von 1000 Flüchtlingen, die für das Wiener AMS-Pilotprojekt ausgewählt wurden. Sie werden auf ihre Kompetenzen überprüft, lernen kulturelle Grundlagen, die Sprache und den Arbeitsmarkt kennen.
Der Syrer aus der Stadt Deir ez-Zor kam im April alleine nach Österreich. Seine Flucht war „schwierig, aber es war besser, als zu bleiben“, erklärt er. Warum er seine Heimat verlassen hat? „Ich wollte kein Blut an meinen Händen kleben haben, ich wollte nicht kämpfen.“ Sieben Tage nach seiner Einreise bekam er einen positiven Bescheid – im Schnitt dauert das bei Syrern drei Monate. Denn Dolly ist hoch qualifiziert, ist Zahnarzt. Zudem besitzt er alle Dokumente, die seinen Studien-Abschluss und seine Qualifikationen bezeugen. Seit sieben Monaten ist er anerkannter Flüchtling, darf in Österreich arbeiten. Während er seine Geschichte erzählt, sitzt sein Dolmetscher neben ihm. Er muss kaum übersetzen, Dolly kann sich gut alleine auf Deutsch verständigen. Am Papier steht noch das Sprach-Niveau A1, B2 braucht er laut AMS, um in einen Beruf einzusteigen.
Durchstarten, sofort
„Ich möchte so schnell wie möglich besser Deutsch lernen, damit ich mich als Zahnarzt-Assistent bewerben kann“, erklärt er. Bevor er in Österreich selbst praktizieren kann, muss er sein Studium nostrifizieren lassen. „Das dauert etwa zwei Jahre. Wenn ich fließig bin, schaffe ich es vielleicht schneller“, rechnet er vor. Er will fleißig sein.
„Dieses Land ist meine neue Heimat. Was kann ich schon erreichen, wenn ich mich nicht integriere? Ich will ein aktiver Teil der Gesellschaft sein.“ Khadid Dolly blickt positiv in seine neue Zukunft. „Ich habe viele Pläne. Einer ist, als Zahnarzt zu arbeiten und später ein Zahnmedizin-Zentrum zu eröffnen. Ich möchte auch die Staatsbürgerschaft.“
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