Aktivisten besetzen die TU Wien: Brennt die Uni doch?

John Lennons „Power to the People“ wird von den Aktivisten in Erwartung der Räumung gesungen
Aktivisten hatten die TU Wien besetzt, ihre Forderung: mehr Raum und mehr Budget. Die Proteste zum Jubiläum zeigen, wo’s brennt.

„Plenum! Wir haben ein neues Angebot des Rektorats“, klingt es durch die Lautsprecher des Festsaals, als zwei Aktivisten von ihrer Verhandlung mit der Uni-Rektorin zurückkommen. Auf dem 15 Quadratmeter großen Teppich sammeln sich die Studierenden, die im Anschluss an eine Kundgebung „#wiederbrennen: Uns reicht’s“ vor dem Technischen Universitätsgebäude (TU) quasi spontan den Festsaal besetzt haben. Erinnerungen an 2009 werden beim Wort „Spontanbesetzung“ wach.

Damals lief die Besetzung allerdings friedlicher ab, wie Daniel Wasinger im KURIER-Gespräch erzählt. „Wir sind einfach ins Audimax hinein gegangen. Haben dem Professor, der gerade eine Vorlesung hielt, die Situation erklärt und er hat uns den Saal zwar mürrisch aber kampflos übergeben“, erinnert sich Wasinger, der 2009 dabei war.

Anders die Situation 2019. Hört man sich unter den Securities der TU auf der einen und den Demonstranten auf der anderen Seite um, vernimmt man eine andere Rhetorik. Ein Security spricht von einer „gewaltsamen Stürmung des Festsaals“, die Studierenden vom „gewaltsamen Versuch die Protestierenden von einer Besetzung abzuhalten.“

 20. Oktober 2009: Lehrpersonal und Studierende besetzen die Aula der Akademie der Wissenschaften, um gegen die  Einführung des Bologna-Systems, also des heutigen Graduierungssystems Bachelor-Master-PHD zu protestieren.

22. Oktober 2009: Solidaritätskundgebung in Wien, die in der spontanen Besetzung des Uni-Wien-Audimax gipfelte. In den  Tagen darauf folgten Proteste in ganz Österreich. 

28. Oktober 2009: Großdemo mit bis zu bis 50.000 Beteiligten.

14. November 2009: 150 bis 200 Studierende stürmen die Bühne des Burgtheaters und präsentieren ein Transparent mit einem Zitat von Brecht.

21. Dezember: Am 61. Besetzungstag wurde das Audimax ohne Zwischenfälle und in Anwesenheit der Polizei geräumt.

11. März 2010: Großdemo anlässlich des Bologna-Gipfels in Wien.

Wir gegen sie,heißt es an beiden Fronten.

Das Vertrauen in die jeweilig anderen scheint nicht existent. Alle suchen nach taktischen Fehlern bei den erklärten „Gegnern“. Die Notausgänge wurden von der TU abgeschlossen. Der einzige Ein- und Ausgang von mindestens zwei Polizisten und vier Securities bewacht. Vorraum, Gang und Festsaal wurden zur Sperrzone erklärt. Hinaus und wieder hinein dürfen nur jene, die es zu Beginn hineingeschafft haben. Beim Verlassen der Sperrzone erhält man ein Nummernkärtchen – nur mit diesem darf man wieder passieren.

Essen und Getränke sind verboten, Taschen werden kontrolliert. Der Eintritt wird verwehrt, wenn man noch einen Bissen Keks im Mund hat. „Kein Essen hinter dieser Absperrung!“, blafft es einem entgegen. Das allerdings war keine Anordnung der Polizei, die mindestens dreißig Mann stark im Nebenraum mit den Hufen scharren. Sondern eine Anordnung der TU. Warum man dort weder essen noch trinken darf? „Das ist Hausordnung“. Außerhalb offizieller Veranstaltungen sei das Essen und Trinken untersagt, sagt die TU-Pressesprecherin Bettina Neunteufl im KURIER-Gespräch.

Just in diesem Moment schiebt sich ein Wagen voller Schnitzelsemmeln und Essiggurkerln an der Absperrung vorbei zu den Polizisten. Ein unglücklicher Zufall. Gut, dass sie wenigstens die Schnitzelsemmeln haben, denn die Polizisten scheinen mit besonders schlechter Laune ausgestattet – hätten die meisten von ihnen doch statt bei der Besetzung eigentlich bei der betrieblichen Weihnachtsfeier sein wollen. Noch ein unglücklicher Zufall.

2019 wird gefordert, was auch 2009 gefordert wurde

Das Plenum tagt immer noch. „Wenn es notwendig ist, bleiben wir auch bis Silvester. Uns reicht’s!“, sagt eine Aktivistin in der basisdemokratischen Gesprächsrunde. Die Forderungen decken sich mit denen von 2009. Das Angebot des Rektorats besagt, dass die Studierenden am nächsten Tag wiederkommen dürfen: von 9 bis 16 Uhr. Außerdem will man versuchen, einen Kontakt zu den Koalitionsverhandlern des Bildungspakets herzustellen.

Basisdemokratisch wird über jeden Punkt des Angebots diskutiert und abgestimmt, in kleinen Arbeitsgruppen werden Gegenforderungen formuliert. Das Angebot des Rektorats wird einstimmig abgelehnt. Die Gegenforderungen der Studierenden werden kompromisslos negiert.

Eine verfahrene Situation, die zur Sperrstunde des Unigebäudes von aufgeheizten Polizisten auf Wunsch des Rektorats beendet wird. Und zwar, indem die seit Stunden auf die Räumung spekulierenden Aktivisten teilweise einzeln und medienwirksam hinaus getragen werden. Demokratiepolitisches Aufbegehren gerne, aber bitte nur zu Öffnungszeiten.

Nachgefragt:

War Studentenprotest früher besser?

Daniel Wasinger, 33 Jahre alt, war vor zehn Jahren beim ersten  Demozug und bei der Besetzung des Audimax dabei. „Ziviler Ungehorsam heißt heute etwas anderes“, beklagt er. „Heute denkt man bei dem Wort an den schwarzen Block. Damals war #unibrennt eine Institution. Der Begriff hatte Gewicht, seine Botschaft hat mobilisiert“, so der Psychotherapiestudent.“

Wasinger war Teil der Fachschaft Informatik, die gut mit den Wiener Universitäten vernetzt war. Außerdem: „Sie war weniger Servicestelle, vielmehr eine kleine gesellschaftspolitische Institution. Auch das ist heute anders.“ Die Neuauflagen der Proteste, wie #wiederbrennen, die in der Tradition von 2009 stehen, finden heute nicht das gleich Echo.   

Was hat sich verändert?

„Ich glaube, dass  Zeitdruck und die Konsumgesellschaft das Ende der Studentenbewegung ist“, sagt er. Der solidarische Gedanke  in der universitären Gemeinschaft sei verschwunden, stellt er fest. Erstens avanciere die Universität, durch den gesellschaftlichen Fokus auf Konsum, von einem Sammelbecken für Wissen und wissenschaftlichen Diskurs zu einer Servicestelle für Berufsausbildung.

„Wir sind serviceorientiert: Wir gehen frustriert aus der Schule, weil sie uns nicht auf die Welt vorbereitet und erwarten das dann von der Uni. Sie ist aber keine Bildungs- sondern eine Ausbildungsstätte – dieser Gedanke ist verloren gegangen,“ sagt Wasinger. Heute wolle man eine Job-Ausbildung, wie auf einer FH, deshalb treffe die Forderung ‘Bildung statt Ausbildung’ auch  nicht mehr auf viel Anklang.

Zweitens müsse man heute in der Mindestzeit das Studium abschließen, sonst bekomme man durch Studiengebühren monetäre Probleme. „Studierende stehen  unter einem viel größeren Druck als früher. Sie haben buchstäblich keine Zeit mehr für die solidarische Gemeinschaft – nicht einmal für ein Verlangen nach struktureller Veränderung, geschweige denn ein Aufbegehren. “

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