„56.000 Euro im Jahr? Zu wenig“

„56.000 Euro im Jahr? Zu wenig“
Österreichs Unternehmen fehlen Tausende IT-Fachkräfte. Bessere Gehälter sind nur ein Teil des Paketes, das Firmen ihnen bieten müssen.

IT-Fachkräfte sind eine der begehrtesten Gruppen der Welt. Von Tech-Start-ups, die mit digitalen Lösungen Millionen machen, bis zu KMU, die in ihre IT investieren müssen, um überleben zu können – sie alle brauchen sie. Aber wie rekrutieren? Dazu diskutierten Benjamin Ruschin, Gründer von Europas größter IT-Fachkräfte-Konferenz „WeAreDevelopers“, Magdalena Masluk-Meller, Sourcing & Talent Relationship Managerin von Zalando und Paulo André, Vice President of Engineering des Wiener Start-ups TourRadar.

KURIER: Warum gibt es bei den IT-Profis so eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage?

Paulo André: Immer mehr Geschäfte sind heute tech-gesteuert, die Nachfrage nach Menschen, die diese Materie verstehen, steigt daher überall. Orte, wie Silicon Valley, spüren das bereits massiv. Da gehen sich die großen Firmen wegen den Besten an die Gurgel. In Europa gibt es noch einen relativ kleinen Markt an guten Entwicklern und ein richtig guter Techniker oder Entwickler ist heute 100 Mal wertvoller als ein durchschnittlicher.

Österreich fehlen 15.000 IT-Fachkräfte. Müsste man hier mehr tun, gibt es zu wenige Gute?

Paulo André: Ja.

Magdalena Masluk-Meller: Das eine ist die weltweite Digitalisierung, weshalb wir mehr Menschen brauchen. Das andere, dass wir sie noch nicht inspiriert haben, in diese Branchen zu gehen. Da geht es um eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung: Sie fängt in den Kindergärten und Schulen an, an denen Mädchen bisher nicht gerade für Technik begeistert wurden, und zieht sich bis an Unis und die Studienplätze für MINT durch.

Benjamin Ruschin: Wir produzieren nicht genug Nachwuchskräfte in der IT. Ich habe darüber kürzlich mit dem Uni-Wien-Rektor gesprochen, es gibt in einigen Fächern ja neue Zugangsbeschränkung – denn es gibt eine generelle Zurückhaltung im Budget. Was die Ausbildung angeht, hat nicht nur Österreich ein Problem – das gibt es auch im Ausland. Die österreichische Politik ist aber nicht gerade zuvorkommend, wenn es darum geht, qualifizierte Menschen aus dem Ausland zu holen. Wir arbeiten gerade mit der Stadt Wien zusammen, um die Stadt als cool für Tech-Talente zu vermarkten. Wir überlegen so etwas wie ein Paket für Entwickler, darin könnten etwa eine kostenlose Wiener-Linien-Karte für drei Jahre sein oder ein Expat-Center, das beim Umzug und Einleben in Wien hilft. Der dritte Punkt, warum es so ein Gap zwischen Angebot und Nachfrage gibt, ist: Nicht alle Firmen bieten coole Produkte an mit coolen HR- und IT-Leaders und wissen, was die Zielgruppe will.

Was will diese Zielgruppe denn?

Benjamin Ruschin: Arbeiten, wo und wann sie wollen. IT-Fachkräfte brauchen Herausforderungen, wollen lernen, sich weiterentwickeln und sie wollen wissen, wo im Unternehmen sie in drei bis fünf Jahren stehen könnten. Auch die Firmenkultur ist wichtig.

Wie ist das Mindset der Firmen in Österreich – kommen Fachkräfte gerne hierher?

Paolo André: Wien zum Beispiel ist eine fantastische Stadt. Aber auch hier gibt es Herausforderungen – die Politik und die Einstellungen sind nicht gerade einladend.

Sie sprechen die Rot-Weiß-Rot-Karte an. Ist sie bei Ihrer Personal-Suche Thema?

Paolo André: Ein riesen Thema. Unsere HR macht einen tollen Job, aber am Ende des Tages ist es in der Praxis schwierig. In einem Fall hat es ganze elf Monate gedauert, bis die Familie nachziehen konnte. Das ist eine riesige Hürde für Firmen, die langfristig erfolgreich sein möchten.

„56.000 Euro im Jahr? Zu wenig“

Magdalena Masluk-Meller: Wir bekommen Bewerbungen aus der ganzen Welt. Normalerweise beschäftigen sich die Menschen schon sehr damit, was man tun muss, um ein Visum zu bekommen. Ein Umzug innerhalb der EU ist aber einfacher als aus einem Drittstaat. Aus manchen Ländern ist es schlicht viel zu kompliziert und langwierig, jemanden zu holen. Wir probieren daher auch, lokale Talente zu finden.

Paulo André: Für uns hat es auch immer gut funktioniert, österreichische Talente im Ausland, die zurückkommen wollen, anzusprechen.

Wie kommt man an die Besten, wenn man keine globale Marke, sondern heimisches KMU ist?

Magdalena Masluk-Meller: Am besten über Empfehlungen. Kollegen sind die besten Botschafter für Enthusiasmus und die Firmenkultur.

Paulo André: Menschen wollen heute etwas Sinnvolles leisten. Es hilft Firmen, mit spannenden internen Infos rauszugehen – etwa mit einem Blog, wo sich Außenstehende informieren können.

Benjamin Ruschin: IT-Kräfte können es sich heute aussuchen, wo sie arbeiten. Wenn man ohnehin ein gutes Gehalt bekommt, überlegt man sich, was der tiefere Sinn im Job ist, wofür die Firma steht, wer dort arbeitet und wie man sich entwickeln könnte.

Sie sprechen das Gehalt an: Es heißt, heimische Firmen zahlen ITlern nicht genug.

Benjamin Ruschin: Die IT-Gehälter sind in Österreich jedenfalls zu niedrig. Wenn man jemanden für eine Senior-Stelle – also mit vier bis fünf Jahren Berufserfahrung – 4.000 Euro brutto bietet, ist das zu wenig. Denn die bekommen in Städten, in denen das Leben nicht so teuer ist, doppelt so viel.

Magdalena Masluk-Meller: Das macht 56.000 im Jahr für einen Senior-Job? Das ist ein No-Go. Niemand würde für 56.000 Euro brutto arbeiten. Woher kommt diese Einstellung, einem Techniker so wenig zu zahlen? Die Marketer und Finanzler würden auch mehr bekommen, warum also budgetiert man für ITler so wenig?

Benjamin Ruschin: Weil auf dem Top-Level oft falsche Entscheidungen getroffen werden.

„56.000 Euro im Jahr? Zu wenig“

Die Konsequenz ist: Man kriegt die Mitarbeiter dann gar nicht – oder sie werden abgeworben.

Benjamin Ruschin: Ja. Weniger Gehalt anzubieten ist so gesehen kostenaufwendig.

Magdalena Masluk-Meller: Ein Tech-Start-up hat natürlich eine andere Einstellung dazu als ein etabliertes Unternehmen, das jetzt ins eigene IT-Team investieren muss. Letztere wollen diese Investments so niedrig wie möglich halten. Damit sägen sie aber an dem Ast, auf dem sie sitzen. Sie investieren nicht genug, die Ergebnisse bleiben aus, das verzögert wiederum die Innovationen.

Paolo André: Ich bin seit einem Jahr in Wien, habe davor viele Jahre in Berlin gearbeitet. Und finde: Die Wiener Start-up-Szene kann man nicht mit der Berliner Szene vergleichen. Wenn Firmen auf den Markt drängen, die mit viel Venture Capital ausgestattet sind und mehr bezahlen können, wird sich der Markt schon selbst regulieren. Da werden jene Unternehmen, die heute 56.000 Euro zahlen, aufwachen – und sich anpassen.

Wie lange dauert es, bis wir diesen IT-Fachkräfte-Gap hierzulande schließen?

Benjamin Ruschin: Noch zwei Jahre – es dauert aber auch schon ziemlich lang. Die Firmen ändern sich sehr langsam und ergreifen beim Recruiting nicht die richtigen Initiativen. Sie schreiben ihre Stellen zum Beispiel ganz allgemein auf großen Portalen aus – bekommen dementsprechend wenig Rückmeldung. Denn nur sechs Prozent der IT-Mitarbeiter sind für suchende Firmen sichtbar. Als Firma muss sie dort ansprechen, wo sie aktiv sind: Auf Events und Plattformen, wo Entwickler ihre Zeit verbringen.

Die Online-Bank N26 kommt demnächst nach Wien, sie will 300 IT-Fachkräfte einstellen. Woher diese nehmen?

Paulo André: Das wird ein großer Schubser für die Szene und die Marktregulierung sein. Ich hoffe,  dass das das Niveau für alle heben und  den Entwicklern Gutes bringen wird. Es wird auch Wien sehr attraktiv machen, viele werden hierher ziehen wollen.

Benjamin Ruschin: Woher die Fachkräfte nehmen? Von bereits existierenden Firmen in Wien – die Guten werden die großen Banken und vor allem die staatlich geführten Unternehmen verlassen. Und sie werden aus dem Ausland zuziehen.

„56.000 Euro im Jahr? Zu wenig“

 

Aus welchen Ländern?

Paulo André: Tolle Talente gibt es überall. Der Ost-Markt boomt, die Menschen dort wollen an besseren Orten arbeiten und leben.

Benjamin RuschinWir haben auch gute Erfahrungen mit Fachkräften aus der Slowakei – die Steuern sind dort niedrig, die Gehälter aber auch. Wenn man schnell rekrutieren möchte, ist es eine gute Strategie, sich auf die Märkte zu konzentrieren, die die Menschen verlassen wollen – etwa Bosnien, Kroatien oder Serbien. Wenn wir es schaffen, die Rot-Weiß-Rot-Karte abzuschaffen.

Magdalena Masluk-Meller: Das alles würde aber unterstellen, dass jeder Entwickler gerne viel reist. Aus unserer Perspektive muss ich aber sagen: Wir klopfen an sehr viele Türen und hören oft „wir möchten lieber nicht umziehen“. Manche Länder führen auch besondere Initiativen ein, wie etwa Holland. Die haben fünf Jahre steuerfrei für Expats eingeführt, um sie ins Land zu holen. Da kann kein Land mithalten. Wenn man jetzt Talente aus Amsterdam abwerben möchte, müsste man das überbieten. Das ist eine große Hürde. Und das wiederum eröffnet das Thema Future of Work und die Frage: Warum bestehen wir heute immer noch darauf, physisch zusammenzuarbeiten? Eigentlich müssten wir die neuen Technologie für eine neue Kultur des Arbeitens,  neue Prozesse und Rituale nutzen.  Man will heute von überall und jederzeit arbeiten  – und doch halten wir daran fest, dass man für seinen Job in ein anderes Land ziehen muss. Wenn wir das in 2025 immer noch sagen, haben wir uns nicht weiterentwickelt.

 

Kommentare