„Die Botschaft ist das Wichtigste!“

Ist das Mikrofon in der Dolmetscherkabine an, leuchtet vor der Tür eine rote Lampe „damit niemand stört“
Marie Diur spricht sechs Sprachen – nur eine davon ist ihre Muttersprache

Französisch, Italienisch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch oder Schwedisch – alles kein Problem für Marie Diur. Seit zwölf Jahren ist sie Dolmetscherin bei der UNO.

1 Sie sprechen sechs Sprachen, dolmetschen Sie in allen?

Marie Diur: Man dolmetscht immer von einer Zweitsprache (Anm.: Sprache, die man zusätzlich zur Muttersprache spricht) in die Muttersprache. Als Freiberuflerin habe ich das gemacht, bei der UNO übersetze ich von Englisch und Spanisch ins Französische.

2 Wie sieht Ihr Arbeitstag aus?

Wenn ich um zehn Uhr ein Meeting habe, stehe ich früh auf und lese Zeitungen in verschiedenen Sprachen. Ich bin dann rund eine Stunde vor dem Meeting im Büro.

3 Und wenn Sie kein Meeting haben?

Ich leite die französische Abteilung, wir sind insgesamt vier Dolmetscher. Ich schreibe Berichte oder bereite mich auf andere Meetings vor.

4 Wie sehen diese Vorbereitungen aus?

Ich lese alle Dokumente in meinen Sprachen und schreibe ein Glossar mit Vokabeln und technischen Ausdrücken. Bei schwierigen Konferenzen, wie bei Meetings der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), beginne ich eineinhalb Monate vor der Konferenz.

5 Welche Fehler passieren am häufigsten?

Oft übersetzt man Zahlen oder Namen von Personen falsch. Da ist Teamwork gefragt. Kollegen, die gerade Pause haben, schreiben Zahlen und Namen mit, dann kann man sie einfach ablesen.

6 Wie viele Meetings haben Sie in einer Woche?

Das ist unterschiedlich. Maximal darf man bei sieben Meetings zu je drei Stunden arbeiten. Sie müssen wissen: Dolmetschen ist mental anstrengend, es sind schon Kollegen in den Kabinen zusammengebrochen.

7 Was machen Sie, wenn Sie ein Wort nicht verstehen? Ich warte einen Moment, aus dem Zusammenhang weiß ich, was gemeint ist.

8 Wie exakt muss das Übersetzte sein?

Beim Dolmetschen geht es nicht darum, alles Wort für Wort zu übersetzen. Es ist wichtiger, dass wir alle Ideen und Botschaften vermitteln.

9 Wer war die berühmteste Person, die Sie bis jetzt gedolmetscht haben?

Das war wohl George W. Bush, er hat im letzten Jahr seiner Präsidentschaft bei der Generalversammlung der UNO in New York gesprochen.

10 Welche Fähigkeiten sollte ein Dolmetscher haben?

Ich würde sagen, man muss schnell sein, beim Denken, beim Verstehen, beim Sprechen. Wir übersetzen zeitgleich, du musst sofort wissen, was die Person sagen will und dann hast du eine Sekunde um zu entscheiden, ob du dieses oder jenes Wort verwenden willst.

11 Wie sieht die Ausbildung als Dolmetscher aus?

Man braucht einen Universitätsabschluss, egal ob Jus, Medizin oder in Sprachen, dann kann man sich an einer „Interpretation School“ bewerben.

12 Wie wird man Dolmetscherin bei der UNO?

Es gibt einen Aufnahmetest. Will man als Dolmetscher mit französischer Muttersprache angestellt werden, muss man drei englische und drei spanische oder russische Reden ins Französische übersetzen. Alle Reden müssen positiv benotet werden.

13 Wir unterhalten uns in Englisch, wie gut sprechen Sie Deutsch?

Es könnte besser sein. Ich hatte Privatstunden, habe aber aufgehört, weil der Job sehr stressig ist. Ich möchte wieder beginnen.

Marie Diur, geboren am 27. Juni 1959, stammt aus dem Kongo. Sie studierte in Frankreich Englisch und Spanisch und besuchte die Dolmetscherschule Polytechnical of Central London. Seit sechs Jahren lebt sie in Wien, davor wohnte sie in Italien, New York und Schweden.

Rund 4000 UN-Mitarbeiter arbeiten im Vienna International Center. 26 fix angestellte Dolmetscherdecken rund 70 Prozent des Bedarfs ab, der Rest wird mit freien Dolmetschern ausgeglichen. 6 Amtssprachen gibt es bei der UNO: Englisch, Französisch, Russisch, Chinesisch, Spanisch und Arabisch. Will man für die UNO arbeiten, muss man eine der zwei Arbeitssprachen, Englisch oder Französisch beherrschen.

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