Josef Zotters Zorn auf Werbe-Schmähs

Josef Zotter
Der Bio-Verfechter erklärt, warum er auch in Usbekistan kauft und wenig von Regionalität hält.

Die Zeiten, in denen ohne lange Diskussion gegessen wurde, was auf den Tisch kommt, sind definitiv vorbei. Essen ist zur Glaubensfrage geworden. Die Industrie schlichtet immer mehr Artikel "frei von" in die Supermarktregale: frei von Laktose, Gluten, Gentechnik oder tierischen Inhaltsstoffen. Dazu kommen unzählige Gütesiegel, von Fairtrade über Utz bis Rainforest Alliance.

Bio galt lange als Wachstumsmotor im Lebensmitteleinzelhandel. Das blieb auch der Industrie nicht verborgen, die mit eigenen Bio-Schienen in den Markt drängte. Nun scheint Bio seinen Zenit erreicht zu haben. Marktforscher rufen das Thema "Regionalität" als "neues Bio" aus. Der KURIER fragte den Bio-Verfechter Josef Zotter, warum er den Regionalitätstrend für Lobbyismus hält, Bio aus Usbekistan kauft und die Bio-Schienen der Konzerne für "pervers" hält.

KURIER: Ist Regionalität wirklich das neue Bio?

Josef Zotter: Diese Ansage kommt doch ganz klar von den Lobbyisten der konventionellen Landwirtschaft. Sie reden nicht so gern über ihre Produktionsbedingungen. Lieber betonen sie, dass man ihre Produkte kaufen soll, weil sie aus der Region kommen. Als ob es einen Unterschied macht, in welcher Region die Erde vergiftet oder Tiere gequält wurden.

Dennoch: Immer mehr Konsumenten greifen zu regionalen Produkten. Die Bio-Umsätze scheinen dagegen ihren Zenit erreicht zu haben ...

Ja, Letzteres ist eine gefährliche Entwicklung.

Warum gefährlich?

Die Branche wird versuchen, die Verkaufsmengen weiter zu steigern. Das geht, indem man billige Ware aus dem Ausland holt. Bio-Erdäpfel aus Ägypten zum Beispiel. Diese sind dann irgendwann gleich billig wie konventionelle aus dem Waldviertel. Damit gewinnen sie neue Käufer, die Bio erst kaufen, wenn es gleich billig ist wie konventionelle Ware. Das ist ein Wahnsinn.

Schon jetzt wird Bio um die halbe Welt gekarrt. Sie kaufen ja auch nicht regional ein, oder?

Diesen Vorwurf höre ich oft. Zum Beispiel hat mir kürzlich jemand vorgehalten, dass ich getrocknete Früchte aus Usbekistan verarbeite. Ich sollte doch besser Kirschen aus Donnerskirchen nehmen. Würde ich ja, aber die sind nicht Bio-zertifiziert. Genauso wenig wie die Milch vom Bauern nebenan. Er wollte nicht auf Bio umstellen, jetzt kauf’ ich 1,3 Millionen Liter Bio-Milch in Tirol ein. Damit sind die Transportwege länger, aber für einen Bio-zertifizierten Betrieb wie mich ist das alternativlos.

Viele Landwirte sagen, sie tun sich die Bürokratie in der Bio-Landwirtschaft nicht an. Auch verständlich, oder?

Es muss diese Zertifizierungen geben, sonst sind den Betrügereien Tür und Tor geöffnet. Außerdem drängen konventionelle Betriebe in den Bio-Markt. Da wird die ganze Woche konventionelle Schoko produziert und an einem Nachmittag auf derselben Produktionslinie Bio. Schrecklich.

Was soll an dieser Bio-Schokolade schlechter sein als an Ihrer?

Sie erfüllt nur die Mindeststandards, das ist bei mir anders. Aber diese Entwicklung gibt es überall. Auch Winzer oder Bäcker fahren auf einmal Bio-Schienen. Sie haben alle gemeinsam, dass sie Bio nicht aus Überzeugung machen, sondern aus rein wirtschaftlichen Interessen. Das finde ich pervers, das schadet der Branche.

Irgendwie pervers ist es auch, Bio in einer Plastikverpackung zu kaufen. Sie versuchen ja in Ihrem Stammhaus in Bergl (Stmk.) verpackungsfrei zu verkaufen. Mit Erfolg?

Wenn jeden zweiten Tag einer kommt und Pralinen ohne Verpackung kauft, ist das viel. Es ist also überhaupt kein Geschäft, leider. Ich wäre gern bereit, die Verpackungskosten vom Preis abzuziehen, wenn die Leute ihre eigene Verpackung mitbringen. Das macht aber so gut wie niemand.

Der verpackungsfreie Supermarkt in Linz, in den Sie investiert haben, ist schon wieder geschlossen. Was war schuld?

Ich glaub’, die Gründer dahinter waren schlicht zu wenig zäh. Überspitzt gesagt: Gerade am Anfang muss ich alles selbst machen – bis zum Putzen des Geschäfts. Nur die Umsätze addieren reicht nicht.

Ihre Produkte tragen auch das Fairtrade-Siegel. Dabei geht es weniger um die Qualität der Produkte als um die Arbeitsbedingungen vor Ort. Schauen Sie sich diese auch an?

Naja, ich bin nicht naiv. Wenn ich in so eine Produzentenkooperative komme, ist natürlich aufgeräumt. Sprich, an dem Tag passt alles. Ich verlasse mich also drauf, dass die Fairtrade-Mitarbeiter dann bei ihren unangemeldeten Audits prüfen, ob das auch immer so ist.

Wie geht’s Ihrer Bio-Landwirtschaft? Verdienen Sie damit Geld?

Ich hab’ 80 Hektar Grund, der Betrieb der Landwirtschaft kostet mich praktisch nichts mehr. Aber die Anfangsinvestitionen darf man halt nicht mitrechnen. Wir haben auch erst viel lernen müssen. Früher sind uns die Ziegen gestorben, weil wir sie nicht entwurmt haben. Da haben die Bauern in der Umgebung gesagt: "Dos hast jetzt von deinem Bio do!". Mittlerweile haben wir gelernt, dass die Ziegen nur Bitterkräuter brauchen und alles ist in Ordnung. Derzeit kämpfe ich für eine Schlachtbox für meine Landwirtschaft, es ist nicht möglich, dass ich sie genehmigt bekomme.

Warum?

Meine Schweine leben im Wald. Sie fürs Schlachten einzufangen und zum Schlachthof zu bringen ist schwierig und ein Stress für die Tiere. Ich wollte sie am Feld schlachten, darf ich aber nicht.

Die Industrie hat was dagegen?

Genau. Das versteh’ ich auch bis zu einem gewissen Grad. Man hat sie jahrelang mit Auflagen traktiert und jetzt komm’ ich und will am Feld schlachten.

Der Steirer ist gelernter Koch und Kellner sowie Konditormeister. Mit seinen Konditoreien ging er 1996 pleite, drei Jahre später startete er mit seiner Schokoladenmanufaktur Zotter durch. Im beschaulichen Bergl in der Steiermark beschäftigt Zotter 180 Mitarbeiter, dazu kommen 20 Mitarbeiter im Tochterunternehmen in Schanghai, das von seiner Tochter Julia geleitet wird. Im abgelaufenen Geschäftsjahr setzte Zotter 20,6 Millionen Euro mit Bio-, Fairtrade- und Emas-zertifizierten Schokoladen um. Zotter (56) ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

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