Jahrhundertprojekt: Am Kopfbahnhof der Seidenstraße

Mega-City Chongqing.
Ausbau der Bahn soll Güter rascher und billiger von China nach Europa bringen.

Vor Kurzem noch Niemandsland, jetzt ein Konglomerat aus grauen, schmucklosen Fabrikshallen und riesigen Wohnsilos auf 1200 Quadratkilometer: Liangjiang, das "Silicon Valley" Zentralchinas wurde in Rekordzeit aus dem Boden gestampft. Angelockt mit großzügigen Steuerzuckerln sowie billigen Lohn- und Energiekosten ließen sich in der Sonderwirtschaftszone von Chongqing binnen fünf Jahren alle wichtigen IT-Größen dieser Welt nieder. Acer und Lenovo fertigen hier ebenso wie der Apple-Zulieferer Foxconn.

Jedes zweite, weltweit verkaufte Notebook kommt aus Chongqing, 350 Millionen Geräte mit eingebauten Chips verlassen noch heuer die Werkshallen. Auch der österreichische Hightech-Leiterplattenhersteller AT&S eröffnete hier kürzlich ein Werk – das zweite in China. Im Hinterland "spielt die Musik", begründete AT&S-Miteigentümer Hannes Androsch die Standortwahl.

Kopfbahnhof Chongqing

Jahrhundertprojekt: Am Kopfbahnhof der Seidenstraße
The junction of Yangtze River and Jialing River is pictured in Chongqing, China, January 25, 2016. Picture taken January 25, 2016. REUTERS/Sue-Lin Wong/File Photo
Die ehemalige Provinzstadt Chongqing ist mit ihren 33 Millionen Einwohnern inzwischen größte Stadt der Welt. Aber nicht nur das: Sie ist ein zentraler Ausgangspunkt, quasi Kopfbahnhof, für das wohl prestigeträchtigste Jahrhundertprojekt der Zentralregierung in Peking: Das Revival der Seidenstraße, besser bekannt als "One Belt, one Road - OBOR" (zu Deutsch: "Ein Gürtel, eine Straße"). Mit der wirtschaftspolitischen Initiative will Peking – in Anlehnung an die historische Seidenstraße – ein Bündel an Verbindungswegen auf dem Land- und Seeweg (Bahn, Schiff) von Ost-Asien nach West-Europa erschließen. Die genauen Routen bleiben vage, China behält sich hier viel politischen Spielraum offen. Mehr als 60 Länder mit insgesamt zwei Drittel der Weltbevölkerung und 75 Prozent der bekannten Energie-Ressourcen der Welt sind von OBOR erfasst. Die EU arbeitet seit Kurzem an einer Schnittstelle zu ihren eigenen Bahnausbau-Programmen.
Jahrhundertprojekt: Am Kopfbahnhof der Seidenstraße
Chongqing ist neben Xian Ausgangspunkt für die "stählerne Seidenstraße". Von hier aus wird der Ausbau des Bahn-Transports zwischen China und Europa gesteuert, die Metropole will sich als internationaler Umschlagplatz etablieren.

Chongqing-Duisburg

Das Ziel: Hochgeschwindigkeitszüge sollen die Lieferzeit gegenüber Containerschiffe erheblich reduzieren. Schon jetzt fährt ein 50 Container langer Güterzug in nur 16 Tagen die 11.000 Kilometer lange Strecke von Chongqing nach Duisburg/Deutschland und ist damit fast drei mal so schnell wie ein Schiff, das mindestens 40 Tage braucht. Und die Transportkosten sind im Vergleich zum Flugzeug wesentlich niedriger. Die PC-Hersteller HP und Acer sprangen bereits auf den Zug auf und liefern ihre Laptops mit der Bahn an ihre europäischen Kunden.

"Das Hinterland anzubinden ist derzeit das ganz große Thema in China", sagt Martin Glatz, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Peking. Die Produktionskosten seien hier noch um einiges günstiger als in Schanghai oder Peking, die Logistik galt bisher jedoch als schwierig. Beim Aufbau der Infrastruktur sieht er auch Chancen für österreichische Firmen. Auch wenn die neue Seidenstraße noch "sehr vage" sei, unterstütze sie den Strukturwandel der chinesischen Wirtschaft von der export-orientierten Schwerindustrie hin zu mehr Innovation und Dienstleistung, meint Glatz. Bestehende Überkapazitäten durch den Wandel – allen voran in der Stahlindustrie – sollen für Infrastruktur entlang der Seidenstraße eingesetzt werden. Das Potenzial ist groß: Derzeit machen die Bahn-Transporte nur etwa vier Prozent des Exportes aus, das Gros mit 93 Prozent geht über den Seeweg, drei Prozent entfällt auf Luftfracht.

Zur Finanzierung des Jahrhundertprojekts legte China den Silk Road Fund (SRF) auf und erschloss neue Geldquellen etwa durch die Gründung der neuen Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB). 56 Staaten – darunter viele EU-Länder und auch Österreich – speisen die neue Entwicklungsbank, die zu Jahresbeginn ihre Geschäfte aufnahm.

Kritiker fürchten, dass China mit dem Seidenstraßen-Projekt nicht nur die wirtschaftliche, sondern die politische Macht weit über die Grenzen des Landes hinaus festigen will. Mit der Kontrolle der Bahn- und Hafeninfrastruktur wächst auch der globale Einfluss Chinas.

Alte Route, neuer Weg

Mit dem Projekt „One Belt, one Road“ oder „neue Seidenstraße“ strebt China einen eigenen Wirtschaftsgürtel nach Vorbild der antiken Seidenstraße durch Zentralasien vor. Es gibt eine Landroute (Bahn) und eine Seeroute (Schiff), die sich beide in Europa (u. a. Duisburg) treffen.

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