Jahrhundertprojekt: Am Kopfbahnhof der Seidenstraße
Vor Kurzem noch Niemandsland, jetzt ein Konglomerat aus grauen, schmucklosen Fabrikshallen und riesigen Wohnsilos auf 1200 Quadratkilometer: Liangjiang, das "Silicon Valley" Zentralchinas wurde in Rekordzeit aus dem Boden gestampft. Angelockt mit großzügigen Steuerzuckerln sowie billigen Lohn- und Energiekosten ließen sich in der Sonderwirtschaftszone von Chongqing binnen fünf Jahren alle wichtigen IT-Größen dieser Welt nieder. Acer und Lenovo fertigen hier ebenso wie der Apple-Zulieferer Foxconn.
Jedes zweite, weltweit verkaufte Notebook kommt aus Chongqing, 350 Millionen Geräte mit eingebauten Chips verlassen noch heuer die Werkshallen. Auch der österreichische Hightech-Leiterplattenhersteller AT&S eröffnete hier kürzlich ein Werk – das zweite in China. Im Hinterland "spielt die Musik", begründete AT&S-Miteigentümer Hannes Androsch die Standortwahl.
Kopfbahnhof Chongqing
Chongqing-Duisburg
Das Ziel: Hochgeschwindigkeitszüge sollen die Lieferzeit gegenüber Containerschiffe erheblich reduzieren. Schon jetzt fährt ein 50 Container langer Güterzug in nur 16 Tagen die 11.000 Kilometer lange Strecke von Chongqing nach Duisburg/Deutschland und ist damit fast drei mal so schnell wie ein Schiff, das mindestens 40 Tage braucht. Und die Transportkosten sind im Vergleich zum Flugzeug wesentlich niedriger. Die PC-Hersteller HP und Acer sprangen bereits auf den Zug auf und liefern ihre Laptops mit der Bahn an ihre europäischen Kunden.
"Das Hinterland anzubinden ist derzeit das ganz große Thema in China", sagt Martin Glatz, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Peking. Die Produktionskosten seien hier noch um einiges günstiger als in Schanghai oder Peking, die Logistik galt bisher jedoch als schwierig. Beim Aufbau der Infrastruktur sieht er auch Chancen für österreichische Firmen. Auch wenn die neue Seidenstraße noch "sehr vage" sei, unterstütze sie den Strukturwandel der chinesischen Wirtschaft von der export-orientierten Schwerindustrie hin zu mehr Innovation und Dienstleistung, meint Glatz. Bestehende Überkapazitäten durch den Wandel – allen voran in der Stahlindustrie – sollen für Infrastruktur entlang der Seidenstraße eingesetzt werden. Das Potenzial ist groß: Derzeit machen die Bahn-Transporte nur etwa vier Prozent des Exportes aus, das Gros mit 93 Prozent geht über den Seeweg, drei Prozent entfällt auf Luftfracht.
Zur Finanzierung des Jahrhundertprojekts legte China den Silk Road Fund (SRF) auf und erschloss neue Geldquellen etwa durch die Gründung der neuen Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB). 56 Staaten – darunter viele EU-Länder und auch Österreich – speisen die neue Entwicklungsbank, die zu Jahresbeginn ihre Geschäfte aufnahm.
Kritiker fürchten, dass China mit dem Seidenstraßen-Projekt nicht nur die wirtschaftliche, sondern die politische Macht weit über die Grenzen des Landes hinaus festigen will. Mit der Kontrolle der Bahn- und Hafeninfrastruktur wächst auch der globale Einfluss Chinas.
Alte Route, neuer Weg
Mit dem Projekt „One Belt, one Road“ oder „neue Seidenstraße“ strebt China einen eigenen Wirtschaftsgürtel nach Vorbild der antiken Seidenstraße durch Zentralasien vor. Es gibt eine Landroute (Bahn) und eine Seeroute (Schiff), die sich beide in Europa (u. a. Duisburg) treffen.
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