"Gentechnologie ist sehr wertvoll"

Carl Albrecht Bartmer (Präsident DLG -Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft)
Deutscher Agrar-Experte Bartmer: Kreuzungen stützen seit Jahrtausenden den Fortschritt.

Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) vertritt 24.000 Mitglieder. Darunter auch heimische Betriebe wie die Gutsverwaltung Hardegg. DLG-Präsident Carl Albrecht Bartmer fordert mehr europäische Verantwortung in der Nahrungsmittelproduktion.

KURIER Der Lebensmittel-Bedarf wird in den nächsten 50 Jahren um fast das Doppelte steigen. Kann die Landwirtschaft das leisten?

Carl Albrecht Bartmer. Ja, das kann die Landwirtschaft. Allerdings arbeiten wir derzeit nicht überall nach dem möglichen Stand des Wissens und Könnens. Tatsächlich gibt es noch ungenutzte Potenziale. Wir setzen uns mitunter moralische oder risikoorientierte Grenzen. Wir sollten uns die Frage stellen, ob dies an einem der wichtigen globalen Standorte mit günstiger Lage für die Agrarproduktion rational und verantwortungsvoll ist.

Ist der Einsatz von Gentechnik notwendig, um die angepeilte Ertragssteigerung zu erreichen?

Es gib ein ganzes Paket von Dingen, die man braucht. Dazu gehört eine hervorragende Qualifikation von Landwirten, eine gute maschinentechnische Ausstattung und eine Lagerung mit möglichst wenig Verlusten. Züchtungen spielen sicher eine Schlüsselrolle.

Sie haben sich um die Antwort gedrückt.

Ich bin persönlich der Meinung, dass Gentechnologie sehr wertvoll ist. Züchtung ist seit Jahrtausenden Gentechnologie, wir haben die Kreuzung von Pflanzen nur bisher nicht so bezeichnet. Wenn ich südamerikanische Weizenstämme mit nordeuropäischen Weizensorten klassisch kreuze, sind das auch Verbindungen, die die Natur wegen der räumlichen Entfernung nicht zustande gebracht hätte. Diese Kreuzungen sind Grundlagen für den Zuchtfortschritt.

Wegen der Klimaerwärmung werden Pflanzen mit einer höheren Hitzeresistenz gebraucht. Wie lange werden die Züchtungen dauern?

Die Entwicklung einer neuen Sorte dauert zehn bis zwölf Jahre. Damit ist aber noch nicht klar, wie groß der Zuchtfortschritt ist. Eine Anpassung an Klimarisiken ist mühsam, wir sollten früh damit anfangen. Wir werden nicht nur Pflanzen aus gemäßigtem Klima an die neuen Bedingungen anpassen, sondern verstärkt Pflanzen anbauen, die im nicht-gemäßigten Klima zu Hause sind.

Zum Beispiel?

Es werden bereits Sojabohnen in Österreich angebaut. Daran hat man vor zwanzig Jahren noch nicht gedacht. Es gibt Pflanzen, die mit höheren Temperaturen umgehen können, wie Mais. Weizen und Raps vertragen Hitze nicht gut. Sie werden in den nördlichen Bereich Europas abwandern. Solche Veränderungen sind nicht neu. Es gab Regionen im Norden Europas, in denen wurde früher Wein angebaut.

Würde es was ändern, wenn Österreich auf Gentechnik setzt?

Ob Österreich oder auch Deutschland die Gentechnik einführen oder nicht, ändert in dieser Welt nicht viel. Wir sollten uns allerdings darüber Gedanken machen, ob unsere von der Natur bevorzugten Regionen ihr Potenzial zur weltweiten Ernährungssicherung ausreichend ausschöpfen. Moderne Züchtungstechnik könnte dabei ein hilfreiches Instrument sein.

Erfüllt Europa diese Vorgabe?

Es wird immer vergessen, dass Europa trotz seiner günstigen Lage der größte Nettoimporteure von Agrarprodukten ist. Für die Herstellung unserer Nettoimporte im Lebensmittelbereich sind ungerechnet ungefähr 30 Millionen Hektar Ackerland notwendig, die wir virtuell außerhalb der europäischen Grenzen nutzen. Das entspricht der dreifachen Anbaufläche Deutschlands.

Woran liegt das?

Wir nutzen Ackerlandflächen auch für andere Zwecke als zur Herstellung von Lebensmittel und setzen etwa Biomasse auch dann als Energiealternative ein, wenn sie kein Nebenprodukt der Lebensmittelherstellung ist. Dazu kommt ein hoher Fleischkonsum. Den Preis bezahlen gerade die Ärmsten, weil wir preistreibend mit ihnen um das tägliche Brot konkurrieren. Wir benötigen in Europa im Sinne von globaler Verantwortung eine Diskussion über diesen Trend steigender Nettoimporte.

Die EU-Agrarförderungen werden gekürzt. Eine richtige oder eine falsche Entscheidung?

Europa steht vor sehr großen finanziellen Herausforderungen. Es ist daher nachvollziehbar, dass Förderungen auch in der Landwirtschaft reduziert werden. Diese Reduktion muss in einem Zeithorizont stattfinden, der es den Betrieben ermöglicht, sich anzupassen. Wir wollen die gewachsene Agrarstruktur in Europa erhalten. Höhere Standards, etwa für die Verbrauchersicherheit, gibt es nicht zum Nulltarif. Grundsätzlich ist der Weg der Kommission richtig, Betriebe in eine wettbewerbsfähige Struktur zu führen .

Bedeutet die geplante Liberalisierung des Milchsektors in der Europäischen Union das Ende für kleine Milchbauern?

Die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe hängt nicht nur davon ab, ob sie groß oder klein sind. Es gibt kleine Betriebe, die sehr dynamisch sind. Eine staatliche reglementierte Struktur über Quoten ist für einen leistungsfähigen Milchsektor ein großes Hemmnis. Liberalisierung geht nicht einher mit dem Untergang der Kleinen, sondern fördert die besonders leistungsfähigen Landwirte. Diese Eigenschaften sind größenunabhängig. Der Staat ist hier nicht gefordert.

Carl Albrecht Bartmer, Chef der DLG

Werdegang Carl Albrecht Bartmer ist seit 2006 Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft. Der 52-Jährige bewirtschaftet seit 1991 in Löbnitz an der Bode (Sachsen-Anhalt) einen Ackerbaubetrieb mit 1000 Hektar. Angebaut werden Weizen, Zuckerrüben, Raps und Mais. Seine Vorfahren waren seit 1735 in der Region ansässig. Das Gut blieb bis 1945 in Familienbesitz. Dann kam die Zwangsenteignung durch die Kommunisten. Bartmer, der Agrarwissenschaften in Göttingen studiert hat, kaufte 1999 und 2002 wesentliche Teile des einstigen Familienbesitzes zurück.

Selbstverständnis Bartmer sieht sich vor allem als Unternehmer im Agrarbereich. Der passionierte Marathonläufer hält nichts von Denkverboten.

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