Trügerische Ruhe auf dem Ölmarkt

Trügerische Ruhe auf dem Ölmarkt
Preisverfall nur vorübergehend, Abhängigkeit vom Nahen Osten steigt.

Wunderbare Zeiten für Ölimportländer. Das Rohölangebot ist so groß wie schon lange nicht mehr, die Nachfrage wegen der schwachen Wirtschaftsentwicklung ist mäßig. Die Folge: Die Ölpreise fallen seit Monaten. Am Donnerstag durchbrach die Notierung für das Nordseeöl der Sorte Brent sogar die 80-Dollar-Marke und sackte auf 79,70 Dollar je Fass (à 159 Liter). Öl kostet damit gut ein Viertel weniger als noch im Juni dieses Jahres.

Fatih Birol, Chefökonom der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris, kann dem Ölpreisverfall allerdings nicht nur Gutes abgewinnen. "Die Ruhe am Ölmarkt sollte nicht die Sicht auf die Herausforderungen verdecken", warnte er bei der Präsentation des "World Energy Outlooks 2014" am Donnerstag in der Wiener Hofburg. Denn es werde nicht lange dauern, bis die US-Schieferöl-Produzenten und Brasiliens Petrobras, die Öl aus großes Meerestiefen holt, wegen der niedrigen Ölpreise ihre Förderungen zurückschrauben würden. Birol erwartet, dass in den USA schon 2015 um zehn Prozent weniger in die Schieferölförderung investiert werde. Den Brasilianern würden wegen der niedrigeren Ölpreise die Cash-Flows für weitere Investments fehlen. Dann werde die Welt wieder vom Öl der Krisenherde im Nahen Osten abhängig, warnte Birol. Vor allem für Asien, wo die Ölnachfrage weiter kräftig steige, werde das ein Problem. Die Ölpreise würden dann jedenfalls wieder steil nach oben schießen.

Irak im Fokus

Eine zentrale Rolle in der künftigen Ölförderung wird nach Einschätzung der IEA der Irak einnehmen. "Die Hälfte des Ölförder-Wachstums im Nahen Osten müsste aus dem Irak kommen", erklärte Birol. Dafür wären aber jährliche Investitionen in die Ölexploration von 15 Milliarden Dollar in diesem Land nötig – Investments, die angesichts der Kämpfe im Irak weit und breit nicht sichtbar seien.

Ein rasches Gegensteuern der Ölverbraucherländer mittels Dämpfung der Nachfrage sieht Birol nicht. Zwar flache sich das Wachstum des Ölbedarfs in den Industrieländern deutlich ab, dafür bräuchten die aufstrebenden Staaten in Asien umso mehr. "Für jedes Fall Öl, das die Industriestaaten einsparen, verbrauchen die Schwellen- und Entwicklungsländer zwei Fass", stellt der IEA-Chefökonom fest.

Preisverfall wie lange?

Kurzfristig aber ist der Ölpreis nach wie vor im Rückwärtsgang unterwegs, schätzt Tamas Pletsar, Öl-Analyst der Erste Group in Budapest. Der Grund: "Die Ölförderländer schrauben auch bei einem Preis von unter 80 Dollar je Fass ihre Produktion nicht zurück", betont er.

Saudi-Arabien, der wichtigste und größte Produzent der Organisation Erdöl produzierender Länder (OPEC), habe nach dem "Arabischen Frühling" die Staatsausgaben kräftig erhöht, um die unzufriedene Bevölkerung zu befrieden. "Die Saudis können die Ölförderung gar nicht reduzieren, sie brauchen das Geld und fördern bei niedrigeren Preisen lieber noch mehr", erklärt Pletsar. Nicht anders sei das im Iran, der sein Staatsbudget auf einem Ölpreis von 130 Dollar je Fass aufgebaut habe. Pletsar erwartet daher auch nicht, dass die Staaten beim nächsten OPEC-Gipfel am 27. November in Wien eine Reduktion ihrer Ölförderung beschließen: "Es sieht nicht so aus, als würde die OPEC bereit sein, Marktanteile aufzugeben". Er kann sich daher vorstellen, dass die Preise innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre weiter in Richtung 50 bis 60 Dollar je Fass fallen. Dann aber werde es eng für viele Produzentenländer. "Die Gefahr neuer sozialer Unruhen im Nahen Osten wächst damit", ist Pletsar besorgt.

Dass die großen internationalen Ölkonzerne ihre Investitionen in die Ölsuche wegen des aktuellen Preisverfalls reduzieren, glaubt Pletsar nicht. "Die Großen fördern auch bei 80 Dollar und darunter weiter. Bei 50 bis 60 Dollar aber wird es auch für sie kritisch", betont er. Erst ‚bei diesem Niveau würde der Ölpreis daher nach oben drehen. "Das kann allerdings rasant gehen", befürchtet er.

Ausweg: Erneuerbare Energien

Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist für die IEA eine wichtige Entwicklung. 40 Prozent aller Kraftwerke weltweit müssten in den nächsten 20 Jahren aus Altersgründen durch neue ersetzt werden. "Das ist die große Chance für die erneuerbare Energie", glaubt Birol.

Die Hälfte des Zuwachses in der Stromproduktion bis 2040 soll die grüne Energie decken. "Sonnen- und Windstrom wird sich weltweit versechsfachen", prognostiziert der Ökonom.

Für den Klimaschutz ist Birol trotzdem nicht allzu optimistisch. "Die Welt bewegt sich langfristig auf eine Erwärmung um 3,6 Grad zu. "Dann können wir der Welt, wie wir sie bisher kennen, auf Wiedersehen sagen", befürchtet Birol.

Trügerische Ruhe auf dem Ölmarkt

Hier finden Sie den weltweit steigenden Energieverbrauch in einer interaktiven Grafik.

Pariser Thinktank

Die Internationale Energieagentur (IEA) wurde 1973/74 in Paris als Antwort auf die erste Ölkrise gegründet. 29 Staaten, darunter Österreich, sind Mitglieder der IEA. Mitglieder dürfen nur Länder werden, die auch Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) und Ölimporteure sind. Der „World Energy Outlook“, den die IEA jährlich erstellt, ist für die Staaten und Energieunternehmen die wichtigste Publikation im Energiebereich. Die IEA berät ihre Mitglieder auch in Energiefragen.

Die Energie-Prognose

Die IEA rechnet mit einer jährlichen Zunahme des Weltenergieverbrauchs um 1,1 Prozent pro Jahr oder 37 Prozent bis 2040. Angetrieben wird das Wachstum bis 2025 von China, danach von Indien. Öl und Kohle verlieren bis 2040 Anteile, erneuerbare Energien gewinnen.

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