Infineon-Chefin Herlitschka warnt vor USA und China
Die Europäer müssen ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Die jüngste Ansage von Angela Merkel könnte auch von Sabine Herlitschka stammen. Die Vorstandsvorsitzende von Infineon Österreich setzt sich KURIER-Interview für eine stärkere Europäisierung von Schlüsselindustrien ein.
KURIER: Die USA schränken mit protektionistischen Maßnahmen den Wettbewerb in der Chip-Industrie ein, China kauft sich mit Übernahmen Technologie ein. Wo bleibt Europa?
Sabine Herlitschka: USA und China spielen kräftig auf und Europa muss aufpassen, nicht auf der Zuschauertribüne zu landen. Die EU hat zwar die Mikroelektronik als systemrelevante Schlüsseltechnologie definiert, wir müssen aber auch die Konsequenzen daraus ziehen. Durch die Übernahme der niederländischen NXP durch Qualcomm gibt es in Europa nur noch zwei relevante Player in der globalen Halbleiter-Industrie – Infineon und STM. Aber Größe spielt in unserer Branche die zentrale Rolle. China setzt extrem auf Übernahmen. Die USA will wieder selbst Kompetenzen aufbauen und sieht Halbleiter als strategisches Feld.
Auch Infineon bekam das zuletzt zu spüren. . .
Ja, die Übernahme des US-Chipherstellers Wolfspeed wurde uns von den US-Behörden aus Gründen der nationalen Sicherheit verwehrt. Die nationale Sicherheit wird zur industriepolitischen Strategie. Die Übernahme von NXP durch Qualcomm oder des Roboterbauers Kuka durch China führte in Europa kaum zu strategischen Diskussionen. Wir haben in der EU keine Instanz, die auf die Einhaltung strategisch-wirtschaftlicher Interessen schaut.
Sollen Übernahmen strategisch wichtiger Unternehmen verhindert werden?
Wir bräuchten eine Instanz, die Übernahmen strategisch prüft. Wenn es um wesentliche industrie-politische Themen geht, soll Europa nicht einfach zustimmen. Wir halten in Europa den Wettbewerb noch immer sehr hoch, aber in den USA und China wird das in dieser Form nicht mehr gemacht.
Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
In Zeiten, in denen sich andere Regionen stärken, müssen wir auch stärker europäisch agieren.
Was heißt das konkret?
Wir müssen darauf achten, die Kompetenzen, die Innovation und die Wettbewerbskraft in Europa zu halten. Technologie und Innovation sind zu einem geopolitischen Faktor geworden. In der Wissensökonomie ist Innovation die neue Währung.
Soll auch wieder mehr Produktion nach Europa kommen?
Ja, mehr Kompetenzen und mehr qualitativ hochwertige Produktion, es muss beides sein. Es ist naiv zu glauben, nur die Produktion auszulagern und die Forschung zu behalten; mittelfristig wird die Forschung immer der Produktion folgen. Die wichtigste Frage ist: Wo steht das wesentliche Element der Wertschöpfung?
Apple oder Google setzen weltweit Standards. Braucht es ein europäisches Gegengewicht?
Ich rede jetzt nicht dem Protektionismus das Wort. aber wir müssen stärker Wertschöpfungsketten-orientiert agieren. Fairer Wettbewerb kann nicht heißen, dass wir ständig wichtige Kompetenzen verlieren.
Ist die Digitalisierung eine Chance für Europa?
Bei der Digitalisierung geht es nicht mehr um die billigsten Hände, sondern um die besten Köpfe. Europa hat dadurch erstmalig die Chance, hoch qualitative Jobs und Branchen zu stärken. Und die Digitalisierung kann einen ganz wesentlichen Beitrag zur Wertschöpfung in Europa schaffen. Inwiefern?
Wir haben jetzt die Chance, das in den USA geplante, globale Kompetenzzentrum für neue Halbleiter-Materialen nach Österreich zu bekommen. Da geht es um die künftige Halbleiter-Produktion mit Materialien wie Galliumnitrid oder Siliziumcarbid, um noch höhere Schaltfrequenzen zu erreichen. Das ist eine große Chance für den Standort Villach, an der wir aktuell intensiv arbeiten.
Wie wichtig ist Ihnen, dass geplante Maßnahmen wie Beschäftigungsbonus oder flexiblere Arbeitszeiten vor dem Sommer umgesetzt werden?
Infineon Villach gilt als Vorreiter der Digitalisierung. Wie haben sich die Jobs in den vergangenen Jahren verändert?
Wir haben in den letzten zehn Jahren unseren Akademikeranteil nahezu verdoppelt. Zugleich sind neue Berufe entstanden wie etwa der Big-Data-Experte oder der Data Scientist, die sich mit den Fragen der Datenauswertung befassen, um in Echtzeit daraus Rückschlüsse für die Produktion zu gewinnen. Wir haben auch Control Center Technicians, das sind Experten, die an Leitständen sitzen und die gesamte Produktion überblicken und steuern.
Wird die Steuerung der Produktion nicht irgendwann auch von Robotern übernommen?
In 50 Jahren vielleicht, keine Ahnung. Aber heute haben wir einen großen Bedarf in diesem Bereich. Wir brauchen auch Qualifikationen, in denen es um die Interaktion zwischen Maschine und Mensch geht, zum Beispiel Roboter-Koordinatoren. Und es braucht Experten, um die Systeme weiterzuentwickeln.
Welche Jobs fallen weg?
Niederqualifizierte Tätigkeiten fallen zunehmend weg, angelernte Hilfskräfte etwa. Wir schauen uns sehr strukturiert an, welche Qualifikationen wir haben und welche wir in Zukunft brauchen werden und gestalten so unsere Aus- und Weiterbildung. Einfach zu schauen, was kommt, reicht da schon lange nicht mehr.
Was können sich andere Betriebe von Infineon abschauen?
Frühzeitig schauen, in welche Richtung die Entwicklung geht. In unserer Branche ist man entweder ganz vorne dabei oder man hat es extrem schwer, deshalb hat die Digitalisierung bei uns schon viel früher begonnen. Aus- und Weiterbildung hat daher einen ganz anderen Stellenwert. Wir haben etwa Lernpartnerschaften im Unternehmen, wo wir erfahrene und junge Mitarbeiter zusammenspannen. Da gilt es, den Erfahrungsschatz der Älteren mit dem neuen Wissen bestens zu verknüpfen. Durch die Digitalisierung wird auch die Weiterbildung individueller und vernetzter.
Konzern
Infineon ist mit einem Umsatz von 6,47 Mrd. Euro und mehr als 36.000 Mitarbeitern weltweit einer der führenden Entwickler und Hersteller von Hochleistungs-Chips. Aktuelle Kernbereiche sind Elektromobilität (Fahrassistenz-Systeme), Energieeffizienz und Sicherheit (Pässe, Ausweise).
Infineon Österreich
Sabine Herlitschka (51) ist seit 2014 Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG mit 3600 Mitarbeitern an fünf Standorten, davon 3044 am zentralen Forschungs- und Produktionsstandort in Villach.
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