Industriestandort Wien ist laut Wirtschaftskammer "sehr teuer"
Wien gilt als Industriestandort vor allem wegen der hohen Lebensqualität und der guten Infrastruktur als attraktiv. Als nachteilig empfinden Unternehmer die hohen Lohnkosten, Grundstücks- und Mietpreise. Das geht aus einer Umfrage unter 172 Industriebetrieben hervor, die knapp ein Drittel des Sektors repräsentieren. Die Erhebung führt das Gallup-Institut im Auftrag der Wirtschaftskammer Wien im Zwei-Jahres-Rhythmus durch, zuletzt Ende 2020.
Unabhängig von der Coronapandemie schätzt demnach jeder zweite Industriemanager die internationale Erreichbarkeit über den Flughafen, aber auch die allgemein gute Verkehrsinfrastruktur und die Lebensqualität Wiens - 2018 waren es erst 38 Prozent.
"Immer mehr unserer Betriebe sehen auch in der Nähe zu Forschungs- und Ausbildungszentren und im breiten Angebot an industrienahen Dienstleistungen in Wien wesentliche Standortvorteile", erklärte der Obmann der Sparte Industrie in der Wirtschaftskammer Wien, Stefan Ehrlich-Adam, am Dienstag in einer Aussendung.
Bei den Standortnachteilen stehen den Angaben zufolge hohe Lohnkosten sowie hohe Grundstücks- und Mietpreise ganz oben, gefolgt von mangelndem Verständnis der Behörden für Industrie-Anliegen, das 40 Prozent der Betriebe beklagen. Der Punkt "Anrainerprobleme" legte in der Umfrage um zehn Prozentpunkte auf 29 Prozent zu - "ein Zeichen, dass das Nebeneinander von Leben und Wirtschaften in einer Großstadt eine beständige Herausforderung ist", so Ehrlich-Adam.
Als nicht mehr so wichtig erachtet wird laut Umfrage die Hauptstadtfunktion Wiens. Auch die Wertigkeit der Metropole als "Tor zum Osten" gehe zusehends zurück: Nur noch 40 Prozent (2018: 52 Prozent) erachten die räumliche Nähe Wiens zu den östlichen EU-Ländern als Vorteil, nur noch 20 Prozent (2018: 28 Prozent) die Nähe zu anderen Ostmärkten.
Die Stadt und die Wirtschaft müssten die historisch gewachsenen Beziehungen zu den Ostmärkten beispielsweise über gemeinsame Wirtschaftsmissionen weiter pflegen, so der Spartenobmann. Mit dazu gehöre auch der Ausbau der Verkehrsverbindungen mit besonderem Augenmerk auf die verfügbaren Flugverbindungen.
Industrie will Investitionen trotzdem erhöhen
Verbesserungen gab es laut Wirtschaftskammer Wien betreffend Bürokratie, die aber immer noch stark kritisiert wird: 39 Prozent der Industriebetriebe sehen darin einen Standortnachteil - 2018 waren es mit 48 Prozent aber noch deutlich mehr. Der Umfrage zufolge denken auch weniger Betriebe an Abwanderung - nur noch ein Achtel der Unternehmen denke über die Verlagerung von Firmenteilen nach. Das sei weniger als in den vergangenen Jahren. Das gemeinsame Bemühen von Wirtschaft und Stadt Wien, die Verwaltung unternehmerfreundlicher zu machen und der produzierenden Wirtschaft Betriebsflächen zu sichern, mache sich bezahlt, meinte Ehrlich-Adam.
Trotz Corona und wirtschaftlicher Unsicherheit gab ein Viertel der Industriebetriebe zum Befragungszeitpunkt an, seine Investitionen gegenüber dem Jahr davor erhöhen zu wollen. Fast die Hälfte (47 Prozent) will gleich viel Geld in die Hand nehmen. "Das zeigt, dass unsere Betriebe gut aufgestellt sind und mit Umsicht und Optimismus ihre Zukunft planen", sagte Ehrlich-Adàm. Investitionspläne gebe es vor allem für technische Anlagen und Maschinen.
Zwei Drittel der Industriebetriebe wollen die Lehrlingsausbildung verstärken. Mit Ende März gab es in der Wiener Industrie der Wirtschaftskammer zufolge um 7,7 Prozent mehr Lehrlinge als im März 2020. Auch die Zahl der Lehranfänger sei gestiegen. Aktuell läuft eine Lehrlingskampagne der Sparte Industrie, mit der Nachwuchs für Herbst gesucht wird: www.erfolgslehre.at. Die Kommunalsteuer für Lehrlinge ist laut Ehrlich-Adam "kontraproduktiv". Die Stadt Wien solle auf deren Einhebung verzichten. "Ausbildungsbetriebe brauchen gerade jetzt Unterstützung und Anerkennung - dieser Schritt wäre ein positives Signal."
In Wien sind den Angaben der Kammer zufolge 600 Industriebetriebe in 16 Bereichen tätig - von der Elektro- über die Lebensmittel- und Bauindustrie bis zur Metalltechnik, Fahrzeug- und Chemischen Industrie. Die Unternehmen beschäftigen rund 55.000 Mitarbeiter und bilden mehr als 900 Lehrlinge aus. Insgesamt sichere die Industrie - direkt und indirekt - 120.000 Arbeitsplätze in der Stadt und produziere jährlich Waren im Wert von 22 Mrd. Euro.
Kommentare