Industrie 4.0 erfordert "komplett neue Denkweise"
Die Digitalisierung verschont auch das stille Örtchen nicht. Im Gegenteil: Ein Waschraum bietet jede Menge Platz für Hightech. Die Salzburger Sanitärfirma Hagleitner stattete die WC-Anlagen in der Münchner Allianz Arena mit Sensoren aus. Diese registrieren, wie viele Personen hinein- und hinausgehen, ob genug Seife oder Duftstoff in den Spendern ist und wie es um die Handtücher bestellt ist. Die Sensoren schicken die Daten direkt an die Basis-Station, wo mittels einer SAP-Lösung Wartung und Einsatz von Reinigungspersonal optimal geplant werden kann.
Weit fortgeschritten ist die Digitalisierung im Handel. Der global vernetzte Kunde nutzt Bewertungen und Empfehlungen anderer Käufer in sozialen Netzwerken und bestimmt selbst mit, wie und wann er ein Produkt haben will. Bei Nike etwa kann Farbe und Design des Sportschuhs selbst ausgewählt werden. Die britische Luxusmarke Burberry ermöglicht es Käufern, schon während einer Fashionshow die soeben präsentierte Mode im Webshop zu erwerben.
Beispiele, die zeigen, wie sehr die Schlagwörter "Internet der Dinge" oder "Industrie 4.0" die Geschäftswelt verändern. "Industrie 4.0 ist weit mehr als nur die nächste 3-D-Anwendung", erläutert Klaus Schmid, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Cap Gemini in Österreich. Die Digitalisierung der Fertigungsprozesse bedeute eine komplett andere Denkweise. "Man muss den gesamten Wertschöpfungsprozess eines Produktes verstehen und ihn digital abbilden können." Für den Produzenten bedeute dies vor allem eine Öffnung nach außen; verstehen, wie Kunden und Konsumenten ticken und sie voll integrieren. Die Produzenten seien mehr denn je gefordert, sich zu fragen: "Was ist der Nutzen meines Produkts?"
Nachholbedarf
Unternehmen würden zwar jetzt schon diverse Technologien wie soziale Netzwerke (Facebook, Twitter), mobile Kommunikation und Business Analytics einsetzen. Allerdings sei es bisher nur wenigen gelungen, tatsächlichen Mehrwert aus dieser teilweisen Digitalisierung zu erzielen. Anders als der Handel oder die Hightech-Branche hinke die Fertigungs-Industrie bei der Digitalisierung ohnehin hinterher, meint Schmid. Er zitiert aus einer Cap-Gemini-Studie, wonach erst 54 Prozent aller Industriebetriebe ihren Fertigungsprozess voll automatisiert hätten.
Dass Industrie 4.0 ein Jobkiller ist, glaubt der Berater nicht. Es würden sich aber die Aufgaben verändern. "Die Digitalisierung kann sogar ein Nährboden für neue Jobs sein". Unternehmen hätten die Chance, sich durch Produktinnovationen oder Individualisierung von Massenprodukten von den Mitbewerbern zu unterscheiden. Das gelte besonders für kleinere, innovative Unternehmen.
Befürchtungen in Europa, dass die großen US-Internet- und "Big Data"-Konzerne Google oder Apple auch Industrie 4.0 dominieren werden und Industriebetriebe zu reinen Zuliefer-Betrieben für die Multis verkommen, teilt Schmid nicht. "Große Monokulturen funktionieren nicht, dafür ist die Welt zu bunt und diverse Marken viel zu stark."
Um die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Betriebe in puncto Industrie 4.0. zu fördern, stellt die Regierung für Investitionen in neue Maschinen sowie Hard- und Software bis Ende 2015 ein Fördervolumen von 250 Millionen Euro zur Verfügung. Auch der geförderte Ausbau von Breitband-Internet soll die Digitalisierung beschleunigen.
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