Das Angebot an alternativen Wohnformen für Ältere wächst

Veronika K. lebt im Mehrgenerationen-Haus "Wohnprojekt Wien"
Fünf Senioren erzählen, wie sie im Alter nochmals umziehen und das Wohnen neu gestalten.

Ein Röntgenbild und einen Flyer für einen Konzertabend im Theater in der Josefstadt – das sind zwei Requisiten, mit denen Inge L. öfter anzutreffen ist. Die 85-Jährige lebt in der „Residenz Josefstadt“. Die exklusiven Seniorenapartmens bieten ein Service wie in einem Fünf-Sterne-Hotel, eine angeschlossene Pflegeabteilung und viele Begegnungen mit anderen Bewohnern. Und gerade diese sind Inge L. wichtig: Ihr Mann verstarb vor sechs Jahren und alle drei erwachsenen Töchter leben im Ausland. So beschloss sie, ihre Wohnung in Döbling aufzugeben und noch einmal umzuziehen. Das war vor einem Jahr. „Der Kontakt mit den anderen Bewohnern ist herrlich. Wir gehen gemeinsam zu Generalproben ins Theater, es gibt regelmäßiges Seniorenturnen und gemeinsame Feste,“ sagt sie. „Ich lebe hier sehr selbstbestimmt und niemand wird zur Teilnahme an Aktivitäten gezwungen.“

Das Angebot an alternativen Wohnformen für Ältere wächst

Bewohner der Senioren-Residenz Josefstadt

Rund 250.000 Senioren, also Menschen über 65 Jahre, leben derzeit in Wien. Tendenz steigend. Im Durchschnitt wohnt jeder Dritte von ihnen allein, bei Hochaltrigen (über 80 Jahre) ist der Anteil noch viel höher. Doch gerade im Alter ist es bedeutsam, wie und wo man wohnt. Wenn Menschen sich schwieriger fortbewegen können, gesundheitliche Probleme haben oder sich schlicht einsam fühlen, sind Sozialkontakte in der Nähe wesentlicher als in jungen Jahren.

Die Möglichkeiten an alternativen Wohnformen für Ältere steigen aus diesem Grund seit Jahren: Mehrgenerationen-Häuser, Senioren-WGs, betreute Wohnanlagen und Seniorencluster sind heute kein Angebot für die Generation „Alt 68er“ mehr, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. „Die meisten älteren Menschen möchten so lange wie möglich selbstständig in ihren eigenen vier Wänden leben. Neue Wohnformen sind daher sehr gefragt“, sagt Isabella Jandl vom Wohnservice Wien.

Ein Schwerpunkt der Stadt Wien in der Wohnbauförderung ist das „Generationenwohnen“. Das sind Häuser, in denen Alt und Jung bunt gemischt zusammenwohnen und es räumliche Möglichkeiten für Treffen gibt. In solch einem Mehrgenerationen-Haus lebt seit 2013 auch Veronika K. Nach dem Leben in einer Großfamilie mit drei Söhnen und Stiefkindern in Salzburg war ein Leben allein auf längere Frist für sie nicht vorstellbar. So zog sie in das „Wohnprojekt Wien“ in Wien-Leopoldstadt, wo 65 Erwachsene mit 35 Kindern gemeinschaftlich zusammenwohnen. Das Haus wurde gefördert errichtet und so ist die Miete mit 9,50 Euro pro Quadratmeter warm gut leistbar.

Veronika K. hat darin eine kleine Wohnung mit Blick in einen Park und nutzt viele Gemeinschaftsflächen des Hauses wie eine Sauna am Dach, eine Bibliothek oder eine Gemeinschaftsküche mit. Auch ihre Schwiegertochter mit drei Kindern lebt in einer anderen Wohnung im Haus. Die 66-Jährige genießt es, wenn Kinder durchs Haus jagen oder die Nachbarin spontan auf einen Kaffee kommt. „Ich mag es, junge Menschen um mich zu haben. Ich habe das Gefühl, am Zeitgeist dran zu bleiben und nicht verloren zu gehen“, sagt Veronika K.

Doch wo verläuft die Grenze zwischen Jung und Alt? Obwohl Menschen am Arbeitsmarkt heute schneller als „alt“ abgestempelt werden, sprechen Soziologen von einer „Verjüngung des Alters“. Subjektiv fühlen sich die meisten Menschen erst ab 80 Jahren wirklich alt. Daher verlagern sich die Anforderungen an altersgerechtes Wohnen bei Pflegebedürftigkeit und körperlicher Beeinträchtigung in die Hochaltrigkeit. Die Phase davor ist eher eine Zeit des „aktiven Alterns“, wo die meisten Menschen noch offen für neue Erfahrungen und Kontakte sind – man möchte noch etwas erleben und nicht interesselos vereinsamen. Denn wie sagte schon die Modeikone Coco Chanel? „Altern schützt vor Liebe nicht.“

Das Gefühl von Einsamkeit ist dabei eine der größten Herausforderungen. Laut einer Studie von Silver Living, Anbieter für betreute Wohnanlagen, haben in Österreich die Hälfte aller älteren Menschen Angst, zu wenig Freunde und Bekannte zu haben. Doch Freundschaften und Nachbarn sind für Ältere wichtig. Denn immer weniger Senioren leben mit ihren Kindern an einem Ort. Laut dem „Siebten Altenbericht“ (2016) ist zwischen 1996 und 2008 der Anteil der 40- bis 85-jährigen Eltern, deren Kinder in der Nachbarschaft oder am gleichen Ort wohnen, von 55 auf 45 Prozent gesunken. Diese Tendenz dürfte sich in den vergangenen Jahren aufgrund steigender Mobilität der Berufstätigen noch verschärft haben. Und heute ist erwiesen, dass Alleinsein ernsthafte gesundheitliche Schäden hervorrufen kann. Kurzum: Einsamkeit macht krank.

Das Angebot an alternativen Wohnformen für Ältere wächst

Maria S. bei der Turnstunde in der Silver Living-Wohnanlage in Mödling

Mit der Einsamkeit hatte auch Maria S. zu kämpfen. 30 Jahre lang war sie Geschäftsfrau, hat zwei erwachsene Söhne und war „immer am Tun“, wie sie sagt. Nach einem Unfall beim Putzen eines Spiegels bekam sie ein künstliches Gelenk und konnte sich von heute auf morgen nur mehr eingeschränkt bewegen. „Es war so schlimm, dass ich eine schwere Depression bekam“, erzählt die 74-Jährige.Da wurde ihr klar, dass sie etwas ändern müsse. Sie schaute sich in ihrer Heimatstadt Mödling in Niederösterreich um und fand eine betreute Wohnanlage des Anbieters Silver Living. Vor zweieinhalb Jahren bezog sie ihre 53 Quadratmeter große Wohnung mit einer Terrasse. Insgesamt gibt es in der Anlage 35 Wohneinheiten, die barrierefrei sind, einen großen Garten und zwei Gemeinschaftsräume. Seit dem Einzug geht es Maria S. wieder besser.

Zwei Betreuerinnen sind abwechselnd für die Bewohner und ihre Anliegen da – bei gesundheitlichen Fragen stellen sie Kontakt zu Ärzten und Experten her. Vor allem aber organisieren sie Aktivitäten für die Bewohner: Turnen, Gedächtnistraining, Ausflüge, Kaffeekränzchen.

Daneben hat sich eine gesellige Hausgemeinschaft entwickelt. „Ich organisiere sehr gerne die Geburtstagsfeste. Bei der nächsten Feier machen wir eine Überraschungs-Pyjama-Party und anschließend einen Brunch“, lacht Maria S. „Und wir halten zusammen, wenn es darauf ankommt.“

Der Immobilienentwickler Silver Living ist derzeit der größte private Anbieter für betreutes Wohnen in Österreich. Mittlerweile hat das Unternehmen rund 50 Anlagen unterschiedlicher Größe – vor allem in ländlichen Gebieten. Je nach Bundesland und Förderungsstruktur kosten die Wohnungen unterschiedlich viel. In der Steiermark etwa können sich auch Mindestpensionisten eine Wohnung, die dort nach Abzug der Förderung durch das Land rund 350 Euro Miete kostet, leisten. In Mödling kommt eine rund 50 Quadratmeter große Wohnung auf gut 900 Euro. „Für fast alle ältere Menschen ist die Leistbarkeit des Wohnens ein Thema“, sagt Silver Living-Geschäftsführer Walter Eichinger.

In den Anlagen von Silver Living können Bewohner bis zur 3. Pflegestufe bleiben, darüber hinaus kann bei Bedarf eine 24-Stunden-Betreuung organisiert werden. Doch manchmal sind es nur kleine Gebrechen, bei denen die Anwesenheit anderer Personen in der Nähe enorme Sicherheit gibt.

So wie in der Senioren-Wohngemeinschaft in Simmering. Die Wohnung für sieben Personen ist eine vom Hilfswerk betrieben WG. Jeder Bewohner hat ein eigenes Zimmer mit Balkon, geteilt werden Badezimmer, Küche- und Wohnzimmer. Das Hilfswerk stellt eine „WG-Betreuerin“ zur Verfügung, die sich um organisatorische Dinge wie Reparaturen kümmert und Ausflüge oder mal einen Abend mit Fußballschauen und Pizzaessen auf die Beine stellt. Auch wenn es Konflikte gibt, hilft sie bei der Lösung. Es gibt ein Reinigungsservice und je nach Betreuungsbedarf erhalten die Bewohner Unterstützung durch eine Heimhilfe. „In die WG kommt die gleiche Heimhilfe für alle. Dadurch können Wegzeiten gespart werden und die Heimhilfe hat dann auch mal Zeit, dass sie länger bleibt oder eine Suppe kocht,“ sagt Julia Gaviano vom Hilfswerk.

Das Angebot an alternativen Wohnformen für Ältere wächst

Hilfswerk-Senioren-WG in Simmering

In der Senioren-WG wohnt auch Judith S. Nachdem ihr Mann verstarb und es mit ihrem Fuß schlechter wurde, meinte ihre Tochter, dass es alleine nicht mehr gehe. Doch in ein Pflegeheim wollte sie nicht. „Da sind mir zu viele Leute“, erzählt sie. „Dann habe ich mir die Wohngemeinschaft angesehen und die Leute waren sehr nett hier. Es hat gepasst.“

Freilich dauerte es eine Zeit, bis sich Judith S. in der Gruppe mit den neuen, fremden Menschen zurechtfand. Und wie in jeder Gruppe gibt es auch in der Senioren-WG Alphatiere und zurückhaltendere Menschen. „Wir haben uns aber aneinander gewöhnt und jeder hat seine Aufgaben in der Wohnung“, sagt sie.

Manchmal ist auch Raimund S. zu Besuch. Er wohnt in einer anderen Senioren-WG in Wien-Wieden. Aufgrund einer Erkrankung muss er manchmal Medikamente mit starken Nebenwirkungen schlucken. „Ich liebe die Freiheit in der Wohngemeinschaft. Ich kann kommen und gehen wann ich will“, sagt er, „aber ich bin sehr froh, dass jemand da ist, wenn es mir nicht so gut geht.“

In der Senioren-WG wird gegenseitige Hilfe großgeschrieben. „Kürzlich habe ich gemerkt, dass es einer anderen Bewohnerin nicht gut geht. Sie wollte aber nicht die Rettung rufen. So habe ich mich einfach um sie gekümmert,“ erzählt Raimund S., „auch die anderen würden mir helfen. Darüber gibt es ein Grundverständnis.“

Der Trend geht auch beim Seniorenwohnen – so wie in vielen anderen Bereichen – Richtung Digitalisierung und Hightech. Neue technische Hilfsmittel wie Sensorsysteme kommen dabei zum Einsatz. Das System erkennt automatisch, wenn ein Mensch beispielsweise stürzt und gibt einen Notruf ab. Derartige technischen Entwicklungen werden den Betreuungsmarkt revolutionieren, sind sich Experten einig.

Im Mehrgenerationen-Haus bei Veronika K. ist von solchen technischen Trends keine Rede. Hier steht die persönliche Begegnung der Bewohner im Mittelpunkt. Und wenn es jemandem nicht gut geht, kommen Nachbarn gerne mit Essen und Einkäufen vorbei. Veronika K. sagt: „Außerdem mag ich Menschen sehr gerne und flirte auch mal gerne mit jüngeren Männern.“

Kommentare