Ohne Barrieren, bitte
Der ÖZIV hat vor einigen Jahren das Angebot Access entwickelt. Wie kam es dazu?
Rudi Maisriml: Wir beschäftigen uns mit dem Thema Barrierefreiheit im baulichen, gestalterischen, sozialen und kommunikativen Bereich. Wir haben eine Querschnittsaufgabe. Zehn Prozent in Österreich sind auf Barrierefreiheit angewiesen, dreißig Prozent, etwa Familien mit Kinderwägen oder ältere Personen, benötigen sie auch. Und 100 Prozent würden sich darüber freuen, weil der Alltag wesentlich komfortabler und leichter zu bewältigen wäre.
Peter Noflatscher: Das Problem wird meist nur auf Rollstuhlfahrer reduziert. Eine Rampe allein bedeutet nicht gleich Barrierefreiheit. Es ist ein Puzzlestück von vielen.
Access bildet Berater aus, die Bauträger und Architekten beim Thema barrierefreies Bauen unterstützen sollen. Wie kam es zu dieser Idee?
Sie sind eine der ersten Absolventen des Lehrgangs. Warum haben Sie sich dazu entschlossen mitzumachen?
Monika Schmerold: Einerseits haben mich die Bereiche Technik und Bauwesen schon immer interessiert und andererseits ist es für mich als Rollstuhlfahrerin ein großes und vor allem ein alltägliches Thema. Ich selbst biete meine Beratungen in Salzburg an und die Nachfrage steigt. Viele sind verblüfft, wenn sie merken, welche Bereiche es noch abzudecken gilt.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Bauträgern, Architekten und Bauherrn?
Schmerold: Bei vielen fehlt die Bereitschaft. Von Architekten höre ich oft, es ist nicht mit Design vereinbar und zudem kostet es mehr. Oder: ,Wir müssen schon so viele Auflagen berücksichtigen. Jetzt auch noch Barrierefreiheit, das ist zu viel.’ Es kommt darauf an, wie intensiv man diskutiert und wie offen das Gegenüber ist.
Ist das Thema Barrierefreiheit das unverstandene Kind der Baukultur?
Schmerold: Eigentlich schon. Wenn bei einem Eingang Rampe und Stufen vorhanden sind, wird von allen Benutzern vorwiegend die Rampe benutzt. Vom Fußgänger angefangen bis hin zur Mutter mit Kinderwagen. Der Mensch wählt automatisch den einfacheren Weg, aber diese Botschaft ist in der Bauwirtschaft noch nicht angekommen.
Im Wohnbau gibt es bereits viele gut gelöste Projekte. Gibt es dennoch Fehler?
Schmerold: Bäder werden zwar groß gestaltet, aber meist wirkt sich das auf Kosten der Restwohnung aus. Das muss nicht sein. Eine bodenebene Dusche und Duschwandtüren, die nach innen zur Wand weggeklappt werden können, wären eine platzsparende Lösung. Der Duschboden dient dadurch gleichzeitig auch als zusätzlicher Bewegungsraum.
Noflatscher: Zu geringe Durchgangsbreiten oderfalsch gestaltete Handlaufdurchmesser sind Klassiker, die meist vergessen werden. Vieles ist oft gut gemeint, aber leider nicht ausreichend.
Was stört Sie persönlich am meisten?
Schmerold: Argumente wie: „Rollstuhlfahrer werden eh im Erdgeschoß untergebracht.“ Damit ist die Diskussion eines Lifteinbaus erledigt. Aber was mache ich, wenn ein Bekannter im vierten Stock wohnt, ich ihn besuchen möchte und kein Lift da ist? Das schränkt meine Lebensqualität ein und ich kann diesen Bekannten nicht besuchen. Stellen Sie sich vor, Sie leben jahrelang in einer Wohnung im dritten Stock. Was machen Sie, wenn Sie älter werden und die Stufen nicht mehr benutzen können? Sie müssten umziehen.
Das kann es doch nicht sein, oder?
Noflatscher: Den demografischen Wandel können wir nicht von der Hand weisen. Wenn man hier nicht endlich anfängt, mitzudenken, kann es auf dieser Ebene nur Verlierer geben. Der Kostenpunkt als einziges Gegenargument wird auf Dauer nicht halten.
Was wird wieder zurückgenommen?
Becker-Machreich: Konkret geht es um die Themen Lifteinbau, Bewegungsflächen und Handläufe. Parallel dazu wird uns in dem aktuellen Staatenbericht der UN vorgeworfen, dass in Österreich für das Thema weder das Bewusstsein noch Sensibilität vorhanden ist. Behinderte Menschen werden oft wie Bittsteller behandelt, doch sie haben ihre Rechte und fordern diese auch.
Welche Maßnahmen würden Sie sich zusätzlich noch wünschen?
Noflatscher: Zugänge zum Gebäude sind auch ein wichtiger Punkt. Wie komme ich vom Parkplatz zum Gebäude? Stufen, Schotterwege oder Rasensteine werden hier schnell zu Stolpersteinen.
Maisriml: Schwellen sind auch ein Thema. Die ÖNORM schreibt eine maximale Höhe von 2 cm im Innenbereich und 3 cm im Außenbereich vor. Es stellt sich die Frage, ob man hierfür vielleicht eine andere Lösung finden könnte. Balkone und Terrassen können oftmals von Menschen mit Behinderungen aufgrund der Niveauunterschiede nicht genutzt werden.
Welche Aussagen können Sie in Bezug auf das Thema nicht mehr hören?
Schmerold: Wenn ich Hotels besuche, höre ich oft: „Na, wir heben Sie doch gerne darüber und helfen Ihnen.“ Doch es überlegt sich keiner, dass ich als Mensch solche Dinge auch alleine bewältigen möchte. Ich möchte vielleicht nicht immer mit einer Begleitperson unterwegs sein müssen.
Maisriml: Hier sind wir auch bei der richtigen Definition von Barrierefreiheit angelangt: Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
Welche Gruppe wird noch am wenigsten berücksichtigt?
Maisriml: Gehörlose und sehbehinderte Menschen kommen meist zu kurz. Möblierungen im öffentlichen Raum sind ein wichtiger Punkt. Wenn ein Händler mitten am Gehsteig eine Tafel positioniert und damit Bodenmarkierungen, an denen sich Blinde mit dem Langstock orientieren, verstellt. Die Bevölkerung muss darüber Bescheid wissen, welche Konsequenzen das für Betroffene hat.
Rammel: Ein positives Beispiel ist die U-Bahn. Wenn sich die Türen schließen, gibt es ein akustisches und visuelles Signal, das wäre auch in anderen Bereichen notwendig.
Schmerold: Die Sprachausgabe bei Liften ist noch ausbaufähig.
Becker-Machreich: Viele wissen auch nicht, dass das taktile Leitsystem für blinde Menschen ist. Hier fehlt Aufklärungsarbeit. Ein taktiles Leitsystem in der ganzen Stadt wie etwa in Japan wäre wünschenswert. Hier hat man ein System entwickelt, das die wichtigsten Gebäude der Stadt verbindet.
Einfach toll.
Schmerold: Piktogramme, die klar verständlich sind, wären hier wichtig. Doch auch das würde uns allen helfen. Ihnen bestimmt auch.
Der Einbau eines Treppenlifts oder die Umgestaltung eines Badezimmers kosten viel Geld. Einen Teil dieser Ausgaben kann man sich vom Finanzamt zurückholen. Monika Seywald, Steuerberaterin und Partnerin bei TPA Horwath in Wien, erklärt, wie das geht:
Ausgaben können nur dann als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, wenn zum Zeitpunkt des Umbaus bereits eine Beeinträchtigung oder Krankheit vorliegt. Man braucht dafür auch eine Bestätigung vom Arzt. Wer also Stiegen steigen kann, aber im Zuge eines Hausbaus oder einer Renovierung vorausschauend einen Treppenlift einbauen lassen möchte, kann diese Aufwendungen nicht absetzen.
Auch im Rahmen der Sonderausgaben können Sanierungs- und Herstellungsaufwendungen geltend gemacht werden. „Man kann nur Aufwendungen von maximal 2920 Euro pro Jahr als sogenannte Topfsonderausgaben absetzen. Da in diesen Topf auch andere Dinge wie Zusatzversicherungen fallen, kommt dabei nicht viel heraus“, erklärt Seywald. Um Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen steuerlich geltend zu machen, muss man eine Einkommenssteuererklärung bzw. eine Arbeitnehmerveranlagung erstellen. Für Letzteres hat man fünf Jahre Zeit. Wer sich nicht jedes Jahr damit beschäftigen will, kann also die Formulare auch nur alle fünf Jahre ausfüllen. Übrigens: Auch Pensionisten können eine Arbeitnehmerveranlagung machen und sollten diese Chance nützen, wenn sie ihr Zuhause barrierefrei adaptiert haben.
Der ÖZIV wurde 1962 durch den Zusammenschluss von einzelnen Selbsthilfegruppen gegründet und ist heute eine der größten Behinderten-Organisationen Österreichs.
Infos unter: www.oeziv.org/access oder Tel. 01/513 15 35-36
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