Architektur: So schön kann Schule sein
Im Foyer türmen sich Kartonschachteln, Kabel werden verlegt und im Turnsaal packen ein paar Sportlehrer angelieferte Turngeräte aus. In den nächsten Tagen soll alles fertig sein in der neuen AHS Wien West in Penzing. „Endlich haben wir mehr Platz, sodass individuelles Arbeiten möglich ist“, sagt Direktor Robert Parma, „und der Unterricht kann sogar unter freiem Himmel im Innenhof stattfinden.“
Mehr als eine Million Schüler geht ab kommenden Montag wieder in den Unterricht. Manche, wie jene im Sportgymnasium in Penzing, werden in einem brandneu gebauten Haus starten und damit möglicherweise auch eine ganz neue Form des Lernens erfahren. Denn die Architektur neuer Schulbauten hat so gar nichts mehr von der Enge und Bedrohlichkeit der Schulen von früher. Während es damals als revolutionär galt, einen Sesselkreis zu machen, sind Schulen von heute so geplant, dass sie neue Unterrichtsansätze geradezu herausfordern: Wohnliche Gänge, viele Freiräume, flexible Möbel und „mobile“ Klassen. „Je mehr die Architektur ermöglicht, desto leichter ist es für die Pädagogen, den Unterricht nach ihren Vorstellungen zu gestalten“, sagt Paul Fürst vom Wiener Architekturbüro PPAG.
Rund 5800 Schulen gibt es in Österreich. Davon stehen gut 400 im Eigentum der Bundesimmobiliengesellschaft, der Rest gehört Ländern, Gemeinden und privaten Institutionen. Die BIG hat im jährlichen Schnitt zwischen zehn und 20 große Schulbaustellen: Neubauten, Umbauten und Sanierungen. „Bei unseren Schulprojekten versuchen wir gemeinsam mit der Unterrichtsverwaltung neue Raumsituationen und angenehme Atmosphären zu schaffen“, so BIG-Sprecher Ernst Eichinger.
Bei den Kleinsten in der Volksschule geht es darum, mithilfe der Architektur Angst vor der Schule zu nehmen und Stresssituationen zu verringern. In der Planung von neuen Schulgebäuden wird daher auf kleine Strukturen geachtet. Gerade, wenn die Schule insgesamt sehr groß ist, wie beispielsweise der neue Bildungscampus im Sonnwendviertel beim neuen Hauptbahnhof Wien.
Seit 2014 ist der Campus für null- bis 14-Jährige in Betrieb und ist für elf Kindergartengruppen, 17 Klassen der Ganztagesvolksschule und 16 Klassen der Neuen Mittelschule ausgelegt. Dazu gibt es einen großen Außenbereich. Rund 1100 Kinder und 200 Pädagogen besuchen das Gelände täglich.
Damit diese große Dimension die Kinder nicht überfordert, hat das Architekturteam von PPAG die räumliche Struktur auf einen überschaubaren und dörflichen Charakter in Form eines Cluster-Systems heruntergebrochen: Vier Klassen sind jeweils um einen Multifunktionsraum angeordnet. Dort können die Kinder spielen, laufen und lernen. Die klassische Gang-Klassen-Struktur gibt es nicht. Die Erschließungsflächen wie Gänge sind möbliert und können von den Kindern benutzt werden. „In den Multifunktionsräumen ist es sehr wohnlich. Die Schule ist daher eher eine Wohn-Schule“, so Architekt Paul Fürst.
Beim Bildungscampus Sonnwendviertel sollte außerdem der Frontal- vom Projektunterricht abgelöst werden. Dazu brauchte es eine Alternative zu den sogenannten „gerichteten“ Schultischen mit Bankfach, die nur in eine Richtung, nämlich meist nach vorne, angeordnet werden können. Die Architekten entwarfen daraufhin einen Tisch für drei Kinder, der Frontalunterricht erschwert. „Die Lehrer waren anfangs irritiert darüber, wie sie die Tische nutzen sollen. Aber das klärte sich schnell auf“, so Fürst.
Die Stadt Wien, der rund 384 Schulen gehören, investiert aufgrund des großen Bevölkerungswachstums derzeit hohe Summen in den Ausbau des Schulsystems. Jährlich werden rund 100 neue Bildungsräume (Klassen, Projekträume, Turnsäle) errichtet. Das gelingt durch Neubauten, auch durch Zubauten und Sanierungen. Patrick Timmelmayer von der MA 56 sagt: „Alleine heuer finden an rund 100 Schulen Sanierungsarbeiten statt.“
Noch einen Schritt weiter ist die Gemeinde Hallwang in Salzburg bei der Planung der neuen Volksschule gegangen: Die neun Klassenräume sind komplett aus unbehandeltem Holz, was eine behagliche Atmosphäre erzeugt. „Gerade Kinder sind auf Materialien sehr sensibel. Wir wollten keine sterilen, sondern sinnliche Oberflächen“, erzählt Thomas Lechner von LP architektur.
Manche seit Jahrzehnten gängigen Raumaufteilungen wurden hinterfragt. Etwa die Zentralgarderobe. „Eine zentrale Garderobe für alle Kinder erzeugt in der Regel sehr viel Unruhe und Stress bei den Kindern“, sagt Lechner, „daher sind die Garderoben nun vor den Klassenzimmern.“
Die Schule ist eines von mehreren Projekten, das derzeit für den renommierten Bauherrenpreis 2018 nominiert ist. Doch auch ohne Auszeichnung funktioniert sie seit einem Jahr bestens. Thomas Lechner: „Die Lehrer erzählen, dass sie früher nach dem Unterrichtsende immer gleich nach Hause gegangen sind. Jetzt bleiben sie gerne in der Schule und machen dort die Vor- und Nachbereitung.“
Das Kuschelige der Volksschule wird in der Oberstufe zum „Chilligen“. Das neue Sportgymnasium in Wien West, ein Ableger des Gymnasiums Maroltingergasse in Ottakring, wurde am Gelände einer aufgelassenen Kaserne gebaut. Dort gibt es nun für alle Schüler viele Zonen zur Entspannung. In den Oberstufen-Klassen beispielsweise wurden die Stammklassen aufgelassen. Sechs Klassen haben stattdessen gemeinsam eine sogenannte „Homebase“. Das ist ein großer Raum für Pausen mit Spind, Sesseln und Couchen. Zum Unterricht gehen die Schüler dann zu den Räumen der Lehrer. Dazu gibt es viele Sitzmöglichkeiten im Innenhof.
Eine Handvoll Klassen startete bereits im Sommersemester, im Herbst folgen die restlichen der insgesamt 360 Schüler. Bis 2025 soll die Schüleranzahl auf 1000 steigen. „Als die Schüler den Hof zum ersten Mal sahen, haben sie sich sofort mit dem Laptop raus gesetzt. Das ging ganz von selbst“, sagt Direktor
Robert Parma.
Eine ähnliche Erfahrung hat auch Anita Aufschnaiter gemacht. Sie ist Direktorin der Tourismusschulen am Wilden Kaiser in St. Johann in Tirol. Die Schule für 450 Schüler wurde neu saniert und hat seitdem eine 700 Quadratmeter große Terrasse mit dicken Polstersesseln, wo die Schüler gerne ihre Pausen verbringen. Sie sagt: „Früher mussten die Schüler die Zeit in den Gängen oder in der Aula verbringen, jetzt haben sie Bereiche für sich selbst.“
Die praxisorientierte Schule – ein Drittel der Absolventen geht als Fachkraft in den Tourismus – hat durch die Sanierung außerdem viele bodentiefe Glasfenster in allen Stockwerken und der Aula bekommen. Anita Aufschnaiter schwärmt: „Das lichtdurchflutete Gebäude ist sensationell. Die Enge von früher ist einem Gefühl von Weite gewichen.“
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