Architekt Christian Kühn fordert: Häuser sollen länger leben
KURIER: Wien erlebt derzeit einen regelrechten Bauboom. Wie beurteilen Sie die neu entstandenen Stadtviertel?
Christian Kühn: Die einzelnen Gebiete sind sehr unterschiedlich. Die Seestadt Aspern liegt weit draußen und braucht noch Jahrzehnte, um den gewünschten Mix aus Wohnen und Arbeiten zusammenzubringen. Das Nordbahnviertel in der Leopoldstadt hat es leichter, weil es zentraler liegt. Beim Hauptbahnhof wurde in der Planung sehr gut auf belebte Erdgeschoßzonen geachtet. Was die einzelnen Gebäude betrifft, wurden sehr unterschiedliche Qualitäten gebaut: von völlig anspruchsloser bis hin zu sehr hochwertiger Architektur.
Derzeit werden mehrere Wohn-Hochhäuser gebaut. Ist es gut, dass Wien in die Höhe wächst und dadurch Boden spart?
Die hohen Grundpreise geben auf den ersten Blick eine Rechtfertigung, in die Höhe zu bauen und pro Quadratmeter mehr Wohnnutzfläche zu schaffen. Diese Rechnung ist aber in den hohen Grundpreisen bereits eingepreist. Daher wird das Problem nicht gelöst.
Hochhäuser sind in der Errichtung und im Betrieb sehr teuer. Das ist auch in der Novelle zur Bauordnung ablesbar: die Höchstmiete für sozialen Wohnbau liegt laut WWFSG generell bei 4,97 Euro, nur bei Hochhäusern darf ein Euro mehr verlangt werden. Das sind 20 Prozent. Im sozialen Wohnbau ist es zielführender, niedrig und dicht zu bauen. Wien könnte sich durchaus noch in der Fläche entwickeln.
Wo sehen Sie noch Flächenpotenzial für das Wachstum der Stadt?
Die Grenze zu Niederösterreich ist ja keine natürliche Grenze. Es braucht ein Zusammendenken von Wien und seinem Umland, sowie eine Stärkung der öffentlichen Verkehrsmittel.
Wie wird aus einem neuen Stadtteil ein lebendiges Grätzel?
Ein neues Viertel braucht einen guten Nutzungsmix, damit daraus keine Schlafstadt wird. Auch eine unterschiedliche soziale Zusammensetzung der Bewohner ist wichtig. Außerdem müssen die Bauten und Freiräume so gestaltet sein, dass es zu einer Verschränkung von Haus und Stadt kommt. Plätze, die Menschen sehr lieben, haben diese Eigenschaften.
Bei Wohnungsneubauten in den neuen Stadtteilen sieht man, dass die Wohnungen immer kleiner werden. Wie klein geht es noch?
Wir sind schon am Limit. Klar, es gab Innovationen was die Wohnungsfreiflächen wie Terrassen und Erschließungswege betrifft. Und auch die Grundrisse wurden immer ausgefeilter. Aber sehr viel kleiner geht es nicht mehr, ohne die Lebensqualität zu beschädigen. Auf der anderen Seite ist in den vergangenen Jahrzehnten die Wohnfläche pro Kopf enorm gestiegen. Ich hoffe, dass über radikal andere Wohnformen diese Diskrepanz gelöst wird. Ich denke etwa an Clusterwohnungen. Dort ist der eigene Bereich eher klein, aber die Bewohner können Flächen gemeinsam nutzen.
Sind Clusterwohnungen nicht ein Nischenmarkt?
Ich halte es derzeit für besonders schwierig, Prognosen für die Zukunft zu machen. Man muss aber annehmen, dass sich die Gesellschaft in den nächsten 30 Jahren massiv verändern wird, stärker als in den letzten Jahrzehnten. Gute Architektur muss daher eine hohe Anpassungsfähigkeit aufweisen. Die Gründerzeithäuser sind ein gutes Beispiel dafür. Sie haben 150 Jahre überstanden und funktionieren noch immer tadellos. Wir brauchen Gebäude, die eine ähnlich hohe Flexibilität wie die Gründerzeithäuser haben, einen soliden Rahmen, in dem sich die soziale Entwicklung einer Gesellschaft dann durch Um- und Weiterbauen ausdrücken kann.
In Ihrem neuen Buch „Operation Goldesel“ schreiben Sie, dass die wichtigen Zukunftsfragen nur gelöst werden können, wenn architektonische Aspekte berücksichtigt werden. Wie meinen Sie das?
Die ökologischste Variante ist es, ein Gebäude möglichst lange gebrauchen zu können. Daher ist es in Bezug auf die ökologische Nachhaltigkeit zentral, dass Bewohner das Bauwerk lange bewohnen können und wollen. Das gelingt nur, wenn sie auch gerne darin wohnen. Es nutzt nichts, die beste Passivhaussiedlung zu errichten, wenn die Menschen am liebsten sofort wieder ausziehen wollen.
Wenn man zur Architektur im weiteren Sinn auch die Raum- und Verkehrsplanung zählt, ist der Einfluss noch massiver. Das reicht vom Ausstoß, den bestimmte Siedlungsstrukturen durch den Verkehr erzeugen bis zur Beeinflussung der biologischen Vielfalt.
Das müssen Sie bitte erklären.
In den vergangenen Jahrzehnten hat der Bodenverbrauch stark zugenommen. Durch Umwidmungen werden dem Naturraum stetig Flächen entzogen. Beim Bodenverbrauch denkt man oft nur an betonierte Flächen, aber es geht generell um das Zerschneiden von ökologischen Zusammenhängen. Boden wird auch verbraucht, wenn man eine Einfamilienhaussiedlung errichtet, in der es ja Gärten gibt. Auch hier sinkt in der Regel die Biodiversität.
Es gibt Versuche, die Stadt zu renaturieren. Die „Biotope City“ ist ein Beispiel dafür. Kann ein solches Vorhaben gelingen oder schließen sich Stadt und Natur von selbst aus?
Ich halte solche Projekte für einen wichtigen Trend. Dachbegrünung könnte selbstverständlich sein. Etwas schwieriger sind Fassadenbegrünungen. Jedenfalls verbessert sich das Stadtklima deutlich. Mehr Grün hat auch eine psychologische Wirkung. Jedes Experiment auf diesem Sektor ist wichtig. Und wenn sie erfolgreich sind, müssen sie unbedingt in die Breite getragen werden.
Sie beklagen immer wieder, dass der Einfluss von Investoreninteressen auf die Stadtentwicklung zunimmt – Stichwort Heumarkt. Woran machen Sie das fest?
Dieser Trend lässt sich global betrachten: Kapital wird zu immer aberwitzigeren Preisen in Immobilien investiert und überall, sei es in London, Abu Dhabi oder Singapur, entsteht eine ähnliche Architektur. Manchmal werden Hochhäuser gebaut, die nicht einmal benutzt werden, weil Investoren sie lieber fünf Jahre später um das Vielfache weiterverkaufen. Eine Vermietung will man sich gar nicht erst antun. Viele vergessen dabei, dass es sich um kein normales Wirtschaftsgut handelt: Die Basis sind ja Grund und Boden, der nicht vermehrbar ist. Der Staat hat daher das Recht und die Pflicht, einzugreifen. Ich habe nichts gegen intelligente Investoren, die gutes Geld verdienen. Aber dafür braucht es einen Rahmen.
Was ist die schönste Stadt der Welt?
Ich lebe gerne in Wien, es ist eine angenehme Stadt. Allerdings ist Schönheit ein schwieriger Begriff.
Warum? Ist Schönheit keine Kategorie, in der Architekten denken?
Doch. Es ist sehr sinnvoll, in der Architektur über Schönheit zu sprechen. Ich sage immer: Architektur muss sparsam, zweckmäßig und schön sein.
Kommentare